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"Erben bringt sterben" lautete der Titel einer Episode der Kultserie "Die Zwei" mit Roger Moore und Tony Curtis und dieser prägnante Titel fast die Handlung des 16. Wallace-Krimis  mit dem Titel "Das indische Tuch" perfekt zusammen.


Dabei erinnert die Ausgangssituation nicht von ungefähr an Agatha Christies Krimiklassiker "10 kleine Negerlein": Der Tod von Lord Lebanon führt die völlig zerstrittene Sippschaft zur Testamentseröffnung auf das Anwesen des Verblichenen zusammen. Rechtsanwalt Tanner (Heinz Drache) verkündet den "vorletzten Willen", nach dem die Familie sechs Tage und sechs Nächte in dem alten Gemäuer des Lords verbringen soll, um sich auszusöhnen. Erst danach wird das endgültige Testament verlesen. Murrend fügen sich die Angehörigen dieser unerwarteten Schikane - andernfalls verfällt ihr Erbanteil. Ein Unwetter unterbricht plötzlich die Strom- und Telefonleitung und schneidet das Anwesen von der Außenwelt ab. Kurz darauf wird der erste Erbe mit einem indischen Tuch erdrosselt.

Abgesehen von der Parallele zu Agatha Christie bildet Alfred Vohrers Inszenierung des Drehbuchs vom Autoren-Duo H.G. Petersson und Georg Hurdalek zweifelsohne eines der Meisterwerke der Reihe. Ein Jahr vor dem sensationellen Erfolg mit "Der Hexer" entstand auch hier mit einer illustren Besetzung und einer dichten Gag-Quote ein pfiffiger Krimispaß, der die klassische "Whodunit"-Spannung mit der typischen Wallace-Atmosphäre kreuzt. Die Mischung aus Krimi und Komödie ist wunderbar ausgewogen, das Drehbuch strotzt nur so vor köstlichen Dialogen, undurchsichtiger Charaktere und einfallsreicher Ideen. 

Der Reihe nach wird einer nach dem anderen gemeuchelt, wobei Regisseur Vohrer wieder einmal inszenatorischen Einfallsreichtum unter Beweis stellte und den Großteil der Morde mit der subjektiven Kamera inszenierte, so dass der Zuschauer die Tat aus der Sicht des Täters beobachtet und lediglich die Opfer und die schwarzen Handschuhe des Täters sieht, die das Tuch zu einem Strick formen, der dem Opfer um den Hals gelegt und damit erdrosselt wird. 

Dass das "10 kleine Negerlein"-Prinzip nicht auf Dauer ermüdend wirkt, liegt vor allem an dem cleveren Drehbuch, das viel mehr hergibt als nur eine lose Abfolge von Meuchelmorden. Die Charaktere sind gut skizziert, die Dialoge pointiert und die Ausstattung ist einfach erstklassig. 
Die unheimliche Atmosphäre, die allein durch die Schwarz-Weiß-Inszenierung hervor gerufen wird, wäre in Farbe niemals so perfekt zur Geltung gekommen und macht das absurde Kuriositätenkabinett aus Suspense und schwarzen Humor zu einem Erlebnis, das auf diesem qualitativ hohen Niveau nur noch vom "Hexer" erreicht wurde.
Alfred Vohrer schafft es, das komplette Gemäuer, in dem sich die kammerspielartige Krimihandlung abspielt, bis in den kleinsten Winkel auszunutzen, so dass durch ständige Ortswechsel innerhalb des großen Anwesens zusätzliches Tempo in die rasante Inszenierung einfließt. Vom Kellergewölbe über die Familiengruft bis hin zum Taubenschlag auf dem Dachboden - das Ensemble ist ständig in Bewegung und das liebevoll ausgestattete Setting bietet dem Zuschauer eine Menge fürs Auge.

Da im Laufe der Spielzeit die meisten Hauptverdächtigen zügig ins Gras beißen hält sich der Spannungsbogen zwar etwas in Grenzen, wird allerdings durch die hochkarätige Besetzung und das grandiose Zusammenspiel zwischen Elisabeth Flickenschildt und Hans Clarin als bizarres Mutter-Sohn-Gespann mehr als wett gemacht. 
Auch die unterschiedlichen Charaktere und die gegenseitigen Verdächtigungen unter den Erben verleihen dem Krimi zusätzlichen Pfiff und Spannung - hier können vor allem Hans Nielsen als Mr. Tilling und Klaus Kinski in der undurchsichtigen Rolle als Peter Ross herausragen.
Siegfried Schürenberg hat hier noch vor seiner Ernennung zum Scotland Yard-Chef Sir John einen bemerkenswerten Auftritt, während Heinz Drache und Eddi Arent in ihren obligatorischen Rollen wie gewohnt glänzen.

"Das indische Tuch" ist ein großartiger Spaß, der dem Zuschauer auch in der x-ten Wiederholung noch Freude bereitet. Ein zeitloser Klassiker auf höchstem Niveau!

8/10

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