Die Bond-Franchise war zuletzt ein von Tinte durchzogenes Stück Papier, in wilden Zügen verkrackelt mit unbeholfen geführtem Strich. Orientierungs- und Planlosigkeit. An den Ecken schon vergilbt, in der Mitte tiefschwarz und ohne erkennbares Muster, während die Rob Cohens und Doug Limans dieser Welt das Chaos nutzten, um woanders auf frischem Papier den Agentenfilm neu zu ordnen - künstlerisch und kommerziell mal mehr, mal weniger erfolgreich, ohne dabei aber tatsächlich die Dienstälteste aller Agentenserien übertrumpfen zu können - es ging lediglich um die Neuorientierung.
Was lag da also auch für Her Majesty’s Secret Service näher, als ein frisches Blatt Papier zu nehmen?
Ein perfekt dosierter und zwischen Action, Humor und Spannung ausbalancierter Neustart einer von vielen Cineasten vergötterten Serie, die uns schon seit Jahrzehnten begleitet, sollte es werden und ist es am Ende wahrhaftig geworden. Der Eintritt in den dritten 007-Zehnerpack schafft es, was das Jubiläum nicht vermochte: sich gegen all die festgefahrene Konservativität sträuben und ohne Rücksicht auf Verluste einen beeindruckenden 180-Grad-Schlenker zu vollführen, der (fast) alle Schnodderer und Schnatterer im Vorfeld komplett entwaffnet.
Und derer gab es ja bekanntlich viele. "Casino Royale" lehrt mit Nachdruck, dass es ein großer Fehler sein kann, sich auf ungelegte Eier zu stürzen, denn aus dem Ei könnte unverhofft ein Drachen schlüpfen und dir in die Hand beißen.
Daniel Craig ist ein Drachen mit riesigen Zähnen. Wenn man schablonenhaft nach der optimalen Passform für eine Silhouette sucht, die einst von einem Connery, einem Moore, einem Dalton, einem Brosnan ausgefüllt wurde, kann man in Gefahr laufen, sich unwissentlich der immergleichen Norm zu verschreiben. Im Vorfeld deklarierte "Idealbesetzungen" wie Clive Owen wären nach 44 Jahren Bond schlussendlich vielleicht zu ideal gewesen, mit anderen Worten: langweilig. Craig ist davon nichts. Craig ist ein Tier, ein Killer, ein ironischer. Ein böser Mann mit einem gigantischen Ego und fast jungenhafter Naivität. Eva Green stellt es in ihrer Liaison heraus: Warum verfallen Bondgirls nur immer dem Bad Guy-Typus? Craig gibt darauf eine schlagfertige Antwort, derer ein klassischer Bond vielleicht keine auf Lager gehabt hätte.
Zu einem starken Mann gehört freilich auch eine starke Frau und Eva Green ist als Vesper Lynd eine der besten Bondgirls aller Zeiten, weil sie einen idealen Mittelweg zwischen Objekt der Begierde und emanzipatorischem Selbstbewusstsein zeigt. Sie ist wunderschön, schlagfertig, intelligent, aber auch verletzlich und manipulierbar. Das verleiht ihr eine Vielschichtigkeit, die einen angenehmen Kontrast zur eindimensionalen Halle Berry darstellt, die es vielmehr darauf anlegte, in einen Konkurrenzkampf mit Bond zu treten. Seit dreißig Jahren versucht man, Frauen eine emanzipatorische Standfestigkeit zu verleihen, doch meistens wurde das dann mit puristischem Radikalfeminismus verwechselt. Auch und nicht zuletzt in der Bond-Reihe stand oft ein gähnender Abgrund zwischen den Frauen, die nur als Objekt betrachtet wurden, und jenen, die ohne Rücksicht auf Verluste ihre Dominanz ausspielten. Dass gerade jetzt endlich wieder der erwünschte Spagat gemeistert wird, ist ein ungemein wertvoller Glücksgriff.
Das sind mindestens zwei schlagkräftige Argumente für “Casino Royale”, mit denen im Vorfeld niemand gerechnet hatte. Wie oft hat man die ständigen “Back to the Roots”-Opern schon gehört und wie oft sind sie total in die Hose gegangen. Doch James Bond bestreitet offiziell bereits seit 44 Jahren auf der Leinwand den Dienst und muss sich zwangsläufig entwickeln. Das “Relikt des Kalten Krieges” kann er nicht mehr sein. Es ist also nicht inkonsequent, den ersten Fleming-Roman oberflächlich als Prequel zu verkaufen, ihn aber handlungstechnisch doch in die Gegenwart zu versetzen und mit Handys und Luxuskarosserien jüngster Baujahre spielen zu lassen - das ist schlichtweg notwendig. Ebenso wie die ungewöhnliche und sehr mutige Entscheidung, einen Bullen wie Craig zu verpflichten. Selbst bei guter Schauspielleistung, und die liefert er ganz zweifellos so überzeugend ab, dass keiner seiner Vorgänger auch nur den Hauch einer Chance hat, muss er sich den Vorwürfen aussetzen, sich nicht der Gentleman-Rolle zu unterwerfen. Anbiederung an erfolgreichere, weil zeitgemäßere Agentenmodelle war eines der lautesten Argumente gegen Craig als Charaktertyp und damit gegen den kompletten Filmstil selbst, der durch das stimmige Gesamtdesign um Schauspieler, Ausstattung, Actioninszenierung, Humor, Thrill und Drama automatisch gleichermaßen betroffen ist. Craig is not Bond (.com?), also ganz automatisch das Gesamtprodukt ebensowenig. Davon ab, dass der James Bond im Roman auch nicht ganz der ist, den zuletzt Pierce Brosnan - auf seine Art ebenfalls recht überzeugend - zur Marke ikonisiert hat, stellt sich diese Annahme letztendlich als unzutreffend heraus. “Casino Royale” bietet sehr wohl einen eigenen Stil auf, wechselt erfolgreich zwischen dem Glamour der Gamblerszene und der nötigen dreckigen Härte.
Nicht ganz optimal gibt die klassisch stilisierte Titelsequenz davon Aufschluss. Sowohl der Titelsong von Ex-Soundgarden- und Audioslave-Frontmann Chris Cornell als auch die kontrast- und konturfreien malerisch-weich animierten Opening Credits wirken gewollt schlicht und gedämpft, seriös eben wie ein Ensemble an einem Kartentisch - nur fasst das nicht das zusammen, was man in den sehr großzügigen 140 Minuten zu sehen bekommen wird. Dabei wird Cornells Song an sich eindeutig unter Wert verkauft, ordnet er sich doch klar im oberen Drittel der All Time-Titelsongs ein und lässt den grässlichen letzten Ausrutscher fast vergessen.
Das Drehbuch holt aus der minimalistischen Story einfach alles heraus und vermag es, mit unvorhergesehenen Handlungsabläufen nur so um sich zu werfen, was soweit geht, dass man nicht einmal abschätzen kann, wo sich nun eine Actionszene, ein Thrillerelement oder lockerer Dialog manifestieren. Das geht ein wenig zu Lasten der Dramaturgie, die auch wegen dem von Mads Mikkelsen grundsätzlich recht solide gespielten Le Chiffre etwas humpelt, der von Regisseur Campbell etwas unscheinbar eingesetzt wird; andererseits verweigert sich "Casino Royale" dadurch eben dem gängigen Aufbau und garantiert so erst den unvorhersehbaren Verlauf. Die oft ins Persönliche abrutschende Kontrahentenschaft zwischen Bond und seinem schurkischen Gegenspieler wurde der Neukonzeption ebenso geopfert wie ein Q oder eine Moneypenny. Le Chiffre ist ein Mittelsmann, nur ein Geschäftsmann, und das ist gut so. Aber es bleibt doch ein wenig Verdrossenheit darüber, dass Mikkelsen eigentlich noch viel mehr zu zeigen hat. Alleine in “Dänische Delikatessen” schwitzte er ein Dutzend mal ausdrucksstärker als hier.
Trotzdem ist die Pokerszene, das Zentrum seiner Leinwandpräsenz, eine sehr spannende Angelegenheit geworden, die in ihren fünf und mehr Handlungsstunden keine Minute zu lang geworden ist. Obwohl der Verlauf im höchsten Maße vorhersehbar ist, wird er mit geschickten Unterbrechungen aufgebrochen und gewürzt, und wenn sich Bond nach einer kleinen Entschuldigung räuspernd zurück an den Tisch setzt und Le Chiffre ins schwitzende Gesicht schaut, ist das wie ein mimischer Mittelfinger.
Rückwirkend ist die Struktur mit seinen drei größeren Actionszenen, der erwähnten Pokerszene und etwas Liebelei gerade im letzten Drittel leicht bröckelig. Sie stellt aber zufrieden, zumal dem Film durchgehend ein trockener, aber würdevoller Look anhaftet, der gerade den bodenständigen Actionszenen eine begehrenswerte Attraktivität verleiht - auch wenn die Jagd über das Baugelände nah an der Grenze zum Überzogenen steht, für sich betrachtet dennoch gut ausschaut.
Es ist - trotz einiger verzogener Rädchen im Getriebe - genau der Relaunch, den sich alle Welt gewünscht, aber den nur wenige wirklich erwartet haben. Craig lehrt die geschwätzige Welt eine gehörige Lektion, die sie voll und ganz verdient hat und "Casino Royale" ist ein herrlich alternativer Bond, der sich nicht einmal wie befürchtet zu stark dem Erfolgsrezept der "neuen Bonds" wie Jason Bourne verschreibt, sondern ein eigenes Bondflair durchaus für sich verbuchen kann. Einige wenige Strukturprobleme können und dürfen bei einer solchen Mission auftreten, wenn dafür die Entschlossenheit an den Tag gebracht wird, die mit diesem Projekt gegen alle Widerstände durchgeboxt wurde. Bestehen bleibt trotz aller Euphorie eine gewisse Skepsis, wie Craig seine Interpretation in weiteren Einsätzen ausbauen wird. Denn wiederum wird ein erneutes Anpassen an die sich veränderten Umstände gefordert sein. Eine Mission: Impossible sollte das aber normalerweise nicht werden.