Am Anfang, das kann man sich nach Ansicht von Uwe Bolls „Seed“ vorstellen, war die Hammerszene.
Eine Frau sitzt gefesselt auf einem Stuhl, vor ihr ein schweigsammer Klotz von einem Mann, dessen Gesicht hinter einer sackartigen Maske verborgen ist, in der Hand einen Hammer. Er nähert sich ihr zögernd und klopft ihr mal zaghaft auf den Kopf. Noch einmal, dann noch einmal, schon etwas fester. Dann wird er scheinbar neugieriger, schlägt probeweise hart zu, geht zurück, Blut fließt. Die Frau wimmert. Der Mörder sieht sich das alles an und macht weiter...
In dieser etwa dreiminütigen, mit unbewegter Kamera gefilmten Sequenz darf man als Zuschauer dann beiwohnen, wie der Mörder, es handelt sich um den titelgebenden „Maxwell Seed“, den Kopf dieser Frau nach und nach in allen Details zu Klump haut, nicht in Nahaufnahme, sondern fast aus dokumentarischer Distanz.
Und man ahnt, das ist der Punkt, an dem Boll uns sagen will, wie brutal und unmenschlich doch der Mensch sein kann.
Doch leider ist Dr.Uwe Boll nicht derjenige, der es es sich erlauben könnte, so eine Aussage zu thematisieren, denn der ganze Schock ist wieder mal nur Fassade und eigentlich hat jeder halbwegs intelligente DVD-Ausleiher das schon während des Vorspanns verstanden.
„Seed“ beginnt nämlich mit gut vier Minuten Dokumentaraufnahmen aus dem Archiv der Tierschutzorganisation PETA und die haben es in sich. Da stellen sich irgendwelche Tierquäler auf Hunde, bis die Knochen knacken, Schockpotential fürwahr.
Bolls Film wurde schon für diese Plakativität von den meisten Zusehern abgelehnt, doch sind diese Aufnahmen noch das Wahrhaftigste an dieser Produktion, die von sich behaupten will, einen kritischen Blick auf den Menschen, sein Verhalten, das Publikum und den Splatterfilm zu werfen.
Bestenfalls bleibt das jedoch alles spekulativ, eher reine Provokation – Gewalt sells, könnte man sagen, denn indem uns Boll dieses motivationslose, viehische Auswalzen sinnloser Brutalität kommentarlos präsentiert, setzt er damit nicht auf Konfliktpotential, sondern beutet wieder mal nur explorativ eine gewalttätige Idee aus, denn die Neugier der Zuschauer wird’s schon richten.
Wer ein Thema filmisch ausdiskutieren will, muß sich auch damit auseinandersetzen – doch Boll ist in erster Linie Verkäufer, ein untalentierter Dilletant auf filmischem Gebiet, jedoch im Bereich Marketing mit einigem Verstand gesegnet. Propagiert als brutalster und härtester Film überhaupt, walzt er die Mordszene endlos aus, verzichtet dann aber sowohl vorher als auch nachher auf irgendeinen Kommentar oder analysiert in irgendeiner Weise.
Das ist wie mit den Monstrositätenkabinetten, die auch vorgaben, den Menschen die Wahrheit nicht vorhalten zu wollen, letztendlich aber nur die Lust am Spektakel bedienten, um Geld zu verdienen.
Visualisierte Zerstörung – ja! Entmenschlichung – ja! Aber das Publikum muß auch einen Zugang finden können, um sich mit einer Kontroverse oder einem heiklen Thema auseinander zu setzen.
Das findet in „Seed“ aber nicht statt, der Rest des Film ist mehr oder minder belanglos, sogar extremst laienhaft in Szene gesetzt und angefüllt mit den dümmsten Dialogen seit langem.
Zusammengekaspert aus diversen Vorbildern wie „8mm“, „Kill Bill“, „Shocker“ oder „Psycho“, präsentiert der Regisseur uns ein episodisches Stück Geschichte, das die Zeitebenen gern und lange durcheinanderwürfelt, so daß sich in den ersten 30 Minuten locker ein Gefühl der narrativen Disorientierung breit macht.
Was wir erfahren, ist lediglich dies: Maxwell Seed ist ein Killer und noch dazu ein besonders brutaler, der zahlreiche Versuche mit Opfern unternommen hat, um ihr Sterben und ihren anschließenden Fall zu dokumentieren. Schließlich wird er nach einem Massaker unter Polizisten festgenommen und soll hingerichtet werden, überlebt jedoch dreimal die tödlichen Stromstöße, worauf man ihn halbtot lebendig begräbt. Aber Seed kommt wieder und nimmt Rache – fertig ist das Gartenhäuschen.
Ein mächtig kontroverser Stoff, vor allem für Partyhirnis, die glauben, zwischen Pizza und Wodka-Energy in den Hinrichtungsszenen so etwas wie Zivilisationskritik zu sehen, die unbedingt diskutiert werden müßte.
Keine schlechte Idee an sich, denn bis Boll mit der nächsten Massakerszene wieder die Sensationsgier der DVD-Masse bedient, muß man sich ja an den unglaublich schlechten Darstellern vorbei lavieren.
Am miesesten scheint es zur Zeit Ex-Teenieschwarm Michael Pare zu gehen, der hier als schmalzkotelettiger Seventiescop sich in jeder Szene der Lächerlichkeit preisgibt, immer irgendwo zwischen Nervenzusammenbruch und totaler Hysterie schwankt, heult, weint, mit den Zähnen klappert und das Overacting für die Grundschultheateraufführung in neue Niveaudimensionen hebt.
Praktisch noch grauenhafter der Gastauftritt von Trash-Spezi Ralph Möller, der hier den Gefängnisdirektor zum Besten gibt, dabei aber wie ein Stück Einbaumöbel agiert. Bei uns hat Mr.Hai-Alarm auf Mallorca seinen Part auch noch selbst synchronisiert, was die Zigarrenschmaucherei besonders albern macht.
Daß jede Zeile Text in diesem Film schier unglaublich blöd ist, brauche ich kaum noch zu erwähnen, da tut Selbsterfahrung Not.
Die absolute Krönung des versammelten Nichttalents fällt jedoch Kameramann Mathias Neumann zu, der wohl auf Bolls Anregung hin, die Anweisung, relativ nah am Geschehen zu sein, nahezu den kompletten Film mit der Handkamera aufnahm, während er an extremen Schüttelfrost litt. Delirisch wippt und schwankt das Bild den ganzen Film hin und her und versaut selbst noch die halbwegs spannenden Szenen in Seeds Haus bei fast kompletter Dunkelheit. Zahlreiche sinnfreie Nahaufnahmen von Augen oder Mündern runden schließlich den Eindruck der absoluten Unfähigkeit prima ab.
Für etwas Humor sorgten die Ausstatter, die es tatsächlich geschafft haben, eine Handvoll (aber auch nicht mehr) Requisiten aus den frühen Siebzigern aufzutreiben, die dann in einigen mühsam kaschierten Sequenzen eingesetzt werden. Dagegen sieht der erste „Austin Powers“ aus wie „Cleopatra“.
Zum Ende hin serviert uns der Filmemacher dann auch noch – man glaubt es kaum – ein gar bös-zynisches Ende, das wohl derbe schocken soll, uns seit dem ersten „Saw“ oder noch besser seit „Sieben“ eigentlich kaum mehr als ein müdes Gähnen entlockt. Im Gegenteil, die Gewaltkontroverse versandet hier einfach im Nichts, der Film endet offen, das Desinteresse des Publikums beseitigt den Rest.
Daß also auch dieser Bollfilm extrem schlecht ausfällt, ist kaum ein Wunder, kann er es doch einfach nicht.
Wo jedoch in seinen frühen Werken ein D-Klasse-Unterhaltungsanspruch eingelöst werden sollte (was dann auch bei den ganz Anspruchslosen gut gelang), hängt man sich hier zu Vermarktungszwecken ein psychologisches Deckmäntelchen der Kritik um die Schultern. Da es aber nur geschirrhandtuchgroß ist und die Macher per se nackt herumlaufen, nutzt es gar nichts – es provoziert maximal Wut über dermaßen gewinnorientierte Ausbeuterei. Und feige ist das alles noch dazu: wo die Italiener vor 25 Jahren im Dschungel tatsächlich ein paar Wildtiere abschlachten ließen, bedient sich Boll der Presse wegen vorsichtshalber im Tierschutzarchiv.
Ein rechter Dreck, für den man kein Geld ausgeben sollte. Seid gewarnt. (1/10)