Skandalregisseur Bernardo Bertolucci, der bereits mit dem äußerst erotischen Psychothriller "Der letzte Tango von Paris" 1972 für Aufruhr sorgte, drehte vier Jahre später den Jahrhundert-Epos "1900" (Originaltitel: Novecento) und brach damit erneut alle Tabus des seriösen Kinos.
Die Bloßstellung des oft verschwiegenen Faschismus, sowie die Gewaltdarstellung und die freizügigen Sexszenen, die sogar als pornographisch bezeichnet wurden, waren die Auslöser für das jahrelange Verbot des Films im Heimatland Italien.
Italien, 1900, nach Giuseppe Verdis Tod: Zeitgleich werden der Bauernsohn Olmo und der Sohn reicher Grundbesitzer Alfredo geboren, die später Freunde werden. Ihre Freundschaft hält lange und wird von der Entwicklung im eigenen Land, dem Aufstieg und Fall des Faschismus, entscheidend geprägt...
Die Story ist sehr interessant, umfangreich und anspruchsvoll und wurde nahezu perfekt und lückenlos umgesetzt. Durch die Laufzeit von fünf Stunden (!) sind natürlich auch langatmige Szenen enthalten und welche, die man auf dem ersten Blick nicht für wichtig hält, aber am Ende des Films fügt sich alles zu einem Ganzen. ("1900" ist ja auch kein Film für Zwischendurch!)
Bertolucci zeichnet detailiert die verschiedenen Schichten der Gesellschaft und macht dies, ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen. Die meisten Bauern im Film sind auch im wirklichen Leben Bauern, also Laiendarsteller, was alles noch realistischer erscheinen lässt.
Für die vielen Hauptrollen trommelte Bertolucci wahrscheinlich die besten Darsteller zusammen, die er finden konnte. Sowohl europäische Stars als auch internationale sind vertreten:
Robert DeNiro (als Alfredo) spielt sehr gut, obwohl sein schauspielerisches Können hier nicht so zur Geltung kommt wie zum Beispiel bei "Taxi Driver" oder "Der Pate Teil II".
Gérard Dépardieu (als Olmo) spielt überragend und ist wahrscheinlich schauspielerisch der Glanzpunkt des Films.
Hinzukommen Burt Lancaster und Sterling Hayden, die die Großväter der beiden Protagonisten verkörpern, sowie Donald Sutherland als fieser Faschistenführer, Romolo Valli als Alfredos Vater, Paolo Pavesi, Dominique Sanda und Stefania Sandrelli, um nur einige zu nennen.
Die vielen Haupt- und Nebendarsteller machen meist einen sehr positiven Eindruck und können ihre jeweiligen Stimmungen gut vermitteln. Leider sind die vielen Laiendarsteller durch ihre mangelnde schauspielerische Erfahrung nicht immer ganz überzeugend, was den Gesamteindruck aber keineswegs gefährdet.
Die traumhafte Filmmusik, geschrieben von Maestro Ennio Morricone, rundet das epische Erlebnis bestens ab.Die Grausamkeiten der Zeit wurden offen gezeigt, was Anfang der Siebziger für heftige Diskusionen sorgte. Die Gewalt hält sich in Bezug auf die Laufzeit aber in Grenzen und wurde nicht übertrieben oder gar verherrlicht, obwohl sie jedesmal wieder erschreckend wirkt. Pornographie kann man trotz vieler nackter Körper auch nicht entdecken.
Fazit: "1900" ist ein grandioses Epos, das die Geschichte Italiens bestmöglich zeigt. Gestützt durch super Darsteller, einer tollen Atmosphäre und der schönen Titelmusik, wird "1900" zu einem perfekten Meilenstein des europäischen Kinos, einem Geheimtipp für Filmliebhaber und einem Genuss für wahre Cineasten... Bravo!