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„Du hast nicht die geringste Ahnung, auf was du dich da eingelassen hast...“

Mit „Lisa-Alisa – Licht und Schatten“ aus dem Jahre 2003 legte der deutsche Regisseur Jochen Wermann seinen nach „Last Summer“ (1994) zweiten und bisher letzten Spielfilm vor. Das semiprofessionelle, überwiegend mit Laiendarstellerinnen und -darstellern besetze Liebesdrama behandelt das Thema Bulimie und beruht nach eigenen Angaben auf wahren Begebenheiten.

„Bei dir ist immer gleich alles schwarz oder weiß!“

Achim (Jens Finn, „NVA“) besucht seinen alten Kumpel Hannes (Sven Hönig) in Berlin. Auf der Zugfahrt entdeckt er eine attraktive junge Frau (Mascha Mareen, FBI“), die im selben Abteil sitzt, und zeichnet ihr Antlitz heimlich in sein Notizbesuch. Und, Überraschung: Hannes kennt sie und vermittelt den Kontakt! Lisa, so heißt sie, gibt sich zunächst unnahbar, doch bald kommt man sich aufgrund gegenseitiger Sympathie trotzdem näher. Achim hält sie für essgestört, und tatsächlich: Lisa leidet unter Bulimie. Dennoch werden sie ein Paar und ziehen sogar zusammen…

Das Thema Bulimie kommt verhältnismäßig früh aufs Tapet: Als sich Achim noch während der Kennenlernphase überlegt, sich an einer Kunstakademie in Rom zu bewerben, scheint dies Lisa zu missfallen, was sie aber nicht ausspricht. Stattdessen kauft sie beim gemeinsamen Supermarktbesuch einen Einkaufswagen voller Junkfood, stopft alles in hinein und geht sich anschließend übergeben. Sprichwörtlich frisst sie also alles in sich hinein und kotzt es wieder aus – wie man in dieser Sequenz exemplarisch erfährt auch (bzw. gerade) ihre Unzufriedenheit. An Achims Faszination für Lisa ändert das indes nichts, er findet es „irgendwie spannend“. Die beiden vertiefen ihre Beziehung miteinander; offenbar glaubt Achim, er könne Lisa helfen, indem er ihr Stabilität bietet und Liebe gibt. Lisa ist zuweilen jedoch eine richtige Schreckschraube und macht es Achim damit nicht unbedingt leicht.

Im Laufe der Zeit führt Wermann weitere Figuren ein: Achims Freund Klaus (Lars-Kilian Falk, „Rosenstraße“), mit dem er im Zug saß, taucht plötzlich auf und greift in die Handlung ein. Als Achim Lisa dazu drängt, sich mit ihrer Mitbewohnerin Kathrin (Ellen Treede) auszusprechen, dreht sie plötzlich durch. Und an Weihnachten fahren sie gemeinsam ihren Vater (Holger Friedrich, „Tolle Lage“) besuchen, wo man ihre Familiengeschichte erfährt: Scheidungskind usw. Zwar wollte sie eines Morgens Tabula rasa machen und entsorgte all ihre Junkfood-Vorräte, doch bei Rückschlägen im Zusammenleben und bei der Zukunftsplanung verfällt sie stets in alte Fresskotzmuster. Zudem ist sie nur selten liebevoll, die meiste Zeit vielmehr schlicht unsympathisch, was es schwer nachvollziehbar macht, was Achim an ihr findet. Konsequenterweise scheitert die Beziehung, ihr Weg aus der Bulimie wird in einer knappen Texttafel am Schluss lediglich angedeutet. Wie genau sie es schafft und worin überhaupt die Ursachen für ihre Erkrankung zu finden sind, bleibt nebulös.

Das ist für einen solchen Film, der offenbar produziert wurde, um für Verständnis für von dieser Krankheit Betroffene zu werben, ein bisschen mau. Auf Menschen, die mit jemand Bulimiekrankem liiert sind, dürfte der Film eher abschreckend und desillusionierend wirken. Ich kann jedoch nicht ausschließen, dass ich den Film nicht verstanden habe, und zwar im Wortsinn: Die sicherlich nicht ganz unbedeutenden Dialoge unterliegen derart starken Lautstärkeschwankungen, dass so einiges im unteren Dezibelbereich schlicht untergeht. Neben dem engagierten Schauspiel insbesondere Mascha Mareens darf sich das Auge an einigen originellen Szenenübergängen erfreuen, wobei jener Part, in dem Achim von einer Tür, die er hinter sich schließt, zur nächsten gerät (und zur nächsten und zur nächsten…) etwas möglicherweise unbeabsichtigt beunruhigend Kafkaeskes hat.

Ohne Wertung aus genannten Gründen – und weil ich einem No-Budget-Projekt, das Betroffenen vielleicht tatsächlich hilft, nicht unnötig ans Bein pinkeln will.

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