1994 drehte Tim Burton den besten Film seiner Karriere – über den angeblich schlechtesten Regisseur aller Zeiten!
Während Burton seit einigen Jahren mit seelenlosen Adaptionen wie „Alice im Wunderland“ wenigstens noch „nur“ im Mittelmaß versackt ist und immer noch die vage Hoffnung bleibt, er könne sich irgendwann wieder in höhere Gefilde aufschwingen, blieb Edward D. Wood jr. bis zu seinem Tod mit lediglich 54 Jahren zeitlebens ein erfolgreicher Film verwehrt. Zu keinem Zeitpunkt seiner Karriere faßte er richtig Fuß in Hollywood – obwohl er in Orson Welles wahrlich nicht das schlechteste Vorbild hatte. Er verehrte ihn, offenbar ohne so recht zu verstehen, was dessen Filme ausmachten. Zudem mangelte es ihm nicht an einem unglaublichen Enthusiasmus, von dem sich so mancher Auftragsregisseur mehr als eine Scheibe abschneiden konnte. Grenzenlos selbstbewußt glaubte er an seine Filme und stand mit Leib und Seele dahinter, so widrig die Umstände der Produktion auch gewesen sein mögen – und widrig waren sie immer. Negative Kritiken schüchterten ihn nicht ein, sondern spornten ihn nur noch mehr an, als nächstes aber wirklich ein Meisterwerk auf die Beine zu stellen. Ein solches hatte er mit jedem neuen Film geschaffen, davon war er jedenfalls felsenfest überzeugt.
All sein Selbstbewußtsein, die Naivität, die falsche Selbsteinschätzung kommen schon in der Eröffnungsszene zum Tragen, als ein von Wood inszeniertes, unterirdisch gespieltes Stück vor fünf Zuschauern in einem baufälligen Theater vorgetragen und von der Kritik in Bausch und Bogen verrissen wird. Egal: „Hier steht: Die Kostüme sind sehr realistisch, das ist was Positives“, sagt Wood beim Lesen des Zeitungsartikels und geht trotz kurzzeitiger Selbstzweifel am nächsten Tag wieder zur Tagesordnung über. Auf zum nächsten Projekt!
Burtons Film legt keinen Wert auf Vollständigkeit und beschränkt sich – wie viele Biographien über andere Künstler auch – auf einen kleinen Ausschnitt aus Woods Leben, nämlich den seiner wohl produktivsten und – wenn man es denn so sagen will – besten Phase Mitte der 50er, als es ihm trotz etlicher Steine im Weg irgendwie gelang, seine heute bekanntesten Werke fertig zu stellen: das gut gemeinte, sehr persönlich gefärbte, aber bizarre und unfaßbar naive Plädoyer fürs Transvestitentum „Glen or Glenda“ sowie die nicht minder kindischen Science-fiction-Trashperlen „Bride of the Monster“ (verrückter Wissenschaftler möchte atomare Supermenschen kreieren) und selbstverständlich „Plan 9 from Outer Space“ (Außerirdische erwecken Tote zum Leben, um die Erde zu erobern). Burton läßt also sowohl Woods Kindheit und dessen Anfänge als Filmemacher als auch die unbequeme Zeit aus, in der Wood nicht zuletzt wegen seines ausbleibenden Erfolgs immer stärker dem Alkoholismus frönte und Drehbücher für noch minderwertigere Sexfilme (gerne mit Horrorelementen) verfaßte oder gar selbst darin mitwirkte, ehe er hoffnungslos verschuldet in ärmsten Verhältnissen verstarb.
Es ist ein dramatisches Leben, das sich Burton für eine Verfilmung aussuchte, aber dadurch, daß er es auf wenige Jahre um 1955 herum eindampfte, auf eine Zeit noch zwanzig Jahre von Woods Tod entfernt, bricht sich die Tragik nicht allzu sehr Bahn. Die bemitleidenswerte Figur in „Ed Wood“ ist vielmehr der alt gewordene „Dracula“-Schauspieler Bela Lugosi, den Wood – wie passend – bei einem Sargtest kennenlernt. An der Morphiumnagel hängend trauert er wehmütig den guten alten Hollywood-Zeiten hinterher, als er ein Star war und nicht von aller Welt für tot erklärt wurde, weil er noch Rollen von Format angeboten bekam. Ihr zufälliges Aufeinandertreffen bedeutet den Beginn einer kurzen Zusammenarbeit, von der beide anfangs zu profitieren hofften: Wood hat endlich sein Zugpferd, den Star, den er selbst vergöttert, mit dem er bei Produzenten für seine Projekte hausieren gehen kann, Lugosi selbst erhält mit der Gage die dringend benötigten Geldmittel, um finanziell überleben zu können. Die Kooperation erweist sich als schwierig, zum einen wegen des fortwährenden Improvisierenmüssens aufgrund diverser Probleme während der Dreharbeiten (Wood), zum anderen wegen der nur noch streckenweise vorhandenen Leistungsfähigkeit des drogensüchtigen Lugosi.
Der Erfolg stellt sich nicht ein. Was stattdessen entsteht, ist eine tiefe Verbundenheit und Freundschaft zwischen den beiden. Sie findet ihre Entsprechung in unendlich zärtlichen stillen Bildern. Howard Shores prächtiger Score, der abwechslungsreich zwischen anspruchsvoll und eher cheesy im Stil der 50er-Jahre-Sci-fi-Schinken pendelt, legt sich schwermütig darüber, mitunter noch unterstützt durch einige Noten aus „Schwanensee“. Bleiern schwebt er vor allem über Lugosis Haus, das so verwahrlost, einsam und dunkel aussieht, als würde darin tatsächlich Dracula, der Fürst der Finsternis, leben. Immer nachts sucht Wood seinen Freund dort auf, meist verläßt er es wieder mit einem beklommenen Gefühl, denn Lugosis finanzielle Not vergrößert sich, wie sich sein gesundheitlicher Zustand immer weiter verschlechtert. Burton destilliert aus der Freundschaft in längeren, aber auch vielen weiteren, teilweise winzigkleinen Szenen, wie der, in der sich Lugosi für die wunderbaren letzten Monate bedankt, unvergleichlich bewegende Augenblicke voller Wärme, die eine ganze Stadt beheizen könnten, mit einer Intensität, wie sie schon die Romanze in „Edward mit den Scherenhänden“ auszeichnete.
Dort erzählte Burton noch eine weitgehend geglückte Satire auf das tratschsüchtige Kleinstadtleben, in das das Ungewöhnliche hereinbricht, mit all seinen negativen Folgen um die Beziehung zwischen Edward und Kim herum, hier gesteht er dem Filmemachen seine Liebe. Es paßt zu ihm, daß er sich für seine Liebeserklärung einen Außenseiter Hollywoods, den kleinen Mann, der zu den Großen gehören will, aussuchte. Nicht nur war Wood in den 50ern ein positiv eingestellter Mensch, auch seine Arbeitsweise war bemerkenswert optimistisch: Nur in den seltensten Fällen benötigte er mehr als einen Take, egal wie sehr die Kulisse wackelte oder Schauspieler sich in ihrem unfreiwillig komischen Text verhaspelten. UFOs wurden aus Papptellern hergestellt und an Angeln befestigt durchs Bild gezogen. Friedhöfe wurden im Studio konstruiert und die schwarze Wand im Hintergrund simulierte finsterste Nacht. Rollen wurden kurzerhand neu besetzt, schlechte gegen noch schlechtere Darsteller ausgetauscht, wenn das bedeutete, daß ein neuer Schauplatz oder finanzielle Möglichkeiten für die Fertigstellung eines Films bereitgestellt wurden. Bela Lugosi stirbt und wird fortan vom Chiropraktiker von Woods Freundin, Tom Mason, als Double vertreten, das sich für den Rest des Films sein Cape vors Gesicht halten muß, um die Illusion, Lugosi stolpere da gerade durchs Bild, aufrechtzuerhalten. Und um „Plan 9 from Outer Space“ von der Baptistengemeinde finanziert zu bekommen, läßt sich das gesamte Filmteam taufen. Keine Hürde, für die Wood nicht irgendeine Lösung anbieten konnte, egal wie abstrus sie auch sein mochte.
Derart heitere Anekdoten liefert Burton zuhauf, Woods Leben war so reich davon, und es wurde noch reicher durch die zahlreichen schrägen Figuren, mit denen sich der Regisseur umgab: mit dem farbenblinden Kameramann Bill Thompson, mit dem Wrestler Tor Johnson, mit der arbeitslosen Vampira, die als Bedingung für eine Mitwirkung an einem Film eine stumme Rolle fordert und natürlich erhält, mit dem zuverlässig falsche Prognosen über die Menschheit fällenden Wahrsager Criswell – und nicht zuletzt mit dem unvergeßlichen tuckigen Bunny Breckinridge (hier von Bill Murray verkörpert), der sich zur Frau umoperieren lassen will. Die illustre farbige Truppe in Kombination mit den kuriosen, durchgängig unterhaltsamen Dreharbeiten ließen Burton gar keine andere Wahl, als diesen Film zu drehen. So viel Herzblut, wie es Wood in seine Filme steckte, so viel Herzblut vergoß auch Burton für „Ed Wood“ – ihm ist nicht nur eine wundervolle Liebeserklärung ans Filmemachen, ein wohl gezeichnetes Porträt eines verschrobenen Charakters mit Angorapulloverfimmel und ein anrührendes Drama um zwei ungleiche Freunde gelungen, sondern auch ein vorzügliches Abbild von Hollywood, ohne dabei die großen Stars der 50er zeigen zu müssen, abgesehen von Orson Welles, dem Wood in einer Drehpause zufällig in einer Bar begegnet und der ihn ermutigt, seine Vorstellungen, wie der Film auszusehen hat, zu verwirklichen und sich nicht von den Produzenten reinreden zu lassen, womit Burton durch die Worte Welles’ wohl jedem Regisseur aus der Seele spricht.
Für die Titelrolle suchte sich Burton Johnny Depp aus, damals bei ihm noch nicht zum Stamm gehörend wie heute bei jeder Produktion. Depp entpuppt sich als Idealbesetzung für den jungen Regisseur, der ihn mit viel Verve unverschämt sympathisch verkörpert, teilweise sogar sympathischer, als man ihn eigentlich finden dürfte, spart der Film doch auch nicht negative Züge aus wie den teilweise recht rücksichtslosen Umgang mit seinen Schauspielern, so z.B. mit seiner Freundin Dolores Fuller (Sarah Jessica Parker), die er von der weiblichen Hauptrolle zur Bürogehilfin degradiert, weil er mal wieder pleite ist und Geld benötigt, die er von der Neubesetzung zu bekommen erhofft. Selbst den fast 75-jährigen Lugosi schickt er des Nachts in einen Tümpel, um ihn mit einem Gummioktopus kämpfen zu lassen. Dies gleicht er aber mit seinem jungenhaften Charme, mit dem er auch seine Mitmenschen äußerst gekonnt um den Finger wickelte, und seiner kindlichen Freude über jede geglückte Szene wieder aus – und dadurch, daß er wirklich für seinen Freund da ist, wenn dieser ihn braucht. Gerade im Rückblick ist es nach den zahlreichen extravaganten Rollen, die er in den letzten Jahren u.a. auch für Burton spielte, erfrischend und ausgesprochen angenehm, Depp so zurückhaltend agieren zu sehen, obwohl Ed Wood auch nicht unbedingt ein konventioneller Zeitgenosse war, aber wahrscheinlich noch der „normalste“ in Burtons Werken.
Lugosi wird maskenbildnerisch beeindruckend und kaum wieder erkennbar auf einzigartige Art und Weise von Martin Landau dargestellt. Mit unglaublichem Charisma spielt er den gebrechlichen alten Mann, nur noch ein Schatten früherer „Dracula“-Tage, gezeichnet von seiner Morphiumsucht und einer fast schon schmerzhaft wirkenden Traurigkeit, dabei mitunter anrührend niedlich und jederzeit trotz einiger Ausraster, hervorgerufen etwa durch die bloße Erwähnung Boris Karloffs, unendlich liebenswürdig. Insbesondere Landau ist es zu verdanken, daß dem Zuschauer die Beziehung von Lugosi und Wood so nahe geht, wenn er wie ein kleines Kind in Tränen ausbricht und Wood in die Arme fällt, weil er sich sein Haus nicht mehr leisten kann und nicht mehr weiß, was er tun soll. Hier kann man wirklich von einer Jahrhundertleistung sprechen, von einer der einprägsamsten Leistungen eines Schauspielers, an die ich mich erinnern kann, und sie wurde völlig verdientermaßen mit einem Oscar geadelt.
Ebenfalls vorzüglich besetzt sind die Nebenrollen. Murray gibt sein Bestes mit seiner patentierten Sparmimik als Bunny, mit Jeffrey Jones (Criswell) und Lisa Marie (Vampira) sind zwei Leute von Burtons Stammschauspielern mit am Start, wobei Jones – wie in Woods originalem „Night of the Ghouls“ – aus einem Sarg heraus in die Kamera spricht und noch vor dem Vorspann auf die „unglaubliche Geschichte des Edward D. Wood jr.“ einstimmt. In einem minimalen Gastauftritt gibt sich der Hauptdarsteller Gregory Walcott aus „Plan 9 from Outer Space“ die Ehre. Die größeren weiblichen Nebenfiguren bekleiden Sarah Jessica Parker und Patricia Arquette als Frauen an Woods Seite. Parker verabschiedet sich mit Halbzeit aus dem Film, als sie sich als Dolores von ihrem Freund aufgrund dessen unkonventioneller Art zu leben (sie kam nie damit zurecht, daß Wood gern Frauenkleider trug und dies auch noch öffentlich zelebrierte) trennt, und macht Platz für Arquette als Kathy, die bis zu seinem Lebensende mit ihm zusammenleben würde.
Jener Kathy gilt dann auch Woods Heiratsantrag nach der ausverkauften Kinopremiere von „Plan 9 from Outer Space“ in der Schlußsequenz. Der so märchenhaft anmutende Antrag – zu dem Regisseur-Pechvogel passend in strömendem Regen vorgetragen – sowie die zumindest zu Beginn stark umjubelte Kinovorstellung seines Science-fiction-Schmarrns erwecken den Eindruck, als würde nun alles gut werden, bis die abschließenden Texttafeln die traurige Wahrheit über den weiteren Werdegang der zeitlebens glücklosen Titelfigur verraten, an deren Leben wir die vergangenen zwei Stunden teilhaben durften. Tatsächlich beginnt Woods schleichender Abstieg in beruflicher und privater Hinsicht erst mit Ende des Films. Das weiß er zu dem Zeitpunkt noch nicht. Abermals glaubt er an den großen Wurf, der ihm da gelungen ist, als er während der Premiere auf der Großbildleinwand – einer imposanten Premiere, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat – die gespannte Stille im Publikum genießt und völlig ergriffen sagt: „Ja, der ist es. Mit dem Film werde ich in die Filmgeschichte eingehen.“
„Plan 9 from Outer Space“ ging in die Filmgeschichte ein, und mit ihm sein Regisseur, wenn auch nicht so, wie er es gedacht hätte. 1980 wurden Film und Wood im Rahmen einer Umfrage zu den schlechtesten ihrer Art gewählt. Wood selbst bekam von dieser verspäteten Auszeichnung nichts mehr mit; er starb zwei Jahre zuvor. Noch einmal 14 Jahre später setzte Tim Burton dem Regisseur, mit diesem Film nichts anderes als ein Denkmal – einem Regisseur, dem vielleicht nicht das nötige Talent in die Wiege gelegt wurde, um ein Großer, nicht einmal ein Durchschnittlicher seines Fachs zu werden, der jedoch eine Begeisterung fürs Kino mitbrachte, die ihresgleichen sucht, und der es allein deshalb verdient gehabt hätte, ein geregeltes Einkommen wenigstens im B-Film-Geschäft zu verdienen, wo er seine spinnerten Ideen hätte umsetzen können.
Leider blieb „Ed Wood“ der Erfolg versagt. Aber verwundert das wirklich? Die Entscheidung, den Film wie die ollen Wood-Produkte in Schwarz-Weiß zu drehen, war folgerichtig, aber sicherlich Kassengift – und auch für Burton-Fans bzw. diejenigen, die sich als solche bezeichnen, mag die Idee, das Leben eines handwerklich unbegabten Künstlers ins Kino zu bringen, nicht allzu verlockend geklungen haben.
Bis heute gilt „Ed Wood“ bei aller Anerkennung seiner Qualitäten noch immer als Geheimtip unter den Burtons. Selbst seine eingefleischten Bewunderer in meiner Umgebung geben zu, gerade diesen Film nicht zu kennen. Dabei sollen sich die gesagt sein lassen: So sicher wie die Tatsache, daß „Plan 9 from Outer Space“ nicht der schlechteste Film und Ed Wood nicht der schlechteste Regisseur aller Zeiten ist, so sicher handelt es sich bei „Ed Wood“ um die alles überstrahlende Perle unter den an Perlen nicht armen Burton-Werken. 10/10.