Review

Fragt man die Leute auf der Straße nach dem erfolgreichsten oder größten Film aller Zeiten, kommen heutzutage in der Regel Antworten wie "Titanic" oder "Der Herr der Ringe". Ersterer wird ja sogar offiziell als der Film mit dem höchsten Einspielergebnis überhaupt geführt. Das mag auf die Kinovorführung zutreffen - Tatsache ist jedoch, dass samt Kino, Fernsehrechten, Video- und DVD-Vermarktung bis zum heutigen Tage "Vom Winde verweht" der ertragreichste Film aller Zeiten ist.

Und das nicht ohne Grund. Die Geschichte gehört für mich zu den gigantischsten und mitreißendsten Epen der Kinogeschichte. Es geht um die junge Scarlett (Vivien Leigh), die auf der Farm ihrer wohlhabenden Familie im tiefsten Süden lebt, kurz vor Ausbruch des amerikanischen Bürgerkriegs. Sie ist die begehrteste Frau der Gegend, kann praktisch alle Männer um den Finger wickeln - doch der Einzige, in den sie verliebt ist, verkündet bald die Hochzeit mit einer anderen. Rasend vor Eifersucht und Verzweiflung gesteht sie ihm ihre Liebe, die er jedoch strikt abweist. In diesem Zustand emotionaler Aufgebrachtheit begegnet Scarlett dem berüchtigten Rhett Butler (Clark Gable) - es ist eine Begegnung, die ihr Leben verändern soll. Ist sie anfangs von seinem arroganten Auftreten angewidert, verliebt er sich auf den ersten Blick in sie und lässt von nun an nichts unversucht, ihr Herz zu gewinnen. Selbst durch die schrecklichen Wirren des Bürgerkriegs verlieren sie sich nicht aus den Augen und nach vielen dramatischen emotionalen und gesellschaftlichen Verwicklungen entschließt sie sich endlich, ihn zu heiraten. Doch ihr gemeinsames Leben steht unter keinem guten Stern.

Vivian Leigh und Clark Gable wurden durch diesen Film zum Inbegriff des Traumpaares. Die Art und Weise, wie sie miteinander agieren, sich in ebenso eleganten wie ironischen Dialogen bekriegen, wie sie sich in die Arme schließen und natürlich der wohl berühmteste Kuss der Filmgeschichte - all dies sprüht eine Magie aus, der sich zu entziehen eine Unmöglichkeit darstellt. Ihr intensives Spiel verwandelt die erste Hälfte des Films in ein amüsierendes, packendes Liebesgeplänkel, während der Schlussteil, wenn ihre Ehe durch die Verbitterung beider allmählich in die Brüche geht, zu einem der dramatischsten Beziehungsdramen überhaupt wird.

Doch nicht sie sind es, die dem Film seine Größe und Kraft verleihen. Beinahe jedes Bild verströmt die Energie eines klassischen Epos und zieht den Zuschauer in einen gewaltigen Strudel aus großen Emotionen, Spannung und Abenteuer. Schon der Titel, der in riesigen Buchstaben durch das Bild zieht, impliziert eine kaum greifbare Größe. In satten Farben erstreckt sich der orange entflammte Himmel über dem geliebten Land, das dem Untergang geweiht ist, degradiert die Personen zu bloßen Silhouetten, die vor der Größe der Schöpfung zu einem Nichts zusammenschrumpfen. Die Bälle und Feste sind rauschende Feiern voll Tanz, Lebensfreude und Bewegung. All das wird beständig von mitreißender Musik, die sich oft der Technik des Micky Mousing bedient, unterlegt, was die Atmosphäre noch weit mehr verdichtet. Und wenn schließlich der Krieg mit all seiner Brutalität einzieht, verwandeln sich die Bilder größten Friedens in Bilder des größten Leidens: Wenn Scarlett auf der Suche nach einem Arzt für ihre hochschwangere Freundin durch ein ganzes Heer verwundet und sterbend im Staub liegender Soldaten schreitet, entwickelt der Film eine Intensität, die der eines Kriegsfilms gleichkommt.

Mitunter weicht die Geschichte hierin sogar sehr weit von ihrem Hauptthema ab - der verlorene Krieg wird als ein so fundamental erschütterndes Ereignis präsentiert, dass daneben kein Platz mehr bleibt für so belanglose Dinge wie die Liebe oder die emotionale Verwirrtheit der jungen Scarlett, die zwei Männer verlieren muss, bevor sie sich für Rhett Butler entscheidet.

Betrachtet und bestaunt man all diese Größe, diese Energie und zeitlose Eleganz, die der Film in jeder Minute verströmt, ist es geradezu eine Schande, dass er in einem Punkt das genaue Gegenteil verheißt - Kleinheit, Beengtheit im Geiste. Ideologisch gesehen muss "Vom Winde verweht" nämlich mit äußerster Vorsicht genossen werden: Nicht nur, dass der alte Süden mit seiner erzkonservativen und rassistischen Haltung kommentarlos als "verlorenes Paradies" dargestellt, ja geradezu verklärt wird. Nein, die Sklavenhaltung, die ja eines der größten Streitthemen zwischen Süden und Norden war, wird im einleitenden Text sogar explizit erwähnt, wenn von einem Land mit geregelten Normen die Rede ist: "Herren und Sklaven" werden als die ursprüngliche und von Natur her korrekte Gesellschaftsordnung akzeptiert. Diese Haltung durchzieht den ganzen Film - die Nordstaatler sind gewalttätige, morallose Verbrecher, die ein ehrbares Land in Schutt und Asche legen und ihm all seine Schönheit und Einfachheit nehmen. Die Schwarzen werden entweder als lebensunfähige Idioten, die kaum richtig sprechen können, oder als freundliche Helfer dargestellt, die in ihrer Rolle als Untergebene so tief verwurzelt sind, dass sie etwas wie Freiheit gar nicht nötig haben, um ein erfülltes Leben zu führen.

Selbstverständlich ist die Thematik der Sklavenbefreiung nicht auf einen so einfachen Nenner zu bringen wie "Die Nordstaatler haben die Sklaven befreit und alles war gut". Doch angesichts der Tatsache, dass "Vom Winde verweht" in den 30er-Jahren entstand, als es in den USA durchaus noch selbstverständlich war, Schwarze als minderwertige Menschen anzusehen, ist es mehr als nur bedauerlich, dass ein Film von so erhabener Inszenierung und Energie sich selbst durch einen so veralteten und menschenverachtenden Standpunkt schädigt.

Doch auch das hat ihn nicht davon abhalten können, sich einen ewigen Platz in der Filmgeschichte zu sichern (und die Tatsache, dass Hattie McDaniel als erste Schwarze einen Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt, beweist, dass die Rassismus-Thematik im Zusammenhang mit "Vom Winde verweht" durchaus komplizierter ist, als ich sie hier darzustellen vermag). Man braucht Durchhaltevermögen und Sitzfleisch, um sich diesen Dreieinhalbstundenfilm anzusehen, doch wenn man es geschafft hat, kann man sich sagen, dass man einem der gewaltigsten Filme aller Zeiten beiwohnen durfte, mit dessen Größe sich vielleicht nur Cecil B. DeMilles "Die zehn Gebote" und James Camerons "Titanic" messen können. Und das ist etwas Ausdauer doch wohl allemal wert.

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