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Es gibt zwei Augenblicke der Flucht in eine andere Welt, in ein anderes, aufgeräumteres Leben. Den einen nicht in der Stadt, außerhalb von ihr in der unhektischen Natur, die sich auf den Winter einzustellen scheint; die Blätter sind von den Bäumen. Herbstlich fahl ist der Morgen, gefühlt feucht seine Luft. Bei leichter Diesigkeit steht Michael Clayton surreal drei Pferden gegenüber, die sichtbaren Atem schnauben wie der Mensch, der vor ihnen steht, zerstreut, gerädert, mürbe, wartend wie vor einem Rat der Weisen, der irgendeinen Schluss ziehen, irgendeinen Befund, irgendein Ergebnis hervorbringen möge. Die Pferdeaugen starren, als wären es Menschenaugen und Michael Clayton macht es ihnen gleich. Niemand weiß, was er da sieht. Niemand weiß, was das Dreigespann ihm rät.

Man sieht dem Anwaltsgesicht die Geschlauchtheit an. Eine Miene, wie gesagt, die müde ist und ausgelaugt und schon viel durchgemacht hat. So muss man als mehrmaliger sexiest man alive erstmal aussehen. Restaurantpleite, Spielsucht, Scheidung haben das darzustellende Gesicht gezeichnet. Und ein Prozess, der immer noch anhält und sich Arbeit nennt. Für einen Moment kommt der Advokat bei Pferden zur Ruhe; der, der den Müll sonst wegkehrt, kehrt in sich. Im Saubermachen habe jener Mann seine Berufung gefunden, sei er einer der besten seines Fachs, unentbehrlich, entbehrlich dagegen als gewöhnlicher Rechtsverdreher, von denen es ja so viele gute gibt. Geputzt nun wird für gewöhnlich nicht zu den Hauptgeschäftszeiten, nicht im Blickfeld der Kundschaft, optimalerweise natürlich so, dass niemand etwas mitbekommt von den Leichen, die in den Keller geschleppt werden.

Ehrlich gesagt bringt tatsächlich niemand, einschließlich des Zuschauers, wirklich viel darüber in Erfahrung, wie toll Michael Clayton das kann. Doch man glaubt es gerne, so abgespannt sieht man nicht umsonst aus. Da muss schon viel Dreck angepackt worden sein. Vor allem liegt es eben in der Natur der Scheiße, dass sie stinkt. Deshalb wird ja vorlieblich im Hintergrund aufgeräumt, am liebsten unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie eine mächtige Kanzlei das so tun würde, die einen Krebsgeschwüre verbreitenden Chemiekonzern vertritt. Es wuchert allenthalben, meint im Prolog der mit dessen Verteidigung beauftragte und nun vermeintlich übergeschnappte Staranwalt Arthur Edens, also known as Shiva, Gott des Todes oder sich für solch einen zumindest haltend. Ein verrückter Kauz nicht nur, da er sich während einer Anhörung entblößt, auch weil er von den Geschwüren weiß, von denen nur wenige wissen, und deren Wachstum und weitere Wucherung er jetzt stoppen will. Dieser Müllmann rebelliert, wird in Kanzlei- und Konzernaugen damit also selbst zu Müll, was einen Clayton auf den Plan ruft, auf dass dieser die Arznei, die dem Tumor zuleibe rückt, verwirken lasse und die Mutation unaufhörlich weiter wachse und gedeihe.

Ein solcher Anwalt ist daher Antiarzt. Dies ist noch undankbarer als die Situation eines Versicherungsvertreters, der alten Damen Knebelverträge aufschwatzt, nolens volens aufschwatzen muss, um selbst irgendwie über die Runden zu kommen oder - im Clayton-Falle - die 75.000 Dollar Schulden zu begleichen. Beileibe, eine hehre Tätigkeit ist es nicht, auch wenn Erhabenheit dem Anwaltsanzug innewohnt. Eine Verkleidung ist das bloß für den Apologeten der Lüge, um die verlotterte Ethik zu verdecken. Der Klospiegel dann reflektiert die klatschnasse Achselhöhle, deren Schweißausdünstung sich durchs Kostüm saugt. Sind das die Tropfen des im Schraubstock festgeklemmten, betäubten Gewissens, der reine, verdunstende, sich auflösende Saft der Moral? Vielleicht ist das ein erfülltes Leben, was Karrieristin Karen Crowder führt? Zu transpirieren, zu stinken, das Gerechtigkeitsverständnis gegen andere Prinzipien einzutauschen, es zu verkaufen, um sich besser zu verkaufen; jeden Morgen vor dem Spiegel armselig sich zu präsentieren, sich selbst den Meetingvortrag vorzutragen, diese Platte aufzunehmen, inklusive aller gefälschten Betonungen, und sie schließlich detailgetreu im rechten geplanten Moment abzuspielen, jetzt also das Werk zu rezitieren, sich der Vorfertigung hingebungsvoll zu ergeben, sie dabei aber wie spontanste Spontanität aussehen zu lassen.

Vermutlich wird man da eines Tages zwangsläufig verrückt. Aber nicht in der Shiva-Form, denn Shiva ist hier Abbild für den wohl klarsten Verstand eines Advokaten; verrückt in dem Sinne vielmehr, dass man ein Stadium vervollkommnter emotionaler Sterilität erreicht und über Leichen geht, nunja sich höchstens noch aus Angst zu erregen vermag, um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Diejenigen, denen das zuwider ist, steigen irgendwann ins Taxi, für den anderen Augenblick der Flucht, und lassen den Fahrer das Ziel bestimmen. Egal wohin. Nur noch weg.

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