Die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte ist so eine Sache. Bis heute streitet man über die genaue Position von Österreich zu dieser Zeit. Waren sie Opfer oder doch eher Täter? Unnötig zu erwähnen, dass sich die politischen Seiten dieses Thema gerne für ihre wilde Polemik zu eigen gemacht haben und machen. Sätze wie: "Es muss einmal Schluss sein mit der Aufarbeitung!" spiegeln in erster Linie nur den Unwillen und vielleicht auch die Angst der jeweiligen Personen wieder, sich ausführlich mit der Vergangenheit zu beschäftigen und dabei eventuell auch Parallelen zur Gegenwart zu finden. Dabei fungiert die Aufarbeitung dieser Zeit sicherlich nicht, wie manche meinen, als simple Schuldzuweisungsmaßnahme. Wie auch, die meisten Menschen dieser Zeit sind bereits tot und selbst wenn doch noch ein paar leben, denen man Schuld zuführen könnte, bleibt jenes Geschehene in seiner Grausamkeit und Überdimensionierung viel zu abstrakt als dass man es anschließend sprichwörtlich zu den Akten legen könnte. Dabei läßt es auch tief in die österreichische Seele blicken, wenn man den Mißmut betrachtet der einem entgegen gebracht wird, wenn man von Aufarbeitung des Nationalsozialismus anfängt. Fand doch eine (erzwungene) NS-Aufarbeitung in Österreich erst durch die so genannte Waldheim-Affäre statt, also erst 1986. Von Aufarbeitung davor also keine Spur, vielmehr übte man sich darin die Opferrolle zu pflegen. Umso verwunderlicher, dass ein Film wie "Der Bockerer" Zugang zu einem recht großen österreichischen Publikum fand.
Ebenfalls verwunderlich wenn nicht sogar ironisch ist die Regie von Franz Antel (1913-2007), der sich in seiner nicht gerade kleinen Filmographie eher einen Namen mit äußerst seichten wie infantilen Heimatfilmen oder ebensolchen Softsexklamotten gemacht hat. Ausgerechnet einer der Regisseure, die mit den heile-Welt-Filmen für die Beschönigung der Nachkriegsjahre sorgten, dreht 1981 einen Film der von der einfachen Bevölkerung während der NS-Zeit handelt. Und es sollte eben kein beschönigender Blick sein, den uns Antel hier zeigt. Was allerdings nicht heißt, "Der Bockerer" wäre ein sperriges, selbstgeißelndes Kammerstück. Zwar wird höchsten Wert auf Seriosität gelegt, doch ist "Der Bockerer" ein Film von hoher humoristischer Auffälligkeit. Für den Humor sorgt in erster Linie die naive aber auch couragierte Hauptfigur, Karl Bockerer (Karl Merkatz). In seinen besten Szenen erinnert jene Figur an den unbeholfenen tragisch komischen Humor von Charlie Chaplin. Etwa wenn sich Karl Bockerer mit der vorgeschriebenen aber viel zu langen Hakenkreuzfahne abmüht und seinen Frust wild schreiend an dem nächstbesten ausläßt, kommen Erinnerungen an Chaplin's "The Great Dictator" hoch. Oder wenn er, nachdem er sich von seinem jüdischen Freund Rosenblatt (Heinz Marecek) am Bahnhof laut verabschiedet hat, sich mit zwei Nazischergen herumschlagen muss. Immer nur um Haaresbreite entkommt er größerem Ärger, die ihm seine direkte aber stets ehrliche Art einbringen.
Das der Film, der auf einem Theaterstück von Ulrich Becher und Peter Preses basiert, seinen heimischen Erfolg über die Jahre erlangt hat, liegt wohl in erster Linie an seiner cholerisch lauten aber stets menschlichen Identifikationsfigur. Dies scheint der Zugang zu sein, mit dem man dieses so ungeliebte Thema publikumsgerecht servieren kann. Auch sticht hervor, dass diese Figur betont unpolitisch ist, er hat zwar einen sozialistischen Freund, doch in einer Szene verhält er sich den sozialistischen Ideen seine Freundes gegenüber, nahezu peinlich Berührt und sie eher als idealistische Träumerei abtuend. Er ist der Arbeiter (Metzger) von nebenan, weder von großer politischer Bildung noch Ideologie, alles was er hat, ist sein ihm angeborener, gütiger Menschenverstand und der stellt sich als das Seltenste und Schützenswerteste in dieser Zeit heraus.
Wer jetzt aber denkt, "Der Bockerer" behandle jenes Thema nur durch die Augen dieser durch und durch moralisch handelnden Figur und verweigert dadurch, quasi durch bloßes ignorieren anderer unschönerer Seiten jedwede Auseinandersetzung mit der österreichischen Täterrolle, der irrt. Karl Bockerer ist geradezu umzingelt von Menschen die der Naziideologie verfallen. Am augenfälligsten bei seinem eigenem Sohn Hans, der Mitglied der SA wird. Gleich zu Beginn sehen wir ihn wie er uniformiert und mit trotzigem Stolz seinem unwissenden wie geschockten Vater entgegentritt. Mut, Ehre und nicht zu letzt Kameradschaft sind die Motive, denen Hans unter Mithilfe des schleimigen Gruppenführers Gstettner (Michael Schottenberg) verfällt. Gstettner, der in mehrer Hinsicht Gefallen an Hans findet, blendet ihn mit falschen Versprechungen und treibt ihn mit gekonnter Rhetorik immer tiefer in seine Abhängigkeit und weg von seiner Familie. Hier findet man dann allerdings auch die größte Schwäche des Filmes. Gstettner, offensichtlich homosexuell treibt mit seinem intriganten Spiel, Hans aus den Händen seiner ihn liebenden Freundin und rein in die isolierend dargestellte Homosexualität. Diese wird ausschließlich dekadent, verlogen und hinterhältig gezeigt. Sehr auffällig jedenfalls auch, dass neben Gstettner, auch noch der ebenfalls freudig sadistische (er droht mit Sterilisation!) und hinterhältige Obersturmbannführer der Gestapo (Klausjürgen Wussow) schwul ist. Die Rolle des bösen Nazis wird mit ausufernder und plump dargestellter Homosexualität versucht zu erklären. Eine diffamierende Simplifizierung, die dieser Film nun wirklich nicht nötig gehabt hätte.
Abgesehen von diesem kleinen Ärgernis, zieht der Film seine Qualitäten aus den vielen verschiedenen Charakteren und zeigt wie sie mit diesen Situationen umgehen. Es hat schon etwas verstrickt Episodenhaftes, wenn die verschiedenen Schicksale vorgeführt werden. Die versnobte gutbürgerliche Hofratsfamilie, die zwar einerseits der Politik Hitlers mißtraut aber gleichzeitig sein Vorgehen gegen die verhassten Sozialisten mehr als gutheißt. Der unpolitische und sich eher opportunistisch verhaltende Freund des Bockerers, Hatzinger (Alfred Böhm). Der intrigierende sowie denunzierende, sich an der Judenverfolgung bereichernde Vermieter, der jüdische Freund von Karl, der angesichts der Lage nach Amerika auswandern muss und natürlich die Frau von Karl Bockerer. Sabine (Binerl) ist wie ihr Sohn glühende Verehrerin von Hitler und "seiner" Sache, auch sie verfällt den Reden und scheint mehr für die im Kino betrachteten propagandistischen Tagesschauen übrig zu haben, als für ihren Mann.
Auch spart der Film nicht die grausam verstörenden Bilder aus, die Juden beim Aufwaschen von Gehsteigen zeigen. Eine gehässig jubelnde Menschenmenge darum in der man Gesichter erblickt, die in ihrer trivial alttäglichen Normalität um so verstörender wirken. In diesen Szenen wird mit wütendem und geradezu automatisierendem Nachdruck die Frage laut: "Was hättest Du zu dieser Zeit gemacht?"
"Der Bockerer" ist eine bittere teils auch absurd komische Gesellschaftstragödie, die ihren Erfolg der naiv aufbrausenden Hauptfigur verdankt. Sie ist der moralisch intakte Anker in dieser entlarvenden und nur zu realen Welt, die ein Großteil des Publikums benötigt um nicht sofort bei dem Wort Aufarbeitung die Flucht zu ergreifen, sondern einen Zugang zu jenem unangenehmen Stoff zu erhalten. Sie ist die nötige Identifikationsfigur, gerade weil sie so handelt wie die wahrscheinlich wenigsten unter uns.