Las Vegas in den 1970ern. Sam „Ace" Rothstein ist mit allen Wassern gewaschen, hat jede Wette gesetzt, jede Karte gespielt und jeden Würfel geworfen. Obwohl er als Jude nicht zur Familie gehört setzt ihn die Chicagoer Mafia ob seiner Fähigkeiten als Manager des Tangiers-Casinos ein. Der kühle Ace leistet hervorragende Arbeit, füllt die Taschen der richtigen Leute und hält das große Geld aus der Nähe derer fern, die durch Betrug daran zu kommen versuchen. Sein Jugendfreund Nicky Santoro wird ebenfalls nach Las Vegas entsandt, um ihm in schlagkräftiger Manier allen Ärger vom Hals zu halten. Doch während sich Ace in das Edel-Callgirl Ginger verliebt und damit das größte Risiko seines Lebens eingeht, geraten Nicky und seine brutalen Methoden immer mehr außer Kontrolle...
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Mit Casino endete 1995 eine der produktivsten und künstlerisch reichhaltigsten Zusammenarbeiten der Filmgeschichte. Angefangen mit Hexenkessel (1973), über Taxi Driver" (1976) und Wie ein wilder Stier (1980), bis hin zu GoodFellas (1990) und Kap der Angst (1991) hatten die italienisch-stämmigen Martin Scorsese und sein Star Robert De Niro bereits sieben Mal gemeinsam gedreht und darstellerische wie inszenatorische Meisterleistungen abgeliefert. Basierend auf Nicholas Pileggis gleichnamigen Roman, der das Leben des Glücksspielers Frank „Lefty" Rosenthal nachzeichnet, fanden sie für Casino zum bis dato letzten Mal zueinander. Gemeinsam mit den gleichfalls letztmals unter Scorseses Führung auflaufenden Joe Pesci und Frank Vincent bereiteten sie sich einen wahrhaft rauschenden Abschied voneinander.
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Von den Straßen New Yorks, ikonische Kulisse fast aller ihrer Zusammenarbeiten, geht es in Casino in die Glitzerwelt der Spielermetropole Las Vegas. Doch noch ist das Zockermekka bei allem Glanz und Glamour nicht das freizeitparkattraktionengleiche Vehikel mit Spaß und Unterhaltung für die ganze Familie, wie man es in heutiger Zeit kennt (oder als das es einem schmackhaft gemacht wird). Das Las Vegas, durch das sich Ace Rothstein und Nicky Santoro bewegen, ist eines, dem in all seiner Gier und Korruption der Niedergang bevorsteht. Ab den 1950ern war der Einfluss der Cosa Nostra immer weiter angestiegen, das National Crime Syndicate hatte Las Vegas zur offenen Stadt erklärt, in der sich jeder Gangster-Clan engagieren und nach eigenem Ermessen betätigen durfte. Die Bosse der Familien zweigten Beträge in Millionenhöhe ab, wer nicht nach den Regeln spielte wurde nicht einfach des Hauses verwiesen, sondern landete mit eingeschlagenem oder durchschossenem Schädel in einem Erdloch in der Wüste Nevadas.
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Die Freunde Ace und Nicky beherrschen dieses Spiel. Ace‘ Gespür für Wetteinsätze ist ebenso untrüglich, wie sein Auge für Falschspieler und die größtmögliche Effizienz des Standortes eines Automaten. Für Nicky ist Las Vegas eine ganz neue Spielwiese, auf der er sich mit seinen rücksichtlosen Methoden austoben kann, da werden Köpfe in Schraubstöcke gespannt und Widersprüchler zu Brei geprügelt und alsbald ist Nicky die gefürchtetste Gestalt der ganzen Stadt. Ace weiß zwar, wie gefährlich sein Kontakt zu diesem entfesselten Kettenhund für ihn sein kann, denn Polizei und FBI warten nur auf eine Gelegenheit, Nicky dingfest zu machen, wodurch natürlich auch Ace' Position bedroht wäre. Doch den Wert seiner Arbeit, die Härte von Nickys Schlägen sind Ace' Zwecken dennoch zumeist sehr recht.
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Martin Scorsese beherrscht sein Spiel ebenfalls. Da in seinen erzählerischen, einigen inszenatorischen und figurenzeichnerischen Grundzügen dem bereits gemeinsam mit Nicholas Pileggi entstandenen GoodFellas nicht unähnlich, steht Casino als dritter Teil von Scorseses Mafia-Quartett (komplettiert durch Hexenkessel und The Departed, 2006), sowie im Gesamtwerk des Regisseurs etwas im Schatten des gefeierten Quasi-Vorläufers. Auch seine Muse Robert De Niro stach im Filmjahr 1995 eher durch sein erstes direktes Leinwandduell mit Al Pacino in Michael Manns Über-Thriller Heat heraus. Dabei ist aber Casino ein derart vor Energie strotzendes Werk, dass es Vergleiche mit kaum mehr, als einer lässig in die Höhe gezogenen Augenbraue quittieren braucht. Über eine Stunde lang rast der Film in einem Tempo voran, als wolle er alle Spieltische in Las Vegas an einem einzigen Abend abräumen. Aus dem Off klatschen einen Ace und Nicky abwechselnd mit Namen und Insiderinfos zu, „Casino" bricht ab der ersten Minute in einem derart heftigen Bildersturm aus sich heraus, dass man sich vorkommt, als käme man aus einer Höhle gekrochen und sehe zum ersten Mal die ganze Vielfalt der Welt vor sich. Scorsese bündelt diese in alle Richtungen auszubrechen drohende Vielfalt auf beeindruckende Weise, so wenig er sich davor scheut, den Zuschauer heillos zu überfordern, so sehr fesselt der entfachte Sog an den Film. Neben den von Scorseses Stammkräften Thelma Schoonmaker und Robert Richardson durch Schnitt und Kamera in virtuose Form gepressten Bildern sorgt die fast nie verstummende musikalische Untermalung mit ihrer phantastischen Songauswahl für ein filmisches Genusserlebnis, wie man es in Reichhaltigkeit und Reizsetzung selten gewährt bekommt.
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Die eigentliche Story von Casino fängt dabei erst mit der größten Überraschung des Films an zu beginnen: das sich die mit Paul Verhoevens Basic Instinct (1992) zur Sex-Ikone aufgestiegene und danach ziemlich abgeschmierte Sharon Stone in der harten Machomännerwelt des Martin Scorsese würde behaupten können, damit hatten wohl die wenigsten gerechnet. Doch in ihren eleganten bis schillernden Outfits ist Stone nicht nur ungemein attraktiv, wohl das mindeste von ihr zu erwartende Attribut, als Glücksjägerin Ginger überzeugt sie neben dem eingespielten Duo De Niro/Pesci tatsächlich auch darstellerisch wie nie zuvor und niemals wieder. Nachdem Ace Ginger kennenlernt und heiratet ist sie die Schlüsselfigur des Films und der Grund des Niedergangs. Das eine Frau die Männerwelt ins Wanken bringt ist als Motiv natürlich so ausgelutscht wie das Klischee von der immer gewinnenden Bank. Wo man De Niro natürlich sowieso alles abnimmt, was er spielt, ist es hier nun vor allem an Stone, diesen Teil des Films tragfähig zu halten. Das von allen bewunderte und begehrte Glamourgirl nimmt man ihr ohne hinzusehen ab (was man selbstredend trotzdem tun sollte). Doch auch was hinter der rein am Materiellen interessierten Fassade dieser personifizierten Glitzerperle zum Vorschein kommt, meistert Stone bravourös. Die in Hass und Selbstflucht umschlagende Beziehung zu Ace, die Flucht in die Arme ihres Zuhälters Lester und später gar in Nickys, der Besitzanspruch auf ihre Tochter, rein um des Besitzes willen - Stone wird einiges abverlangt und selbst heftigste Zusammen-, Wut- und Tränenausbrüche spielt sie mit einer gewissen Grazie des Abwrackens. So kalt und emotionsreduziert, wie Scorsese oft beobachtet, so viel an Emotion pumpt sie aus sich heraus und entlockt sie auch dem Zuschauer, man ist von ihr angetan, bewundert die Stärke, mit der sich in der Männerdomäne behauptet, man verabscheut sie, wenn sie koksend neben ihrer Tochter sitzt, bemitleidet sie, wenn sie auf einem dreckigen Hotelflur ihr Ende findet.
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Die grollenden Strudel aus Sex und Gewalt, Geld und Macht, Vertrauen und Verrat, in denen Casino seine Protagonisten versenkt, werden von Scorsese in beinahe dreistündiger Präzisionsarbeit Wirbel für Wirbel unter dir Lupe seiner überragenden Regie genommen. Beleuchtet in einer Detailfülle, die bis zu dem Punkt, an dem er ihre Drehgeschwindigkeit zumindest ein wenig drosselt, geradezu auslaugende Wirkung haben kann. Aus diesem ewigen Vorlauf gewinnt der gleichlange Schlussakt des Films, gewinnen die Charaktere dafür aber die volle Größe und die Tiefe des Abgrunds, in den sie hinabstürzen, wird trotz des in tiefster Schwärze verborgen liegenden Bodens vorstellbar. Jeden Schlag, den Nicky plötzlich mehr braucht, um jemanden niederzustrecken, jeder Fitzel an Kontrolle, der aus Ace‘ Händen gleitet, jedes Tröpfchen Alkohol, das Gingers Kehle hinabfließt, alles ist nun von weitreichender Bedeutung. Die Überwachung durch Polizei und FBI umschließt sie immer enger, die Bosse werden zunehmend ungeduldiger mit ihren aus den Bahnen geratenen Untergebenen. Der wie von Scorsese nicht anders gewohnt voll und ganz im Kontext der Geschichte stehenden Gewalt wird dabei genauso Platz eingeräumt, wie einer haarsträubenden Komik, etwa wenn zwei FBI-Männer nach Observationsüberstunden mit ihrem Flugzeug aus Spritmangel in Ace‘ Garten notlanden müssen.
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Robert De Niro und Joe Pesci verabschieden sich mit tollen Leistungen von Martin Scorsese. Pesci hibbelt und flippt nicht ganz so aufgedreht durch das Geschehen, versprüht aber in jeder Bewegung beinahe noch mehr Gift und Galle, als in seiner GoodFellas-Oscarperformance und wieviel respekteinflößende Präsenz selbst im Angesicht eines zwei Meter Hünen in seinen einhundertdreiundsechzig Zentimetern stecken ist schon beachtlich. Den anfangs disziplinierten und in jeder Situation kontrollierten Ace lässt De Niro in einen unterschwelligen Zorn und nagende Verzweiflung im nahenden Übel seines davon gleitenden Lebenstraums kippen. Ohne die Notwendigkeit großer Gesten scheint sein Ausbruch jederzeit bevorzustehen, was es umso spannender macht, ihn auf jenen bereits in der ersten Szene gezeigten Moment zufallen zu sehen, in dem mit ihm am Steuer seines Wagens eine Autobombe explodiert.
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Phänomenal in Optik und Akustik, in Schauspiel und Inszenierung, mit der Wucht eines Dampfhammers und der Sogkraft eines Tornados - Casino ist in allen Belangen ein cineastischer Jackpot. Ein Film, an dem so gut wie sämtliche Award-Ehren dieser Welt sowohl in Form von Auszeichnungen als auch bloß Nominierungen vorbeigingen, abgesehen vom GoldenGlobe für Sharon Stone, und der damit zeigt, wie wenig man darauf wirklich zur Messung filmischer Qualität geben kann (auf der Nominierungsliste der Oscars 1996 wurde ihm beispielsweise Ein Schweinchen namens Babe vorgezogen...).