Schön, dass es noch Hollywood-Regisseure gibt, die aus ihren Fehlern lernen. Videoclip-Ästhet Tony Scott („Top Gun“, „Crimson Tide“) hat sich offenbar die in den letzten Jahren immer massiver formierende Kritik an seiner hektischen Inszenierung zu Herzen genommen. Für seine Verhältnisse schon fast relaxt, kehrt er mit „Déjà Vu“ endlich wieder zu einer ruhigeren Bildsprache zurück. Seine unverwechselbare Handschrift trägt der Film natürlich nach wie vor, aber die andauernden Schnittstakkatos, die ständig nervös umherzoomende Kamera und schwindelerregenden Reißschwenks gehören der Vergangenheit an. Fein säuberlich poliert wie eh und je, mit schicken Farbfiltern und fulminanten Actionszenen trimmt Scott trotzdem seinen edel auf Hochglanz gefilterten, grobkörnigen Look. So sehr müssen sich seine Fans also gar nicht umstellen.
Die finanzielle Bauchlandung von „Domino“ zieht allerdings Konsequenzen nach sich. Zwecks Rehabilitation am heimischen Boxoffice heuert Tony Scott wieder unter Erfolgsproduzent Jerry Bruckheimer und besetzt mit Publikumsliebling Denzel Washington („Crimson Tide“, „Man on Fire“) einen Zuschauergarant ohne großartige Experimente. Dieses Mal soll es eine sichere Nummer werden. Selbst die oberflächlich angelegte Story vermeidet (leider mal wieder) jede Art von Innovation. Auch ein Grund warum ich in den meisten Fällen die interessanteren Filme seines Bruders Ridley („Blade Runner“, „Gladiator“) seinen Werken vorziehe.
Zum ersten Mal seit 16 Jahren schickt Tony Scott zugunsten des jüngeren Publikums auch wieder einen PG-13-Film ins Kino (laut Interview soll eine R-Rated-Fassung auf DVD folgen), wobei man erwähnen muss, dass der Film auch kein R-Rating nötig hat und eigentlich komplett aussieht. Angesichts der momentan gerade einmal soliden Einspielergebnisse am amerikanischen Boxoffice rentiert sich diese Entscheidung aber allemal. Anders wäre wohl auch dieser Film gefloppt.
Ohne Zweifel erreicht „Déjà Vu“ trotzdem nicht die Qualität des fesselnden Actiondramas „Man on Fire“, findet nach seinem enttäuschenden „Domino“ aber wieder zu einem Niveau, auf dem ein talentierter Regisseur wie Tony Scott eigentlich ständig inszenieren müsste. Für eine bessere Beurteilung steht ihm dieses Mal auch nur das mäßig überzeugende Drehbuch im Weg. Denn seine Regie und die soweit überzeugenden Darsteller sind vom Feinsten, wobei „Déjà Vu“ ohnehin ein waschechtes Washington-Vehikel darstellt. Kilmer („Willow“, „Heat“), der seine Karriere trotz Übergewicht so langsam wieder ordnet, James Caviezel („Highwaymen“, „The Passion of the Christ“), Bruce Greenwood („Thirteen Days“, Below“), Paula Patton („Hitch“, „Idlewild“) und Adam Goldberg („Saving Private Ryan“, Stay Alive“) sind nur beliebiger Support für den Oscar-Preisträger, dessen Filmcharakter nicht so sehr wie in „Man on Fire“ stilisiert wird, aber schon so angelegt ist, dass sie gar nicht anders kann als die Gunst der Zuschauer auf sich zu vereinen..
Tony Scott zaudert gar nicht erst lange, sondern geht mit einem fulminanten Auftakt vom Start weg in die Vollen. Ein Terrorist platziert auf einem voll besetzten Flussdampfer in New Orleans eine Bombe, die über 500 Opfer fordert. Der Ort gleicht hinterher einem Kriegsschauplatz mit unzähligen Toten und verbrannten Wrackteilen.
Als Appetithappen vorweg auf jeden Fall eine richtig beeindruckende Sequenz, in der audiovisuell eifrig in die Trickkiste gegriffen wird und der Regisseur aus zig Perspektiven die spektakuläre Arbeit der Pyrotechniker zusammenmontiert.
Wenn er dann einen Gang zurückschaltet, betritt auch schon Denzel Washington als ATF-Agent Doug Carlin den Tatort und sucht nach Hinweisen. Er braucht nicht lange bis er entscheidende Indizien findet, die auf einen Terrorakt hindeuten. Die Leiche einer jungen afroamerikanischen Frau am Strand gibt ihm allerdings Rätsel auf. Scheinbar starb sie bei dem Bombenanschlag, die Obduktion ergibt aber, dass sie bereits vorher tot war und ihre Leiche dort nur platziert wurde. Eine erste Spur. Carlin forscht nach, horcht ein paar Personen aus, durchsucht ihr Haus, puzzelt und trifft auf rätselhafte Ungereimtheiten aus denen er sich keinen rechten Reim machen kann.
Die folgende Konstruiertheit von „Déjà Vu“ muss man als Zuschauer dann so schlucken und besser gar nicht weiter darüber nachdenken. Ansonsten fällt es nämlich schwer sich von den Geschehnissen unterhalten zu lassen, ohne zu sehr von den abstrusen Ideen des Drehbuchs abgelenkt zu werden. Denn was Terry Rossio („Shrek”, „Pirates of the Caribbean: The Curse of the Black Pearl”) sich hier ausgedacht hat, ist weder besonders packend, noch logisch und auch nur phasenweise spannend, weil Tony Scotts exzellente Actionszenen den kurzweiligen Auftrieb geben, den das Drehbuch bitter nötig hat.
Vielleicht hätte man auch einfach einen Autor fragen sollen, der sich mit Actionthrillern auskennt, denn Rossios Skript verhaspelt sich zunehmend in Details und Unwahrscheinlichkeiten und kann nicht die Überraschungsmomente nutzen, von denen es eigentlich einige gibt. Mit einem verheerenden Terroranschlag zu spekulieren, ist als Aufhänger zunächst eine clevere Sache, aber dramaturgisch baut „Déjà Vu“ danach dann leider ab, weil er mit seiner Prämisse wenig anzufangen weiß, beziehungsweise einen Spagat zwischen Action-Thriller und Science-Fiction versucht. Als Resultat neutralisieren die beiden Schwerpunkte ihre Stärken leider gegenseitig.
Denn Carlin wird von FBI-Agent Andrew Pryzwarra (Kilmer) in eine neuartige Technik von Satellitenüberwachung eingeweiht, mit der man mittels Raum-Zeit-Krümmung (?!?!) zirka 4 Tage in die Vergangenheit schauen kann. Dies gilt allerdings nur für genau diesen Moment in genau einer Einstellung (Wie oft gab es diese „Ich erkläre ein Wurmloch, indem ich einen Zettel falte“ – Szene eigentlich inzwischen schon?), wie man Carlin in einem wissenschaftlichen, dahingeschwurbelten Diskurs klar zu machen versucht. Ein vor- und zurückspulen ist genauso wenig möglich. (Ja, ne. Is’ klar.)
Man braucht daher seinen erfahrenen Instinkt und sein Auge für Details, um den Bombenleger rechtzeitig ausfindig zu machen und weitere Anschlage zu verhindern. Denn niemand hat einen Anhaltspunkt, geschweige denn, weiß wo er anfangen soll zu suchen. Carlin steuert auch fix die entscheidenden Hinweise bei, zeigt sich fasziniert von den Möglichkeiten und verguckt sich auch noch in die attraktive Tote, womit das Drehbuch seinen zwischenzeitlichen Tiefpunkt erreicht.
Sofort fängt man an die als Leiche angeschwemmte Claire Kuchever (Patton) zu observieren und identifiziert infolge dessen auch den verantwortlichen Terroristen. Carlin ist allerdings misstrauisch und findet heraus, dass mit der Maschine noch ganz andere Dinge möglich sind. Von da an wird der Film leider immer unglaubwürdiger, obwohl er zu seinem Thema noch ein paar clevere Asse im Ärmel hat. Zum Schlussdrittel bläst der Film seine Sci-Fi-Elemente aber plötzlich wieder weg und schwenkt genauso schnell mit viel Tempo, sehenswerter Action und noch mehr Krawumm wieder in die klassischen Pfade zurück, während Scotts Stammkomponist Harry Gregson-Williams („The Replacement Killers“, „Man on Fire“) mit seinem treibenden Score ans Eingemachte geht.
Ich möchte nicht weiter auf den weiteren Verlauf eingehen, weil auch der Trailer nichts über dieses zusätzliche Gimmick verrät. Wobei man an dieser Stelle auch ausnahmsweise mal die Marketing-Experten loben muss, wo heutzutage Trailer vermehrt dazu neigen viel zu viel preiszugeben. Trotzdem fallen hier Science-Fiction-Elemente mit einem gegenwärtigen Actionthriller zusammen, die nur mühevoll miteinander harmonieren und immer mehr Fragen aufwerfen, auch wenn man sich nur berieseln lassen möchte. Das vorhandene Potential des interessanten Stoffes wird nie richtig ausgeschöpft, sondern bleibt ein unglücklich eingesetztes Beiwerk aus dem sich wesentlich mehr hätte machen lassen.
Tony Scotts makellose Inszenierung und Denzel Washington halten den Zuschauer dafür in gewohnter Manier bei Laune. Der sympathische Hauptdarsteller schüttelt solche Rollen inzwischen aus dem Ärmel, aber das macht er dafür mit Klasse und Charisma. Für ihn wird dieser Fall schnell persönlich, er ist auch mit vollem Einsatz ohne Rücksicht auf Verluste dabei und an allen Actionszenen beteiligt. Seine Motivation dahinter wirkt nur sehr fraglich. So ehrgeizig, selbstaufopferungsvoll und rechtschaffend möchte man ihm beziehungsweise seinem Filmego da aber keinen Vorwurf machen. Ich muss dazu sagen, dass ich ihn in solchen Rollen nur zu gern vor der Kamera sehe.
Weil die Reichweite des Überwachungsapparates nur einen begrenzten Radius einschließt und der Terrorist, übrigens verkörpert von James Caviezel, ihn (vor 4 Tagen) verließ, muss Carlin in einer der eindrucksvollsten Actionszenen des Films mit einem High-Tech-Hummer die Verfolgung aufnehmen und hinterlässt ein Verkehrschaos der Marke Michael Bay ohne dessen Übertreibungen.
Später serviert Scott auch noch spektakuläre Explosionen und tolle Shootouts von gewohnter Qualität. Die Actionpalette ist also auch hier wieder reichhaltig gedeckt, sie kommt aber nicht so häufig zum Einsatz, wie es der Trailer noch suggeriert. Wenn, dann rummst es aber an allen Ecken und Enden in typischer Tony Scott –Manier: Explosionen, brennende Wracks, Unfälle, Autostunts, umherfliegende Pkws etc...
Das noch längst nicht wieder vollends genesene und deswegen leicht schmuddelig und abgegriffene New Orleans mitsamt seiner sumpfigen Umgebung wird darüber hinaus ansprechend in ein paar sehr hübschen Einstellungen festgehalten, wobei dieser Film auch Arbeit in die gescholtene Metropole brachte. Sie macht als Schauplatz allein schon deswegen mehr her als die üblichen Großstädte Kanadas in die Hollywoods Großproduktionen aus finanziellen Gründen seit Jahren so gern ausweichen, weil zum Zeitpunkt des Drehs noch längst nicht wieder alle Stadtteile aufgebaut waren und Scott in den zerstörten Überbleibseln von Hurricane Katrina dreht. Diese unverwechselbaren Locations sorgen mitunter für eine beklemmend-traurige Stimmung, von der besonders die Minuten nach dem Bombenattentat geprägt werden.
Die meisten Klischees umschifft „Déjà Vu“ dann letztlich auch, wobei seine Auflösung trotz der tollen Action im Finale keinen überzeugenden Twist mehr parat hält. James Caviezels Rolle wird fast unter den Teppich gekehrt und darf seine Tat nur in einem knapp gehaltenen Verhör rechtfertigen.
Mehr als ein oberflächlicher Actionthriller dessen Drehbuch echte Klasse vermissen lässt, will der Film in seinen gut zwei Stunden aber ohnehin nie sein. Da hatte ich mir dank des überzeugenden Trailers deutlich mehr Spannung und größere Überraschungen versprochen, auf die man als Zuschauer auch irgendwie wartet. Deswegen muss man „Deja Vu“ nicht gleich als herbe Enttäuschung einstufen, ein bisschen mehr Substanz unter der makellosen Oberfläche hatte ich mir von dem Duo Scott / Washington nach ihrem überragenden „Man on Fire“ trotzdem erwünscht.
Fazit:
„Déjà Vu“ ist eine optisch edel präsentierte, solide Nummer, die von Scotts gelungener Inszenierung und einem wie immer souveränen Denzel Washington geprägt wird, aber zu wenig aus ihren Möglichkeiten schöpft. Tony Scott selbst hält sich angenehm zurück und filmt weitaus ruhiger als in den letzten Jahren, was dem Film unwahrscheinlich gut tut.
Das Drehbuch baut mit zunehmender Laufzeit allerdings kontinuierlich ab und wird immer abstruser. Die Prämisse an sich ist durchaus potentialbehaftet, aber schlecht verfasst, so dass die durchweg gelungenen Actionszenen die Kohlen aus dem Feuer holen müssen. Im Endeffekt nicht der Bringer zum Abschluss des Jahres, den ich insgeheim erhofft hatte, aber die gewohnte Qualitätsware made by Tony Scott. Kurzweilig, mit schicker Action gespickt und gut gespielt, aber von einem schwachen Drehbuch behindert. Gut und soweit auch unterhaltsam, nur eben kein Knüller.
P.S.: Der ein oder andere Zuschauer könnte während des Films sein eigenes Déjà Vu erleben. Das Mädchen, das am Anfang die Puppe in den Fluss fallen lässt, sieht Dakota Fanning („Man on Fire“, „War of the Worlds“) verblüffend ähnlich. Das hat seinen Grund. Sie wird von ihrer 4 Jahre jüngeren Schwester Elle („Babel“) gespielt.