Review

Die nach einem Reitunfall erblindete Sarah will ein paar Tage bei der Familie ihrer Tante in der Provinz verbringen. Ein großes Landhaus, Zurückgezogenheit, ein früherer Freund, Pferde, ... Herbst auf dem Lande eben. Aber diesen Morgen ist alles anders, denn das Haus ist völlig ruhig und wie ausgestorben. Ein Mörder war da, und er hat Spuren hinterlassen die ein blindes Mädchen nicht sehen kann. Doch er hat auch etwas verloren was gefunden werden kann, ein Armband, und dafür muss er zurückkommen. Zurückkommen in ein Haus, in dem nur noch ein blindes Mädchen ist ...

Klingt ja eigentlich sehr gut. So ein wenig wie die englische Antwort auf Terence Youngs Klassiker WARTE BIS ES DUNKEL IST, in dem sich eine blinde Frau und ein Killer ein tödliches Psychoduell liefern. Aber leider köchelt der Film lange auf der Sparflamme bis er sich entscheidet mal ein wenig ernsthafter zu werden. 45 Minuten Exposition sind einfach ein wenig viel, um nur englisches Landleben, Reitausflüge und heitere Erlebnisse der britischen Upper Class zu zeigen.

Nach diesen 45 Minuten allerdings wird die Spannungskurve angezogen, wenn der Zuschauer allmählich durch das Haus geführt wird und nach und nach die Anzeichen des Schreckens entdeckt. Hier ein paar Schuhe in denen noch Beine stecken, dort ein herunterhängender Arm, ... Und dazwischengeschnitten immer wieder die Stiefel des Killers, die Stiefel die den Tod bedeuten. Diese Stiefel haben wir bereits zu Beginn des Filmes kennengelernt und wissen, dass der Besitzer dieser Stiefel ein eher unangenehmer Zeitgenosse ist,  der vorwiegend auf Krawall gebürstet ist. Nur, wir wissen nicht wer sich hinter diesem, das Wortspiel sei mir erlaubt, Stinkstiefel verbirgt, die Kamera zeigt nie sein Gesicht, er kann bis zum Ende nur anhand dieser Stiefel identifiziert werden, wodurch sich eine gewisse Spannung aufbaut (die leider vom Drehbuch ob der ausgesprochen wenigen möglichen Verdächtigen gleich wieder torpediert wird). Eine Charakterisierung wie beispielsweise in Stephen Kings THE LAST STAND (dem Buch wohlgemerkt), wo das ultimative Böse Cowboystiefel trägt und damit auch personifiziert wird.

Stichwort Kamera, die leistet hier auf gleich zwei Ebenen allerdings ganz Vorzügliches: Zum einen durch häufige lange und langsame Kamerafahrten durch das Haus - Der Zuschauer ist sich nie wirklich im Klaren, ob es sich nun um eine rein technische Kamerafahrt handelt oder um die Perspektive des Killers. Gleichzeitig geschieht eine Reduktion auf Details, etwa verschiedene gewalttätige, im Hintergrund gezeigte, Momente auf einem nächtlichen Spaziergang durch die Stadt. Auch wird das Innere des Hauses oft nur teilweise gezeigt, oder vom Boden aus in einem extremen Weitwinkel gefilmt. Dadurch bekommen die Kamera und damit der Zuschauer eine eingeschränkte Sicht auf die Dinge, der Horizont wird trotz der vermeintlichen Weite verengt. Und mit diesem ganz einfachen Stilmittel kann sich der Zuschauer mit Sarah identifizieren, wird er in ihre Situation gedrückt und kann ihren Horror nachempfinden.

Leider ist nicht alles in dem Film so gelungen. Bei Elmer Bernstein hatte ich den Eindruck, dass er mit dem Film überfordert war, als so hilflos und unpassend empfand ich die Musik. Dass bei dem Kampf am Stall dann sogar ein kurzes Flair der GLORREICHEN SIEBEN aufkommt war mir vor meiner Frau sogar peinlich. Auch dass das Haus während de sich zuspitzenden Showdowns sehr schnell verlassen wird fand ich schade, hätte sich hier doch die Möglichkeit eines dunklen und spannenden Kammerspiels ergeben, wohingegen ich die Öffnung der Geschichte in die Weite der englischen Landschaft als verpasste Chance sehe.  Ich denke da an den 3 Jahren später entstandenen und leider recht unbekannten SYMPTOMS von José Ramón Larraz, der fast ausschließlich in einem englischen Landhaus spielt, und aus diesem abgeschlossenen Setting viel Klaustrophobie und Terror herausholen kann. Auch sind in SYMPTOMS Räume und Gänge enger, was zu einer sehr dichten Atmosphäre führt, zu einem Gefühl des Eingeschlossenseins und der Verfolgung. In STIEFEL hingegen sehen wir weite Räume, in denen Sarah sich vollkommen verloren fühlen kann. Klar: Man stelle sich in einen Raum, schließe die Augen und drehe sich zweimal im Kreis. Und prompt wird man keinerlei Ahnung mehr haben wie weit die nächste Wand entfernt ist. Genauso fühlt sich Sarah, und genauso fühlt sich auch der Zuschauer - Verloren in den Tiefen des Raums. Und das Kammerspiel mit dem blinden Mädchen hatten wir ja im erwähnten WARTE BIS ES DUNKEL IST erst erlebt. Von daher sicher die richtigere Entscheidung, auf Weite zu setzen anstatt auf Enge ...

Und insofern sind das alles rein persönliche Ansichten und Vorlieben. Sicher ist, dass Sarahs grauenhafte Situation erstklassig vermittelt werden kann, was auch dem außerordentlichen Spiel Mia Farrows zu verdanken ist. Die Dreharbeiten müssen für sie eine wahre Tortur gewesen sein, aber was sie hier leistet ist ganz ganz große Kunst (und Leidensfähigkeit). Und eben so überzeugend ist der Umstand, dass der Film zu Ende ist wenn er zu Ende ist. Eine Erklärung für die Vorgänge wird nicht geliefert, die Motivation des Täters bleibt ungeklärt, was eine unangenehme Portion Realismus ins Spiel bringt, denn wann erfahren wir schon einmal die Hintergründe einer schrecklichen Tat?

Somit ist das Fazit leider etwas zwiegespalten: Zum einen eine technisch hochstehende Umsetzung und erstklassige schauspielerische Leistungen, zum anderen ein nicht immer überzeugendes Drehbuch. Einen Tag nach der Sichtung war ich immer hin- und hergerissen zwischen verhaltener Begeisterung und ungläubigem Staunen, und mit mehreren Wochen Abstand hat sich diese Zerrissenheit leider immer noch nicht gelegt. Die erstklassigen Kritiken im Internet kann ich ohne weiteres nachvollziehen, aber für mich persönlich ist das Fazit dann halt doch etwas gedämpfter.

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