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Der unsägliche Madonna-Song ist langsam raus aus den Ohren, der Ärger über das unsichtbare Auto und überhaupt über den kompletten Jubiläums-Bond "Die another Day" verraucht, da kommt vier Jahre später ein Bond ins Kino, so generalüberholt, wie es eine Fortsetzung nur sein kann. Um eines klar zu stellen: Hätte Brosnan hier mitgespielt, ich wäre mit Sicherheit nicht ins Kino gerannt. Sämtliche Kritiken nach Daniel Craigs Casting haben mich eher noch neugieriger gemacht, und es bleibt festzuhalten: Das ist endlich DER Bond-Film den ich immer im Kino sehen wollte, einer von der Sorte, wie ihn Brosnan mir nie hätte geben können.

"Casino Royale" ist die Verfilmung von Ian Flemings Roman-Erstling, natürlich stark erweitert, spielt doch das Buch fast ausschließlich im Casino selbst. Am Anfang steht allerdings nur ein Agent ohne Doppelnull, die sich Bond erst im Vorspann verdient. Dazu benötigt er nur zwei erledigte Aufträge, genauer gesagt: Zwei Leichen. Die Art und Weise, wie Flemings legendärer Geheimagent bereits in den ersten fünf Minuten agiert, lässt stark vermuten, dass von nun an einiges anders laufen wird. Craig mag weniger stilvoll sein als mancher Vorgänger, aber er ist knallhart, wenn es denn die Situation erfordert. Alleine aufgrund seiner Statur bringt er eine enorme Präsenz mit auf die Leinwand; noch wichtiger ist aber, dass es sich bei ihm um einen handfesten Charakterdarsteller handelt, der endlich die große Schauspielkunst in einen Bond zurückbringt, die man eigentlich seit Connery vermisst hat.

Die komplette erste halbe Stunde ist aber weniger eine schauspielerische Bewährungsprobe für Craig, als vielmehr eine körperliche. In Afrika kommt es zur wohl längsten gefilmten Verfolgungsjagd zu Fuß, die je in einem Bondfilm zu sehen war. Völlig überzogen natürlich die Szenen auf dem Kran, aber genau diese halsbrecherischen Szenen ohne nervige CGI-Effekte will man als Fan der Reihe sehen und eines ist klar: Die Stuntmen leisteten hier wirklich hervorragende Arbeit.

Anfangs gibt es also Action satt in diesem neuen Bond, was sich schlagartig ändert, als Eva Green alias Vesper Lynd die Bühne betritt. Die ohnehin überdurchschnittliche Qualität des Streifens hebt sich nun noch einmal schlagartig, denn Green ist genau die Sorte Bondgirl, die der Geheimagent braucht: Schön, äußerst intelligent, schlagfertig und geheimnisvoll. Zunächst weist sie Bond in herrlicher Art und Weise zurecht (der Dialog im Zug ist großes Kino!), schließlich kommen sich beide, wie zu erwarten, im Laufe ihres Einsatzes doch näher. Es folgt die stärkste Phase des Streifens, als Bond im titelgebenden Casino in Montenegro den Bösewicht "Le Chiffre" bei einem Pokerturnier schlagen muss, damit der das Geld nicht für terroristische Zwecke benutzen kann. Das Pikante an der Sache ist, dass Bonds Tarnung längst aufgeflogen ist, Chiffre aber nichts dagegen tun kann, denn dem sitzen Gläubiger im Nacken, die ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen gehen. Chiffre braucht also nichts anderes als den Pot, genau wie Bond. Obwohl Mads Mikkelsen Craig körperlich klar unterlegen ist, zählt er dennoch zu den besten Bondbösewichtern seit langem, hat man doch bei ihm das Gefühl, einen Gegenspieler zu haben, der dem Geheimagenten alles abverlangt.

Der Spannungsaufbau um die komplette Casinosequenz ist einfach genial; da kommt es dem Film sicher zugute, dass Oscar-Preisträger Paul Haggis beim Drehbuch seine Finger im Spiel hatte. Neben markanten One-Linern und herrlichen Dialogen bietet "Casino Royale" auch noch eine wirklich ausgeklügelte Story, die nach dem Casinobesuch und der Folterung Craigs (hat das Klassikerpotential der "Goldfinger"-Szene) einen ganz unerwarteten Verlauf nimmt: Bond verliebt sich in Vesper und gibt seinen Beruf für sie auf. Da wir wissen, dass es sich bei "Casino Royale" um eine Vorgeschichte sämtlicher Bondabenteuer handelt, ist aber auch klar, dass diese Beziehung nicht halten kann und dass für die Gründe höchstwahrscheinlich Außenstehende in Frage kommen. Also wartet man nach etwas schwülstigen Minuten um James' große Liebe nur darauf, dass gleich einer kommt und Vesper in die ewigen Jagdgründe schickt. Dieses eigentlich unausweichliche Schicksal und die damit verbundene Vorhersehbarkeit des Endes löst das Drehbuch aber erneut sehr geschickt, was im Nachhinein nicht zwingend logisch, aber doch sehr überraschend ist.

Die abschliessende Actionsequenz in Venedig hat dann leider nicht mehr die Rasanz der Eröffnungsszene auf dem Kran, was aber folgt ist eine Tragik, die in dieser Form bei Bond noch nie zu sehen war: Anfangs war er ein eiskalter und knallharter Geheimagent, dann schaffte es Vesper Lynd, seine harte Schale zu brechen, und den Menschen hinter Bond freizugeben. Jetzt, zum Ende, wo Bond einen riesigen Verlust verkraften muss, wird er zu dem Mann, den wir aus den bisherigen Filmen kennen. Ohne zuviel verraten zu wollen, aber diese Wandlung geht einem tatsächlich näher, als es bei Connery, Moore oder Brosnan je der Fall war. Der sonstige Übermensch Bond hat es hier schwer, seine Gefühle in den Griff zu kriegen und ist längst nicht mehr der Superagent, der jede Lebenslage souverän meistert.

Für Fans des klassischen Bonds bedeutet das selbstverständlich eine Umgewöhnung, aber ich für meinen Teil gewöhne mich im Ansicht der enormen Qualität dieses Streifens gerne um. Die Gefahr, dass der Geheimagent nach den letzten Abenteuern endgültig zur Selbstkarikatur verkommt, war schließlich enorm und eine Generalüberholung zwingend notwendig. Der geschickteste Schachzug war neben der Besetzung der Hauptrollen (Craig wie schon erwähnt klasse und mit einer ungeheuren Präsenz, dazu Eva Green als bestes Bondgirl seit Jahren und Mads Mikkelsen als bösartigster Bondschurke seit "License to Kill") sicherlich die Verpflichtung von Paul Haggis, der zusammen mit den Bond-erprobten Autoren Neal Purvis und Robert Wade ein Drehbuch auf höchstem (Action-)Niveau ablieferte.
Was ist also passiert? James Bond ist neu geboren worden, das zählt nicht nur für seinen Status als Doppelnullagent, sondern vor allem für die Figur selbst. Daniel Craig zeigt ganz neue Facetten des Agenten und straft alle Kritiker Lügen. Die Feuertaufe gilt es aber erst im nächsten Abenteuer zu bestehen, wenn es nicht mehr möglich sein wird, Bonds Entwicklung zu dem Menschen, wie wir ihn aus vergangenen Filmen kennen, zu zeigen. Hier wird sich herausstellen, ob die neue Erscheinungsart des Doppelnullagtenen auch in einem Bondabenteuer nach klassischem Strickmuster greift. Potential ist auf jeden Fall im Überfluss vorhanden!

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