Falsches Indien, falsches Epos?
Historische Epen und Schlachtengemälde boomten in den 90ern und waren schon immer ein Spezialgebiet des guten Ridley Scott. Mit „1492: Conquest of Paradise“ wollte er noch höher hinaus und weiter weg als bis dato gewohnt und möglich, irgendwo zwischen Werner Herzog, kitschigem Kopfkino und Geschichtsunterricht mit argen Verfälschungen und Freiheiten - über den Traum, die Reise und die Entdeckung von Christopher Columbus, wie er meinte Indien entdeckt zu haben und dabei Amerika fand…
Route zum (Un)Glück
Selten habe ich es bei einem Film mehr gespürt, dass die Musik ein fast genauso großer Darsteller ist wie seine Stars. Streicht das „fast“ - Vangelis Score zu diesem See- und Dschungelmassaker ist ein eigener Hauptdarsteller und absoluter Dreh- und Angelpunkt. Da können Gerard Depardieu und seine knollige Nase noch so oft in Großaufnahme gezeigt werden. Desweiteren ist der Dschungel hier grandios, alles wirkt echt und noch erfreulich CGI-frei. Der wohl größte Grund, warum ich solche Epen vergangener Tage vermisse und immer wieder gerne genieße. Was man sieht war wirklich da! Die enormen Unterschiede der Missionare und der Eingeborenen werden schnell klar. Die Bilder, Töne, Stimmungen sind über jeden Zweifel erhaben. Das kann Ridley Scott, damals wie heute. Dem Mammutwerk fehlt etwas die Konzentration, die Führung, das Ziel, die Richtung, er wirkt in seinen madigsten Phasen genauso sprunghaft wie leer, genauso gehetzt wie mäandernd, weder Charakterporträt noch Schlachtplatte. Da fehlen dann etwas Konzept und Klarheit, Hauptthema und eine wirklich gute Regie in Sachen Handlung, Schnitt, Tempo. Andererseits tragen die epischen Bilder, die dichte Atmosphäre, die Stars, das gesamte Unterfangen samt Mut und Manie, einen schon enorm gut durch, phasenweise fast sphärisch, metaphorisch, alptraumhaft und collagenhaft, eher Musikvideo als Geschichte. Aber bei dieser Musik, wer will es Scott verübeln?! Das hat alles ohne Zweifel auch darauffolgende Abenteuer wie „Apocalypto“ oder „Master & Commander“ beeinflusst.
Fazit: die Musik von Vangelis ist ein All-Timer und absolut legendär, nicht nur das berühmte Thema. Der Rest ist hochwertig, exzessiv und hübsch - aber fragwürdig. Als pompöses Abenteuer und Expedition genießbar. Historisches und Logisches darf man dabei nicht zu genau nehmen - was bei Scott ja nichts Neues ist. Unterhaltung, Stimmung und Bilder kann er aber. Audiovisuell ist das bleibend.