Nach seinem großen Erfolg mit "Das Wirtshaus im Spessart", der Anfang 1958 in die Kinos gekommen war und Kurt Hoffmann die Gelegenheit gegeben hatte, hinter dem neckischen Treiben der Räuber satirische Spitzen auf Land und Leute loszulassen, nahm er sich mit der Romanvorlage "Wir Wunderkinder" von Hugo Harting einen deutlich kritischeren Stoff vor. Harting, dessen Roman "Ich denke of an Piroschka" Hoffmann 1955 ebenfalls verfilmt hatte, erzählt darin parallel zwei deutsche Lebensläufe, beginnend 1913 kurz vor dem Beginn der 1.Weltkriegs, noch zur Zeit Kaiser Wilhelms II., bis Mitte der 50er Jahre in der jungen Bundesrepublik Deutschland, die gerade die "Wirtschaftswunderjahre" erlebte.
Schon die erste Szene ist symptomatisch für die zukünftige Entwicklung der beiden Protagonisten - während der Knabe Hans Boeckel beim Start einer Ballonfahrt zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig wegen ungebührlichen Benehmens zu Strafarbeiten verdonnert wird, wird sein Klassenkamerad Bruno Tiches zum gefeierten Helden, weil der Ballon, in dessen Korb er verbotenerweise geklettert war, schon nach wenigen hundert Metern notlanden musste. Eine peinliche Angelegenheit für den Ballonfahrer und die Honoratioren der Stadt, weshalb Brunos schöne Geschichten von seinem persönlichen Empfang bei Kaiser Wilhelm II. erfolgreich die Runde machen dürfen. Dieses Geschick beweist Bruno Tiches (Robert Graf) auch in seiner weiteren Karriere - ist er nach dem Ende des 1.Weltkriegs noch beflissener Angestellter des örtlichen Bankhauses, dem potentesten Arbeitgeber der Kleinstadt, will er Mitte der 20er Jahre nichts mehr mit seinen jüdischen Arbeitgebern zu tun haben und geht nach München, um sich der NSDAP anzuschließen.
Dort trifft er auch wieder auf Hans Boeckel (Hansjörg Felmy), der in München Philosophie studiert. Doch damit enden die Parallelen, denn während Boeckel nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 seinen Job als Feuilletonist bei der Zeitung verliert, macht Tiches Partei-Karriere. Boeckel bittet ihn erstmals um Hilfe, aber als dieser von ihm verlangt, Parteimitglied zu werden, bekennt er Farbe und lehnt ab - mit der Konsequenz, dass er nur noch im Lager arbeiten darf. Nach dem 2. Weltkrieg begegnen sie sich zufällig wieder, um festzustellen, dass sich an ihren Rollen nichts geändert hat. Boeckel versucht noch mit Tauschhandel Nahrung für seine Familie aufzutreiben, während Tichel unter geändertem Namen schon zum erfolgreichen Geschäftsmann mutiert ist, der vom Schwarzmarkt profitiert - die Basis für seinen kommenden Reichtum und damit Einfluss und hohes Ansehen in der Bundesrepublik Deutschland wird damit gelegt.
Mit Bruno Tiches verkörperte Robert Graf überzeugend einen Typus, der der Realität sehr nahe kam. Er benötigte dafür nur wenige satirische Spitzen, denn Tiches ist kein Fanatiker, sondern ein Opportunist, der ein Gespür für den eigenen Vorteil hat. Sein Charakter lässt deutlich werden, dass Anpassungsfähigkeit und positive Selbstdarstellung die wichtigsten Voraussetzungen für Erfolg sind. Eine bis heute gültige Regel, die nach dem 2.Weltkrieg besonders eklatant verdeutlichte, dass es zu keinem Bruch gekommen war, sondern das Diejenigen, die zuvor schon das Sagen hatten, auch danach über den größten Einfluss verfügten - notfalls indem sie ihren Namen und ihre Historie änderten. Der Dialog zwischen Tiches und Boeckel nach dem Krieg ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Wieder stilisiert sich Tiches zu einem Mann hoch, der erneut den Karren für Deutschland "aus dem Dreck zieht", wie er es auch schon in den 30er Jahren formulierte, und Boeckels damalige Ablehnung der Nationalsozialisten ist für ihn nur ein Anzeichen für dessen Unfähigkeit, sich klar zu positionieren - wie üblich solche Argumentationen in der Nachkriegszeit gewesen sind, lässt sich leicht vorstellen.
Die Figur des Hans Boeckel ist dagegen idealisierter angelegt, auch wenn sich Felmy Mühe gab, eine gewisse Tatenlosigkeit auszustrahlen. Selbst das Schicksal geliebter und befreundeter Menschen - seine erste Freundin Vera (Wera von Frydtberg), auf die er jahrelang gewartet hatte, da sie ihre Lungenkrankheit in der Schweiz auskurieren musste, geht zu ihrem Vater nach Paris, und auch seinem früheren Klassenkameraden Siegfried Stein (Pinkas Braun), Sohn des jüdischen Bankiers seiner Heimatstadt, gelingt gerade noch rechtzeitig die Flucht - lässt ihn lange Zeit nicht erkennen, welche Gefahren von den Nationalsozialisten ausgehen. Er, der Ende der 20er Jahre seinen Doktor in Philosophie macht, hält sie immer noch für eine vorübergehende Erscheinung. Doch abgesehen von dieser Passivität, ist Boeckel ein hehrer Charakter, der sich nicht einmal von der süßen Dänin Kirsten (Johanna von Koczian) an Silvester in Versuchung bringen lässt, da er noch mit Vera verlobt ist, die er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Erst als diese Beziehung geklärt ist, läuten die Hochzeitsglocken für ihn und Kirsten in Dänemark, auch wenn sie sich dafür gegen ihre Familie durchsetzen muss, die dem deutschen Bräutigam skeptisch gegenüber steht.
Die Konfrontation zwischen dem armen Schlucker Hans Boeckel und dem erfolgreichen Bruno Tiches konnte so abgeschwächt werden, denn während Boeckel über eine glückliche Familie mit zwei kleinen Kindern verfügt, lebt Tiches in unmoralischen Verhältnissen. Geschieden von seiner ersten Frau Evelyne Meisegeier (Ingrid van Bergen) hat er sich längst eine Jüngere zugelegt. Die gesamte Konstellation um die ledige Mutter von fünf Kindern, Mary Meisegeier (Elisabeth Flickenschild), die zu Zeiten Wilhelm II. noch als "Zigeunerin" abgelehnt wurde, dann als Schwiegermutter zu Tiches Entourage gehörte, um nach dem Krieg nach Argentinien "auszuwandern", atmet noch den Zeitgeist der 50er Jahre - zwar ironisierte der Film damit satirisch die Verlogenheit der Nationalsozialisten hinsichtlich deren Standards von Moral und Rassenideologie, bediente damit aber gleichzeitig bestehende Vorurteile. Autor Hugo Hartung sah in Familie Meisegeier, die sich vom Außenseiter zum glühenden Nazi wandelte (der Sohn der Familie lässt von Beginn an keinen Zweifel an seinem Antisemitismus), noch Potential, erkennbar an seinem letzten 1971 erschienenen Roman mit dem Titel "Wir Meisegeiers - der Wunderkinder 2.Teil".
Wie gewohnt von Kurt Hoffmann schwungvoll und unterhaltsam inszeniert, käme "Wir Wunderkinder" über einen nur latent kritischen Film nicht hinaus, gäbe es nicht die beiden Kabarettisten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, mit denen er erstmals in "Das Wirtshaus im Spessart" zusammen gearbeitet hatte. Sie zeigen "Wir Wunderkinder" als "Film im Film", den sie von einer Bühne aus mit Kommentaren und Klaviermusik begleiten. Die Konzessionen, zu denen der Film in den 50ern noch gezwungen war, werden von ihnen deftig und unmissverständlich begleitet - wenn Bruno Tiches am Ende in einen Fahrstuhlschacht fällt und stirbt, dann enthebt Wolfgang Müller dieses scheinbare "Happy-End" gleich wieder. Während der Film die Bilder einer Beerdigung zeigt, zu der alle einflussreichen Persönlichkeiten aufmarschiert sind, um dem „verdienten Deutschen“ Tiches die letzte Ehre zu erweisen, erwähnt er, dass es leider nicht annähernd so viele Fahrstuhlschächte gibt, wie notwendig wären - Kurt Hoffmann war nie kritischer als in „Wir Wunderkinder“, aber trotz des Gewinns eines "Golden Globes" als bester fremdsprachiger Film, gehört er bis heute zu seinen weniger bekannten Werken. (8/10)