Review

Es ist nicht uninteressant, ältere Werke eines Regisseurs retrospektiv mit seinen jüngsten zu vergleichen. Insbesondere wenn es sich um einen sehr guten handelt wie z. B. Clint Eastwood. Im 1972 entstandenen "High Plains Drifter" ist er noch ganz Western-Ikone und man möchte meinen der große Sergio sähe ihm bisweilen über die Schulter. Dennoch ist hier schon Eastwoods Lust an der Dekonstruktion bemerkbar, wenn auch nur in Spurenelementen und vielleicht am stärksten im Licht seiner späteren Filme.
Der von Eastwood verkörperte namenlose Fremde kommt in ein nicht unidyllisches an einem See gelegenes und daher mit einer gewissen Logik Lago genanntes Dorf und erschießt gleich mal drei Hitzköpfe, die als Sicherheitstrupps für eine nahegelegene Mine arbeiteten und sich als Chefs fühlten. Das löst im Dorf natürlich großes Bestürzen aus und wer nicht wußte, daß hier ein ganzer Friedhof im Keller liegt, der weiß es jetzt.
Im Unterschied zum typischen Spaghettiwesternheld geht aber die Rache an den verbrecherischen Minenleuten nicht linear vonstatten, im Django-Stil: Rächer kommt zurück, provoziert die Bösen, schießt alle nieder, sondern hier tut der Antiheld so, als ob ihn die Probleme, die die Minengesellschaft mit ein paar entlassenen Rowdies hat, gar nichts angingen, zeigt aber trotzdem den feigen Dörflingen seine Schießkünste, bis sie ihn bitten, die Verteidigung des Dorfes zu einem lächerlich hohen Preis zu übernehmen. Die Rache ist eben nicht nur eine physische, sondern auch psychisch, durch Erniedrigung ausgeführt.
Was die Bewohner noch nicht wissen, der Zuseher aber recht bald, ist, daß gerade die drei Wüstlinge es sind, die den ehemaligen Marshall des Dorfes mit Bullenpeitschen zu Tode gebracht haben. Was auch die Frage nach der Identität des Fremden klärt ... doch nicht ganz, wie das originelle Ende - und nicht erst dieses, wie der aufmerksame Betrachter zu ahnen beginnt - in den Raum stellen wird. Um die drei Banditen willkommen zu heißen, krempelt der Fremde das gesamte Dorf um: Sheriff und Bürgermeister werden kurzfristig entthront, Menschen müssen ihre Häuser verlassen, weil diese für andere Zwecke gebraucht werden und zuguterletzt werden alle Häuser rot gestrichen und der Ort in "Hölle" umbenannt. Als die drei endlich eintreffen, ist der Fremde weg und die Bewohner ihrem Schicksal überlassen.
Der Racheplot, der die Dorfbewohner den Verbrechern ebenso ausliefert wie Marshall Duncan damals, mit den tatenlosen Bürgern als Zusehern, ist inszeniert und mit einer Peitsche kann der plötzlich zurückgekehrte Fremde seine Absichten vollenden. Eines jedoch bleibt unklar, denn Marshall Duncan ist seinen Wunden damals tatsächlich erlegen. Die letzte Einstellung zeigt den Fremden wie eine Fata Morgana in der flimmernden Hitze der Prairie sich auflösen. Dieser radikale Bruch mit dem (pseudo)realistischen Westerngenre, der wohl die meisten, die durchaus keinen übernatürlichen Thriller zu sehen glaubten, zunächst etwas ratlos zurückläßt, ist wohl ein erster logischer Schritt zu seiner schrittweisen Zerlegung des Westerns, die Eastwood mit Pale Rider und zuguterletzt The Unforgiven konsequent fortgesetzt hat (witzigerweise trägt er hier schon einen Gehrock-ähnlichen Mantel). Doch bereits in ihrer Entwicklung baut diese Mischung aus Dürrenmatts "Besuch der alten Dame", Kings "Needful Things" und frühen Leone-Western, gekonnt Klischees auf, um sie dann so schief einzubauen, daß sie ihre Wirkung verlieren. Konsequent ist Eastwood auch darin, den Rächer als natürliche Identifikationsfigur nicht wirklich sympathisch aussehen zu lassen - die Frauen im Dorf vergewaltigt er (und klarerweise mögen sie das schlußendlich auch, da lächelt der Überpatriarch Leone am deutlichsten herab) und nicht alle Dörfler sind so übel, daß sie seine verächtliche Behandlung so verdienten. Doch ein Höllengespenst kann natürlich keine Haarspaltereien betreiben.
Vielleicht ist High Plains Drifter noch nicht wirklich voll ausgereifter Eastwood, aber die Handschrift wird unverkennbar. Die Inszenierung ist langsam aber nicht langatmig, die Dialoge bisweilen recht dominant und die Figuren sind, obgleich natürlich typisiert, dennoch sehr präzise gezeichnet. Wer einen guten Überblick über die Entwicklung von Clint Eastwoods filmischem Gesamtwerk haben will, kommt an High Plains Drifter nicht vorbei - er ist unter seinen 10 besten zu finden.

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