Review

"Weißer Menschenmüll"

US Bundesstaat Indiana 1965: Da sich ein Ehepaar wegen beruflichen Gründen momentan nicht in der Lage sieht sich richtig um seine Töchter zu kümmern, beschließen die Eltern ihre Teenager einer kaum bekannten allein erziehenden Frau (Mutter einer ca. sechsköpfigen Brut) für 20 Dollar Pflegegeld die Woche zu überlassen. Die Eltern arbeiten als Schausteller auf einem Wander Rummelplatz und die Kinder sollen nicht immer wieder aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen werden. Anfangs läuft auch alles bestens. Die ältere Sylvia versteht sich blendend mit der frühreifen Paula. Diese ist die älteste Tochter von Silvias "Pflegemutter" Gertrude. Als Sylvia sich gutgemeint aber unbedacht in eine Schwangerschaftsgeschichte von Paula einmischt, unterschreibt sie unbewußt ihr Todesurteil....

Wenn man sich hinsetzt um über den Film "AN AMERICAN CRIME" zu schreiben, muß man etwas weiter ausholen als es gewöhnlich der Fall ist. Der Film basiert auf einem unfaßbaren Verbrechen aus dem Jahre 1965. Ein 16 Jahre altes Mädel wurde von ihrer "Pflegemutter", deren "KINDER"und "KINDERN" aus der gesamten Nachbarschaft, über einen Zeitraum von mehreren Wochen genüßlich sadistisch zu Tode gefoltert. Sylvia wurde von ihren der Gruppendynamik verfallenen Peinigern überhaupt nicht mehr als fühlendes Lebewesen betrachtet. Jeder durfte mal, Verstümmelung und Vergewaltigung inklusive! Sylvia starb unterernährt und völlig ausgetroknet (Wassermangel) an den Folgen ihrer furchtbaren Verletzungen. Die Nachbarn fühlten sich trotz der ständigen Schreie des Mädchens selbstverständlich nicht zuständig. Eltern der kindlichen Mittäter meinten nur: "Siehst Du, das passiert wenn man unartig und nicht sauber ist". Das die gesamte Scheißbagage streng gläubig war und jeden Sonntag brav in die Kirche gerannt ist, braucht eigentlich nicht erwähnt werden, oder?

Das erste Mal das ich mit diesem Fall in Kontakt kam war, als ich meinen zweiten JACK KETCHUM Roman las. Herr KETCHUM (bürgerlich Dallas Mayr) ist ein Hardboiled Horror Autor, dessen Debut "Beutezeit" (der wahre HILLS HAVE EYES) einen unbeschreiblich rasanten, wirklich empfehlenswerten Abstieg in die Hölle bedeutet. Sein Buch "The Girl Next Door" (dtsch. "Evil") basiert auf den ersten Blick ziemlich lose, in den expliziten Augenblicken aber doch sehr nahe, auf den Fall Sylvia Marie Likens. Der Roman ist am besten so zu beschreiben: STAND BY ME meets SPLATTER PUNK. Mich persönlich hat die Geschichte zwar berührt, aber die stupiden Folterungen und Sado Maso Anleihen (Ein Nachbarsjunge verliebt sich in das Opfer, macht aber doch fasziniert mit, er entdeckt seine Sexualität, weiß das es falsch ist, bla bla) ödeten mich ab einen bestimmten Punkt nur noch an. 2007 wurde Ketchums Roman dann von einem gewissen Gregory Wilson schlecht verfilmt. Wilsons Langweiler betont noch mehr die STAND BY ME Variante, läßt wichtige Handlungsstränge einfach weg, überzeichnet die BÖSE BÖSE Rabenmutter bis ins Groteske, besetzt jämmerlich agierende Jungdarsteller einfach unpassend und verfälscht leider auch noch total das Ende. Dieser Film ist eine überbewertete Nullnummer.

Zurück zu "AN AMERICAN CRIME" von Tommy O' Hawer. Der Regisseur sagte mir nichts. Ein OFDB Blick in seinem "Lebenslauf" lies mich doch eher würgen. Um so erstaunlicher war dann das gerade besprochene Resultat seiner Kunst als Filmschaffender. O' Haver gelingt es doch tatsächlich einen guten True Crime (wie ich diese oder ähnliche Modewörter hasse) Film auf den Bildschirm zu zaubern. Im Vergleich zum belanglosen "The Girl Next Door" geht "AN AMERICAN CRIME" schon wegen der viel besseren Schauspieler, deren Rolleninterpretation und des Gespüres des Regisseurs für die Nebencharaktere als klarer Sieger hervor (im Rennsport würde man sagen: Überrundet Amigo!). Der kleinste Arsch in Gertrudes Redneck Familie bekommt sogar genau die Zeit vom Regisseur bis man weiß: Hey, unter den Glubschaugen lauert ein gefährlicher Sadist (z.B. die Szene beim Hunde füttern!). Gertrude wird gespielt von der hervorragenden Catherine Keener. Diese Dame durfte bis jetzt kaum Hauptrollen spielen und war gerade mal als Sidekick für Nick (DR. FU MAN CHU) Cage in der Komödie "8 Millimeter" gut genug. Die 48 jährige Keener bringt das Kunststück fertig, ihre Gertrude als gescheiterten Menschen und nicht als Monstermama dem geneigten Zuschauer dar zu bieten. Sie ist einfach als Mutter überfordert, wird als Frau von ihrem jungen schnorrenden Ficker geschlagen und ausgenutzt. Sie hat kaum Geld, flüchtet sich in Selbstmitleid, Nikotinsucht und den Suff. Da braucht es nur ein Tröpfchen, welches das Fass überlaufen läßt und dann machts Peng. Man läßt seine Wut an einem schwächeren aus und das ist irgendwie befreiend. Das Scheißleben in dem man sich ausweglos befindet, ist zwar nicht verschwunden, aber man hat nen menschlichen Punchingball im Keller. Ist doch auch was, oder? Das Opfer Sylvia wird von Ellen Page gespielt. ich mag die Page mit ihrem Lolita Image eigentlich nicht so gerne, was aber nichts daran ändert, das Ellen ihren Job wirklich klasse macht. Besonders die Traum/Schluß/Sterbe Sequenz, in der uns Regisseur O' Hawer erst foppt, um dann sehr intensiv in unsere humanoide Gefühlswelt einzudringen, ist schwer zu verdauen. Ünnötig zu erwähnen ist eigentlich, ich tue es trotzdem, das O' Hawer darauf verzichtet sich als Lucio Fulci des neues Centuries zu versuchen. Der Horror spielt sich gößtenteils im Gulliver (Kopf) des erschütterten Betrachters ab und das ist in diesem wichtigen Fall sehr gut so! Ein Direct To Video Highlight des noch jungen Filmjahres 2008. Hoffentlich bekommt "AN AMERICAN CRIME" die Beachtung, die er verdient hat.

Details
Ähnliche Filme