Review

Worin unterscheidet sich das Romandebüt „Irre“ von Rainald Goetz von dem antipsychiatrisch orientiertem Koreosonderling „I'm A Cyborg, but thats OK"? Zu Recht verweist Goetz auf die erstaunliche Konjunktur von Generationenkonstrukten seit der „Wende“. Die popliterarische „Generation Golf“ ist da neben den Generationen „X“, „Berlin“ oder „@“ nur eine unter vielen. Sogar Karl Mannheims grundlegende Soziologie der Generationen erwähnt er und vergisst nicht die in den neunziger Jahren erschienenen Bücher der Soziologen Claus Leggewie über die 89er und Heinz Bude über die 68er Generation. Doch was hat das alles mit „Cyborg“ zu tun? Und wie ist es zu erklären, dass Leggewie und Illies exakt die gleichen Jahrgänge (der zwischen 1965 und 1975 Geborenen) mit völlig unterschiedlichen Generationenbildern und -benennungen charakterisieren? Eine literarische Jugendbewegung von Autoren unter dreißig Jahren hatte auch Fiedlers Programm der postmodernen Pop-Literatur im Blick. Wer älter sei, müsse – natürlich im metaphorischen Sinn – erst sterben und neu geboren zu werden, um an ihr teilzuhaben. Musik, Massenmedien, Sex und Drogen, die Fiedler zu konstitutiven Stoffen der damals jungen Literatur erklärte, haben für die jüngste Literatur heute ihre Bedeutung behalten, doch „Western, Science-fiction und Pornographie“, die Fiedler zu den bevorzugten Inspirationsquellen literarischer Anti-Kunst erklärte, haben ihr Prestige zugunsten anderer Erscheinungsformen der Massenkultur verloren: Talkshows, Fernsehserien, Videoclips und Internet. Medienabfall für alle? Nein, die jüngste Popliteratur ist nicht mehr wie jene, die Fiedler meinte, eine „Bedrohung für alle Hierarchien“ zwischen Hoch und Niedrig, Elite und Masse, Professionalität und Dilettantismus, sondern etabliert neue Hierarchien durch feine Unterscheidungen zwischen gutem und schlechtem Geschmack. Der Konsum dient ihr zur sozialen Differenzierung. Kracht, Stuckrad-Barre und Illies sind bekennende Snobisten. Nach der Lektüre von Krachts „Faserland“ habe man endlich sagen dürfen, so Illies, dass „die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD“ ist. Ein Schlüsselsatz in „Generation Golf“ lautet: „Der Kauf bestimmter Kleidungsstücke ist, wie früher die Lektüre eines bestimmten Schriftstellers, eine Form der Weltanschauung geworden.“ Die Mechanismen sozialer Distinktion sind geblieben, nur ihre Medien haben sich verändert. An die Stelle von literarischen Bildungserlebnissen setzen diese Autoren in ihren Geschichten der eigenen Entwicklung und Identitätsfindung prägende Konsumerlebnisse. Die etablierte Literaturkritik konnte sich davon nur deshalb so provozieren lassen, weil sie die selbstironischen Töne dieser neuen Pop-Literatur nicht wahrzunehmen vermochte. Schon dass diese Autoren ihre Ignoranz gegenüber hoher Literatur im Medium von Literatur zur Schau tragen, ist ein Ironiesignal. Auf der Rückseite der von Kracht herausgegebenen Geschichtensammmlung „Mesopotamia“ wird zwar, Jarvis Cocker zitierend, die Ironie zu Grabe getragen: „Irony ist over. Bye, bye.“ Aber auch das noch ist pure Ironie. In „Generation Golf“ sind es die Stilmittel komischer Übertreibung und Zuspitzung, die auch jene widerwilligen Leserinnen und Leser, die sich über die stockkonservativen Inhalte und Tendenzen dieses Buches eigentlich nur ärgern können, zum Lachen bringen und ihnen sogar die Möglichkeit eröffnen, aus diesem Generationenportrait eine Generationen- und Selbstkritik des Autors herauszulesen.
Anders im vorliegendem Film:

Die eher schon wahnwitzige Geschichte wird ständig von Traum- und Angstvisionen durchbrochen: Da mutiert die Cyborg-Patientin zur Kampfmaschine und richtet ein Massaker in der Klinik an, oder ihre geliebte Großmutter wird von einem Gummiband ins Nirwana gezogen. Der Wahnsinn hat Methode in Young-goons Familie: Großmutter aß nur Rettich, ihre Mutter hielt sich selbst und andere für Mäuse, da sollte man sich über einen Cyborg mit Fehlprogrammierung nicht mehr groß wundern.
Tragik und Komik liegen dicht beieinanderDabei erweist sich der Schauplatz Psychiatrie, wo Tragik und Komik ganz eng beieinander liegen, als ideal für diese anarchistisch angehauchte romantische Komödie der etwas anderen Art. Jeder Koreaner hier hat seine Geschichte, einer leidet sogar an "Mythomanie", krankhafter Geschichtensucht. Und die Standuhr im Flur hat Schluckauf.
Park Chan-wook, ein bekennender Fan des Sci-Fi-Meisters Philip K. Dick, gelingt die Gratwanderung zwischen Skurrilität und Ernst, am Ende erzählt er eine berührende Love-Story. Der scheinbar gefühllose Dieb Il-sun kümmert sich rührend um Young-goon: "Ich mache Tag- und Nachtdienst und biete lebenslange Garantie", sagt er einmal, und dies ist in diesem Film eine hinreißende Liebeserklärung
Die junge Popliteratur  und die junge Südkoreanische Filmszene braucht keine grundsätzlich neue Kritik, aber sie braucht eine bessere, eine genauere Kritik, und sie braucht eine Kritik, die den Erfolg dieser Literatur nicht zum Argument selbstüberheblicher, mit Neid gemischter Verachtung macht, sondern ihn erklären kann, und zwar aus Qualitäten und Reizen, die diese Literatur trotz all ihrer Fragwürdigkeiten durchaus zu bieten hat.

Wer das jetzt hier alles durchgelesen hat ist ungefähr soviel klüger wie nach dem Konsum des besprochenen Filmes.
Wer das alles ziemlich langweilig fande, dem sei auch von "Cyborg" abgeraten, obwohl er (wie nicht anders zu erwarten) handwerklich brilliant gemacht ist.

Details
Ähnliche Filme