Review
von rubinek
Während eines Cricket-Spiels zwischen Insassen einer psychiatrischen Anstalt und Dorfbewohnern erzählt Charles Crossley (Alan Bates) seine unglaubliche Geschichte. Sie beginnt damit, dass er anscheinend obdachlos durch England streift, nachdem er zuvor 18 Jahre im australischen Outback verbracht hat. Crossley ist eine charismatisch und unterschwellig bedrohliche Erscheinung. Er spricht den Kirchenorganisten und experimentellen Komponisten Anthony Fielding (John Hurt) an und lädt sich selber zum Essen im abgelegenen Haus bei Anthony und seiner Frau Rachel (Susannah York) ein. Crossley erzählt von den archaischen Riten Australiens. Unter anderem behauptet er, eine Technik gelernt zu haben, mit einem Schrei Menschen töten zu können. Crossley dringt immer mehr in den Alltag der beiden ein und Rachel scheint von ihm angezogen zu sein. Er infiltriert das Leben der beiden und fordert Anthony auf, dessen Kompositionen er für Totgeburten hält, einer Demonstration des Todesschreis beizuwohnen. Dies ist der Beginn einer Auseinandersetzung, in der es ums nackte Überleben für Anthony geht.
»The Shout« ist ein vielschichtiger Film, den man schwerlich als Horrorfilm bezeichnen kann, auch wenn er zweifellos Elemente dieses Genres enthält. Er ist ebenso Kunstfilm und Beziehungsdrama. Der eher schwache Anthony erinnert an David Sumner aus Peckinpahs »Straw Dogs« (USA 1971). Statt der Dorfbewohner steht dem intellektuellen Anthony als eine Art düsterer Magier Crossley gegenüber. Alan Bates spielt diesen intensiven Charakter mit einer wahren Naturgewalt. Der Todesschrei selber, in der grandiosen englischen Küstenlandschaft, hätte wohl kaum besser umgesetzt werden können. Magisches Denken und skurrile Sagen bestimmen den Grundton. Es sind die Art von Geschichen, die gleichzeitig lächerlich und doch zutiefst beunruhigend wirken können. Diese Stimmung fängt der Film mit seiner streckenweise avantgardistischen Art beeindruckend ein.
Dass unsere Wahrnehmung der Welt nur eine Auslegung von vielen sein könnte, liegt auch in der Grundkonstruktion des Films inne. Crossley erzählt die Geschichte, die wir zu sehen bekommen, doch es ist nicht mal klar, ob er Insasse der Psychiatrie ist oder nicht. Ebenso sagt er selber, seine Geschichte sei wahr, aber er ändere immer wieder Details, damit sie lebendig bleibt. Die Personen in der Geschichte sind auch Teil des Cricket-Spiels der Rahmenhandlung. Fabuliert sich Crossley seine Erzählung mit Personen aus seinem Alltag zurecht? Was ist Wahn, was ist Wirklichkeit?
Eine intensive Filmerfahrung, die ich nur jedem empfehlen kann, der empfänglich für Werke außerhalb des gängigen Schemas ist. »The Shout« ist schwer in Worte zu fassen. Ein herausragender Film, dessen Kameraarbeit superb ist und dessen Tongestaltung für eine Produktion von 1978 mit eher geringem Budget ein Novum darstellt.
Die Blu-ray aus Großbritannien kann ich vorbehaltlos empfehlen.