Marguerite Duras' Film „Nathalie Granger“ von 1972 begleitet zwei Frauen, Isabelle und ihre Freundin, die sich in einem abgeschiedenen Haus um Isabelles zwei Töchter kümmern, den Alltag dahintrudeln lassen, sich in wortkargen Diskussionen ergehen, dem Radio lauschen, den Haushalt führen, mit Vertretern reden, auf dem Sofa sitzen...
So in etwa könnte man den Inhalt dieses so ungewöhnlichen wie faszinierenden Films beschreiben, wenn das nicht viel zu belanglos klingen würde. Denn „Nathalie Granger“ erweist sich für den aufmerksamen (und, ja, ein wenig geduldigen) Zuschauenden als hinterrücks fesselnde Chronik der Ereignislosigkeit, die ihre unglaubliche Entschleunigung für ein zartes Hineintasten in emotionale und philosophische Bereiche hinter der Monotonie des Alltags nutzt.
Diese Monotonie wird in simpel und unspektakulär wirkenden, dabei aber streng durchkomponierten Bildern eingefangen. Die Kamera gleitet mit traumwandlerischer Langsamkeit, aber auch Leichtigkeit durch die verlassen wirkenden Räume des verwinkelten Hauses, fängt das Setting, die Wohneinrichtung, den leicht verwildert wirkenden Garten, die im Kontrast dazu irritierend urban wirkende Straßenfront des Hauses in grobkörnigem Schwarz-Weiß ein und passt sich der lethargischen Langsamkeit der Hauptfiguren auch formal an. Es gibt lange Sequenzen, in denen die Agierenden nur herumsitzen und dem Radio lauschen, in dem permanent von der polizeilichen Jagd auf zwei Gewaltverbrecher berichtet wird (ein Element, das für leichtes, diffuses Unbehagen sorgen kann, welches aber wiederum nie eingelöst wird, weil diese abstrakte Gefahr nie wirklich näher kommt); oder in denen sie durch den Garten flanieren, die üppige Natur zu genießen scheinen – so ganz kann man das hinter den eher starren Gesichtern nie wirklich deuten – oder in Erinnerungen an krisenhafte Momente verharren: dass die Tochter Nathalie wegen Gewalttätigkeit von der Schule genommen wird, an ihrer neuen aber den so wichtigen Pianounterricht verweigert.
Die unendliche Langsamkeit der Nicht-Ereignisse bringt die Monotonie des Alltags alleinerziehender Frauen so nicht durch eine naturalistische, sondern gerade durch eine leicht irreal wirkende Inszenierung ans Licht. Dazu passen dann auch immer wieder eingestreute repetitive Erinnerungen, etwa an das Gespräch mit der Schulleiterin – Sequenzen, in denen mitunter Sätze und Dialogfetzen direkt wiederholt werden – oder, als kleiner skurriler Höhepunkt, das Gespräch mit einem zufällig vorbeikommenden Waschmaschinenvertreter (der junge Gerard Depardieu), das man vielleicht nicht wirklich Gespräch nennen kann, da die beiden Frauen kaum mehr als ein ständiges „Nein“ von sich geben, während der unsichere Vertreter sich in seinen endlosen Monologen des Geräts verliert und am Ende über sein leeres, erfolgloses Leben sinniert, das in einer Sackgasse geendet scheint. In dieser Szene wirken die beiden Frauen, wie sie starr auf dem Sofa sitzen und ihn reden lassen, beinahe wie Hexen, die ihn kraft ihres Schweigens immer tiefer in die eigenen seelischen Abgründe ziehen. Solcherweise sickern hier immer wieder skurrile bis groteske, leicht irreale Aspekte in die Handlung ein, ohne diese je vollends ins Surreale zu verkehren – auch wenn manche Momente durch asynchrone Inszenierung besonders irritierend werden, etwa den unpassend eingespielten Piano-Soundtrack zu den Händen der übenden Schülerin.
Wer sich darauf einlässt, erlebt mit „Nathalie Granger“ ein faszinierendes Stück meditativen Films, das zeigt, wie man durch streng durchkomponierte und formal gelungene Inszenierung selbst eine quasi nicht vorhandene Handlung spannend und zunehmend fesselnd umsetzen kann. Wie sich nach und nach unter der brüchigen Oberfläche des ermüdenden Alltags seelische, emotionale, psychische und philosophische Fragen und Problemfelder eröffnen, die stets so unkonkret bleiben, dass dem Zuschauenden viel Raum für eigene Interpretationen und Assoziationen gegeben wird, ist wirklich packend mitzuerleben. Und das, obwohl selbst die Bewegungen der Agierenden künstlich verlangsamt scheinen, wenn etwa eine der Frauen getragen durch die Räume schreitet. Für geduldige Cineasten gibt es hier definitiv viel zu entdecken.