Eine Zeit lang war ich ja allen Ernstes davon überzeugt, so nahezu alles wirklich Relevante aus dem europäischen und US-amerikanischen Kino der 80er Jahre zu kennen. Das ist natürlich Blödsinn, denn da tun sich bis heute immer noch Lücken auf. Hier und da. Bester Beweis hierfür ist unter anderem wohl die Tatsache, dass noch bis vor kurzem ein für das französische Kino so ungemein bedeutsames Werk wie „Diva" meinen Wahrnehmungshorizont noch nicht erreicht hatte. Das änderte sich prompt, als ich neulich mal wieder eine allgemeine Literaturrecherche betrieb, bei der mir dieser Streifen in einem Bildband sofort ins Auge fiel. Zack, die DVD geholt und in nächtlicher Atmosphäre angeguckt. Was erwartet einen da?
Ein junger Postbote wird im Paris der frühen 80er Jahre unfreiwillig in eine Kriminalaffäre hineingezogen, als ihm eine von Gangstern verfolgte Prostituierte ein Tonband in den Briefkorb seines Moppeds steckt, auf der schwer belastendes Material eines Gangsterbosses enthalten ist. Fortan wird er von Bösewichtern (unter anderem von Dominique Pinon, den mag ich ja sehr gerne!) durch die ganze Stadt gejagt, ohne zu wissen, worum es geht, wohl aber dass er sich seines Lebens nicht mehr sicher sein kann...
Eigentlich viel wichtiger im Film jedoch ist Jules (so der Name des jungen Postboten) Hang zur Oper, im Speziellen zu einer Sängerin namens Cynthia Hawkins, deren größter Fan er ist. Zu Beginn des Films gibt´s auch erstmal eine minutenlange Vorführung ihrer Kunst auf der Bühne. Jules schneidet heimlich das Konzert mit und handelt sich damit obendrein noch Probleme mit einer weiteren Ganovenpartei ein. Dies hält ihn fortan jedoch nicht davon ab, Kontakt zu dem Star aufzunehmen...
Jean-Jacques Beneix‘ Thriller (das Genre passt wohl noch am besten), ist fast so alt wie ich und (bedingt auch deswegen) eine Wucht par excellence. Stilprägend für das sich modernisierende französische Kino der 80er, steht vornehmlich natürlich der Look im Vordergrund - jedoch ohne dass man dem Film den berüchtigten „Style-over-Substance"-Vorwurf machen könnte, dafür ist er viel zu facettenreich ausgestaltet. Dies zeigt sich allein schon am Schicksal des armen Postboten, der einem im Verlauf der Handlung zunehmend leidtun und gleichzeitig vom Zuschauer und -hörer beneidet werden kann: er hetzt mit seinem Mopped von einer nächtlichen Notbleibe zur nächsten, jagt Metro-Rolltreppen damit hinauf und hinunter (!) und findet seine stylish eingerichtete Bude mit all seiner HiFi-Ausstattung von Gangstern verwüstet vor - schafft es aber andererseits, bei seinem geliebten Opern-Starlett eine höchstpersönliche Audienz zu erlangen und sogar, deren Sympathie und Zuneigung zu gewinnen, sodass sie ihn an ihrem Leben in Hotelzimmern und Managerstress teilnehmen lässt. Da hat es dann auch nicht lange gedauert, und ich war dahin: irgendwann kommen sie, die ruhigen Bilder zwischendurch, Paris im morgendlichen Halbdunkel, mit leergefegten Straßen, vorbeifliegenden Vögeln und melodisch-atmosphärischer Klaviermusik. Beneix beweist, dass er temporeiche wie ruhige Momente exzellent präsentieren kann. Im späteren Verlauf des Thrillers scheinen sich ruhige und schnittige Elemente miteinander zu vermischen und die Frage, ob unser armer, schüchterner und mit der Situation völlig überforderte Postbote lebend aus der ganzen Sache herauskommen wird, hält den Film spannend bis zum Schluss...
Also, dieses Mal gab es keinen Verriss von was Modernem, sondern mal wieder eine Empfehlung von mir. Natürlich nicht uneingeschränkt, da dem modernen, jüngeren Publikum von heute Streifen wie dieser ja anscheinend nichts zu bieten haben. Die Zeiten haben sich nunmal geändert, fertig. Hilft kein Lamentieren. Wer sich den Film dennoch zulegen möchte darf dann gleich "Betty Blue - 37,2 Grad am Morgen" mitbestellen. Ist auch von Beneix und mindestens ebenso ´ne Granate.