Betrachtet man "Letters from Iwo Jima" oberflächlich, wird diese Geschichte über die Verteidigung einer Pazifikinsel durch die Japaner gegenüber der angreifenden US-Armee konventionell erzählt. Auch hier handelt es sich um einen bewußt aus einer subjektiven Sicht geschilderten Kriegsfilm, in dem "der Feind" nur als anonyme Masse und undifferenzierte Angriffsmaschinerie gezeigt wird.
Zwar nimmt sich die Geschichte viel Zeit, uns seine Protagonisten vorzustellen und uns mit der strategischen Lage auf der kargen Insel vertraut zu machen, aber die Kampfhandlungen kommen in dem fast zweieinhalbstündigen Werk auch nicht zu kurz. Die Soldaten der kaiserlichen japanischen Armee sind zudem weder systemkritisch gegenüber dem eigenen diktatorischen Regime noch gibt es irgendwelche Parolen, die den Krieg als solchen anzweifeln. Und selbstverständlich wird von japanischer Seite aus dem amerikanischen Aggressor keinerlei positive Eigenschaften zugestanden.
Wieso handelt es sich bei diesem beeindruckenden Werk um einen der konsequentesten Anti-Kriegfilme, der dazu noch einen völlig neuen Ansatzpunkt schafft ?
Das ist sicherlich zuerst an der Person Clint Eastwoods festzumachen, der als Schauspieler immer für die direkten, harten Aktionen bekannt wurde. Auch politisch galt Eastwood lange als konservativ. So war er Bürgermeister seiner Heimatstadt und selbstverständlich Mitglied der republikanischen Partei. Und genau dieser Blickwinkel ist es, der seine Werke als Regisseur so überzeugend werden läßt und der ihn ein solches humanistisches Alterswerk schaffen läßt. Eastwood hat sich nicht irgendeiner Ideologie opportunistisch an den Hals geworfen, sondern er hat nachgedacht, er hat eigene Haltungen in Frage gestellt und sich seine jetzige Sichtweise hart erarbeitet.
Auch wenn es natürlich aktuelle Stimmen gibt, die seinen Verstand anzweifeln oder ihn als linken Überläufer oder Vaterlandsverräter titulieren, so steht außer Frage, daß gerade seine Person die Ausgewogenheit und fehlende Ideologie, die dieses Werk auszeichnet,erst ermöglicht hat. Der Gedanke, einen Film aus der Sicht des früheren Gegners zu drehen, kam Eastwood bei dem Film "Flags of our Fathers" , der die selbe Schlacht aus amerikanischer Sicht behandelt, bei der wiederum die Japaner als anonyme Masse gezeigt werden.
Hinter der Anonymisierung des Gegners steht immer die propagandistische Idee der Verunglimpfung. Nur indem ich den Gegner als minderwertig, feige und aggressiv darstelle, kann ich das Volk in Richtung Kriegslust motivieren. Den "Feind" differenziert als Mensch mit Gefühlen, Zweifeln und persönlichem Schicksal zu zeigen, gilt als wehrzersetzend. Und genau das ist Eastwood in seinem Film "Letters from Iwo Jima" - wehrzersetzend !
Das zeigt sich schon an dem Stilmittel, den Film in der Originalsprache zu belassen. Da in "Letters from Iwo Jima" bis auf wenige englische Sätze nur japanisch gesprochen wird, wäre es naheliegend gewesen diese zu synchronisieren. Doch damit hätte man dem Film ein deutliches Stück Authentizität genommen, denn obwohl uns die japanische Sprache meist fremd ist, entsteht durch die originalen "Banzai" oder "Hai"-Rufe eine sich steigernde Identifikation. Zudem hat Eastwood den japanischen Soldaten damit den Respekt erwiesen, der sich durch den gesamten Film hindurchzieht.
Im Mittelpunkt des Geschehens stehen zwei unterschiedliche Dienstgrade - der als Oberbefehlshaber auf die Insel geschickte General Tadamichi Kuribayashi (Ken Watanabe) und der einfache Soldat Saigo (Kazunaro Ninomiya). Während der General ein gebildeter ,weitgereister Mann ist, der auch einige Jahre in den USA verbracht hat, ist Saigo ein einfacher Bäcker der zwangsweise eingezogen wurde. An beiden Personen lassen sich am besten Eastwoods Intentionen erkennen.
Saigos Frau war schwanger ,als er zur Armee mußte, und so ist er meist in Gedanken bei seiner jungen Familie, die er durch das Schreiben von Briefen zu fassen versucht, auch wenn er ahnt, daß die Briefe nie an ihrem Bestimmungsort ankommen werden. Saigo verkörpert einen freundlichen, weichen Typ, dem nichts soldatisches anhaftet, weswegen er immer wieder mit seinen Vorgesetzten in Konflikt gerät. Aber er ist nicht dumm oder feige, nur wird sein Handeln eben nicht durch patriotische Gedanken geleitet, sondern durch den Wunsch zu überleben.
General Kuribayashi ist ein zutiefst patriotisch denkender Soldat, der seine Aufgabe keine Sekunde in Frage stellt und diese auch mit Intelligenz verfolgt. Ihm ist die Strategie zu verdanken, daß die wenigen japanischen Soldaten überhaupt so lange der feindlichen Übermacht trotzen können und der Film zeigt auch ausführlich die strategischen Gedanken, die dazu führen und den Widerstand, dem der General deswegen durch die anderen Offiziere ausgesetzt ist. Diese mißtrauen ihm ,da er einige Jahre im Land des Feindes gelebt hat ,und unterstellen ihm, ein "Ami-Freund" zu sein.
An seiner Figur ist zu erkennen, daß eine soldatische Haltung nicht gleichbedeutend mit Menschenverachtung und Kadavergehorsam ist. Und es ist keineswegs so, daß seine differenzierte Einstellung etwa durch den Einfluß der Amerikaner ermöglicht wurde, sondern durch seinen eigenen Willen, andere Kulturen und andere Sichtweisen kennenlernen zu wollen.
Eastwood verdeutlicht dann auch mit dem den General unterstützenden Offizier und Adligen Baron Nishi, einem Olympiasieger von 1932, daß eine Lebensweise, die sich nicht nur auf die eigene Umgebung und die bekannten Meinungen und Ideologien stützt, eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist, die Welt nicht nur im üblichen Gut-Böse-Schema zu betrachten. Das beschränkt er keineswegs auf eine spezielle Seite, sondern hier klingt deutlich Kritik an der Politik von Géorge Bush an, dessen Einfühlungsvermögen für andere Kulturen äußerst beschränkt zu sein scheint. In diesem Zusammenhang ist die von amerikanischer Seite besonders stark kritisierte Szene zu betrachten, in der amerikanische Soldaten aus Bequemlichkeit Gefangene erschießen. Eine gerade durch den Fakt, daß es kaum Szenen mit Amerikanern gibt, signifikante und wichtige Szene.
Zu den beschriebenen Personen werden eine Vielzahl Charaktere gezeigt, die die Differenziertheit unter den Soldaten betonen. Natürlich gibt es hier auch die üblichen Kommissköppe und brutalen Vorgesetzten, aber über allem schwebt ein Begriff, der erst die eigentliche Qualität des Films ausmacht - seine Subtilität.
Ob das heimatliche Rückblicke mit Abschiedsstimmung oder polizeilicher Unterdrückung sind, ob das patriotisches Gerede einzelner Personen oder Todesverzweiflung ist - alles wirkt immer angemessen, niemals kitschig oder übertrieben und - unterstützt von den fast farblosen Bildern - äußerst normal und nachvollziehbar. Trotzdem gelingt "Letters from Iwo Jima" eine durchgehende Spannung ohne irgendwelche Längen, weil man so unmittelbar am Geschehen beteiligt ist und weil sich die Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit der Lage auf dieser völlig lebensfremden Insel auf den Betrachter überträgt.
Das die Japaner 40 Tage dem Feind standhielten, ist am Film nicht zu erkennen, der auf jegliche den militärschen Akt unterstützende Details verzichtet. In keiner Szene des Films gibt es militärische Erfolgserlebnisse, er werden keine - nicht einmal kleinste - Fortschritte erzielt, es gibt keine Durchhalteparolen oder sonstige Pseudo-Motivationen. Jederzeit ist sämtlichen Beteiligten die eigene Lage bewußt - Clint Eastwood interessiert sich nur dafür, wie der Einzelne mit der Situation umgeht und schafft damit das Entscheidende - das Verschwinden des "Feindes" durch die Zerstörung der Anonymität.
Fazit : außergewöhnlicher Anti-Kriegsfilm, der konsequent die Unsinnigkeit des gegenseitigen Tötens anklagt ,ohne dabei auf Parolen, Ideologien oder weise Ratschläge zurückzugreifen. Indem er einfach differenziert die sogenannte Gegenseite, den Feind zeigt, macht er deutlich, daß es diesen Typ des "anonymen Gegners" gar nicht gibt, der zu Propagandazwecken von der jeweiligen Seite erfunden wird.
Und er macht vor allem deutlich, daß kriegerische Gedanken immer auf Unwissen und der damit verbundenen Dummheit beruhen, die von der Propaganda für ihre Zwecke ausgenutzt wird - und damit schlägt er den Bogen zu allen tagesaktuellen Ereignissen dieser Art(10/10)