Wenn der Punisher Scharfschütze wäre
Es ist schon seltsam.
(Vermeintliche) Hollywood Blockbuster mit Unmengen an Budget, Werbung und Stars neigen dazu mich immer und immer wieder zu enttäuschen, wohingegen kleinere Filme mit (etwas) weniger Budget, nur einem Trailer und semibekannten Darstellern oft all meine Erwartungen übertreffen.
Einer jener „kleineren“ Filme mit überraschend hohem Unterhaltungspotential ist „Shooter“ ein Actionfilm von Antoine Fuqua („Trännen der Sonne“, „Training Day“) dem das Buch "Im Fadenkreuz der Angst" ("Point of Impact") von Stephen Hunter zu Grunde liegt. Zwar basiert der Film nur recht lose auf Hunters Bestseller (Veränderte Namen, verkürzte Zeitspanne, gestraffte Handlung, einige Verschwörungstheorien wurden weggelassen und der Actionlevel erhöht) doch die Grundgeschichte und die Hauptfiguren sind sowohl im Buch als auch im Film dieselben.
Der Scharfschütze Bob Lee Swagger (Mark Wahlberg) hat nach einem missglückten Auftrag im Hinterland von Afrika, bei dem sein bester Freund und Späher ums Leben gekommen ist, seinen Job an den Nagel gehängt und den Militärdienst quittiert. Anstatt weiterhin seine Opfer aus einer Entfernung von mehreren Kilometern zu liquidieren, zieht er sich in eine einsame Hütte zurück und verbringt drei Jahre in der Wildnis. Swaggers geruhsames Dasein als Einsiedler findet allerdings ein jähes Ende, als Colonel Isaac Johnson (Danny Glover) auftaucht und ihm (patriotisch aufgewärmt) ein Angebot unterbreitet, das er nicht ablehnen kann. Er soll Johnson und seiner Einheit in beratender Position beistehen und damit das Leben des Präsidenten, auf den möglicherweise ein Attentat durch einen Scharfschützen geplant ist, retten. Der Ex-Elitesoldat Swagger sieht sich daraufhin mögliche Tatorte an, gibt Tipps bezüglich Schwierigkeitsgrad des Schusses, Windgeschwindigkeit und Schutzmaßnahmen ab und unterstützt Johnson in allen Belangen. Doch der Colonel betrügt Swagger, nützt dessen Anleitungen und Wissen zur Ausführung eben jenes Attentats aus, das Swagger zu verhindern glaubte und versucht auch noch ihn der Polizei als Sündenbock zu präsentieren.
Daraufhin beschließt Swagger zurückzuschlagen. Ein beispielloser Rachefeldzug nimmt seinen Lauf.
All jene die nach der Lektüre dieser Inhaltsangabe spontan an Rambo, John McLane und Konsorten denken müssen liegen damit mit Sicherheit nicht weit daneben. „Shooter“ bedient sich nämlich nahezu aller (positiven) Grundaspekte, die in den 90ern einen guten Actionkracher ausgemacht haben.
Wunden werden selbst versorgt, Operationen im trauten Heim (von ungeübter Hand) durchgeführt, all Jene, die sich dem Helden in den Weg stellen, auf verschiedenste Weise ins Jenseits befördert, ein Mädchen beschützt, diverse Nah- und Fernkampfspezialitäten vorgeführt und ein actionreiches Finish angesteuert.
Trotz dieser offensichtlichen Ähnlichkeiten zu Klassikern des Actionkinos muss man Regisseur Antoine Fuqua äußerst positiv anrechnen, dass er mit „Shooter“ einen ausgezeichneten Back to the Roots Actioner geschaffen hat, der gleichwohl aller Nostalgie auch noch etliche Neuerungen bietet und den Spagat ins neue Jahrtausend (auch im Sinne der erweiterten Brutalitätsdarstellung) scheinbar mühelos schafft.
Doch "Shooter" ist keinesfalls das einzige Beispiel für einen bodenständigen Actionfilm mit Anleihen aus den 80er und 90er Jahren, das es in den letzten Monaten auf die Leinwand geschafft hat, denn in letzter Zeit ist bei Hollywoodproduktionen eine erstaunliche Tendenz, wieder zurück zu handgemachter Action und weg vom digitalen Overkill zu gehen, zu erkennen.
Martin Campbell revolutionierte mit „Casino Royal“ die Bond Reihe indem er sich auf alte Werte besann, Jason Bourne kommt ebenfalls nahezu ohne digitale Spielereien aus und mit „Die Hard 4“ und einem weiteren schon fix geplanten „Rambo“ Teil scharren schon die nächsten Hardboild-Actionhelden in den Startlöchern.
Antoine Fuqua schafft es mit „Shooter“ scheinbar ohne Mühe die Aufmerksamkeit des Publikums, trotz einer für einen Actionfilm relativ langen Laufzeit von 124 Minuten, von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln und ungeachtet des genialen Beginns immer noch ein Schäufelchen Action und Spannung nachzulegen. Zwar kommt es am Ende des Streifens zu kleineren (durchaus vermeidbaren) Logikbrüchen, aber diese werden von der Fülle der positiven Aspekte des Films für Nichtig erklärt.
Besonders bedanken sollte sich das Publikum bei Mark Wahlberg der nach seiner oscarnominierten Nebenrolle in „The Departed“ schon seine zweite starke Rolle in diesem Jahr auf die Leinwand bringt. Vergessen sind die Zeiten der New Kids on the Block, des Marky Mark, von Calvin Klein und billigen Nebenrollen, vergeben der Ausrutscher auf einem Planet voller lustiger Affen und zurück die Zeiten von „The Big Hit“, „Corruptor“ und „Three Kings“.
Die neue Härte steht Mark Wahlberg gut zu Gesicht und Ähnlichkeiten mit Bruce Willis’ ersten wirklich guten Actionfilmen drängen sich nahezu auf.
Sein Charakter Bob Lee Swagger erfüllt weiters völlig unbeschwert all die schönen Actionfilmheldenklischees, die den Reiz eines jeden Films dieses Genres ausmachen.
Er hat immer einen markigen Spruch auf den Lippen, legt eine harte aber coole Art an den Tag und meistert diverse, für Normalsterbliche tödliche, Probleme (zwei Kugeln im Körper, 20 schwer bewaffnete Gegner…) mit Leichtigkeit. Trotzdem bleibt er den gesamten Film über verwundbar, beeinflussbar und fehleranfällig, was in starkem Kontrast zu seinem sonstigen Superheldenauftreten steht und Swagger (und dem Film) eine menschliche und bodenständige Note verleiht, die dem Zuschauer eine Identifikation mit ihm leichter macht.
Auch die zarte Romanze zwischen Bob Lee Swagger und der Freundin seines verstorbenen Partners (himmlisch: Kate Mara) fügt sich homogen in die Story und wirkt an keiner Stelle auch nur annähernd so schmalzig und unpassend wie die diversen Beziehungskrisen in „Spiderman 3“. Auf eine (im Trailer noch vorhandene) Kussszene zwischen den Beiden wird ebenso verzichtet wie auf schmalzige Dialoge und gezwungene Sexszenen, die den Handlungsablauf ohnehin nur gestört hätten.
Besonders überraschend fand ich, dass sich Antoine Fuqua (und nicht zum Beispiel Tony Scott) für „Shooter“ verantwortlich zeichnet, obwohl dieser in den letzten Jahren mit „Training Day“ und „King Arthur“ lediglich einen langsamen, tiefgründigen Thriller und ein durchschnittliches Werk über die (schon vielfach verfilmte) Arthussage gedreht und sich somit nicht wirklich für eine actionreiche Rachegeschichte empfohlen hat.
Mit Ausnahme des Killerknallers „Replacement Killers“ aus dem Jahre 1998 (die Actiongurke „Bait“ lasse ich hier mal außen vor) hat Fuqua noch keine Erfahrungen in diesem Genre sammeln können.
Umso beeindruckender ist somit das Ergebnis.
Auch die namhaften Nebendarsteller tragen zum überaus positiven Gesamteindruck des Streifens bei.
Angeführt wird die Riege von Danny Glover, der zurzeit anscheinend seinen 2. Frühling erlebt. Nach der „Lethal Weapon“ Quadrillogie quasi vom Bildschirm verschwunden, kehrt er jetzt mit einer Nebenrolle in „Saw“, Auftritte in „E.R.“ und mehr als 6 offenen Projekten auf imdb.com zurück. In Shooter spielt er die für ihn ungewöhnliche Rolle eines hinterhältigen und abgestumpften Bösewichts mit offensichtlicher Genugtuung.
Ned Beatty (ein seit Jahrzehnten viel beschäftigter Neben- und TV-Darsteller) agiert als schleimiger, geldgieriger und erschreckend realistischer Senator mehr als nur souverän und überzeugt vor allem durch seine, die Politik der republikanischen Partei, offen legenden Aussagen.
Kate Mara („24-Tag 5“, „Nip/Tuck“, „Brokeback Mountain“) hat mich (wie schon zuvor erwähnt) mit ihrer süßen zurückhaltenden Darstellung des Love Objects ebenfalls beeindruckt.
Rhona Mitra, das ehemalige „Tomb Raider“ Model hat eine interessante Nebenrolle als Informantin, bleibt aber weitgehend uninteressant und unwichtig für den Filmverlauf.
Michael Pena („Babel“, „World Trade Center“) Mark Wahlbergs Ersatzspäher spielt seine Buddyrolle mit dem dafür nötigen Einsatz und verleiht seiner Figur viel Farbe.
Der Kameramann Peter Menzies jr., der Mark Wahlberg schon im Film „Vier Brüder“ körperbetont in Szene setzte und unter anderem auch bei den Filmen „Lara Croft: Tomb Raider“ und „Der 13. Krieger“ für fabelhafte Bilder sorgte, beweist auch bei Shooter seine Begabung Action explosiv und glaubwürdig in Szene zu setzten.
Alles in allem ist der Film einfach unglaublich spannend, hat eine dichte Atmosphäre, bietet eine Actionszene nach der anderen, kann mit einer grandiosen Kulisse und tollen Landschaftsaufnahmen aufwarten und steht mit seinem Hauptcharakter, dessen Sprüchen und den brutalen, oft moralisch fraglichen Szenen in bester B-Movietradition. Im Gegensatz zu diversen Seagal und Van Damme-Vehikeln hat „Shooter“ aber auch noch eine vernünftige Story und tolle Handlung zu bieten.
Natürlich kann man mich jetzt altmodisch nennen und mir eine blutrote Nostalgiebrille andichten, weil ich einen moralisch fraglichen und eindeutig auf die Fans der 90er zurechtgeschnittenen Rachethriller so dermaßen über den Klee lobe, aber das kann ich (vor allem beim Gedanken an diesen Film) ohne weiteres verkraften.
Fazit:
Trotz einiger kleinerer Mängel und Ungereimtheiten gehört „Shooter“ zum Besten was ich seit längerem in diesem Genre zu Gesicht bekommen habe.
Der Actionstreifen von Antoine Fuqua, der sich mit dem oscarprämierten Film „Training Day“ und King Arthur schon einen beachtlichen Namen in Hollywood gemacht hat, weiß von der ersten Minute an mit einer tollen Story und fabelhaften Actionszenen zu fesseln und kann auch in den Punkten Kameraarbeit, Schauspielleistung und Spannung punkten.
Zusatzinfo:
In den USA erhielt „Shooter“ wegen seiner expliziten Gewaltdarstellung keine Jugendfreigabe und spielte trotzdem oder sollte ich sagen gerade deswegen mehr als 45 Millionen ein. Mit Hilfe der DVD Verleih- und Verkaufszahlen wird das Wiedereinspielen des auf 60 Millionen geschätzten Budgets kein Problem sein.