Nach den mehr und mehr in Hinsicht auf ihr 007-Siegel an chronischer Blutleere kränkelnden und zuletzt wahrlich enttäuschenden James Bond-Abenteuern mit Pierce Brosnan sollte „Casino Royale“ wieder den Geist Ian Flemings atmen und zugleich den eleganten und nicht ausschließlich lautstarken Argententhriller zurückbringen, den die Vorgänger Sean Connery und Roger Moore einst bevölkerten. Ein viel versprechender Ansatz, der mir ein ungläubiges und zugleich hoffnungsvolles Hochziehen der Augenbrauen entlockte als ich zum ersten Mal davon las.
Doch die ersten 45 Minuten ließen mich resigniert die Schultern einziehen. Sollte das etwa der alte Bond in neuer Form sein? Zum Bersten gefüllt mit tolldreisten und pompösen Actionsequenzen, Explosionen und Stunts sah das vielmehr nach dem neuen Bond in alter Form aus. Wirklich viel schien sich seit „Die another day“ nicht geändert zu haben außer das Daniel Craig im Gegensatz zu seinem Vorgänger wenigstens ordentlich zulangen darf, als Schauspieler mehr Charisma bietet und die Actionsequenzen etwas bodenständiger wenngleich auch nicht minder unglaubwürdig wirkten. Dies zumindest in Hinsicht auf die waghalsige Verfolgungsjagd auf der Baustelle auf Madagaskar.
Doch was nach dem ungutes und nichtssagendes verheißenden ersten Drittel folgte ließ mich dessen pausenloses Getöse vergessen. Kaum trifft Bond in Montenegro ein macht der Film eine 90° Wendung und bald atmet der Film mehr und mehr den Geist, der die Bond-Filme in meinen Augen stets ausmachte und der in den letzten Teilen praktisch nicht mehr zu spüren war. Agententhriller ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort doch man fühlt sich auf angenehme Weise an die Zeiten erinnert an denen die 007-Abenteuer nicht nur Action sondern auch Spannung und knisternde Dialoge zu bieten hatten. Von beidem gibt es hier ausreichend.
Auch vollzieht Daniel Craigs James Bond eine Wandlung: Zuvor eher ein skrupelloser Drahtseil-Mann ohne Gesicht, erhält er nun ein Profil, eines das zwischen George Lazenby und Timothy Dalton liegt (um den ungerechten Vergleich mit früheren Kollegen notgedrungen zu strapazieren) und sich optisch tatsächlich am ehesten Sean Connerys Abziehbild angleicht. Die Zynik und Kühle von Dalton und in den Szenen mit Vesper Lynd- übrigens endlich wieder einmal ein interessantes Bond-Girl mit Tiefe- der weiche Kern in der harten Schale, wie ihn uns Lazenby in „On her majesty’s secret service“ (nebenbei bemerkt mein Lieblings-Bond-Film) zeigte. Somit möchte ich hiermit ein ehrliches Lob auf die Wahl von Craig aussprechen. Die Hetzkampagnen gegen ihn zeugen nur von völliger Unkenntnis seiner Wandlungsfähigkeit (hierbei möchte ich auf mein Review zu „Love is the devil“ verweisen) und der völlig aus der Bahn geratenen Vorstellung, die man heutzutage von einem James Bond hat. Letzten Endes muss ich gestehen, dass ich dem aalglatten und wenig markanten Pierce Brosnan nie besonders viel abgewinnen konnte. Die Besetzung von Daniel Craig zeugt von einem gewissen Mut von Seiten der Produzenten und zeigt dass sie offenbar noch nicht zur Gänze vergessen haben, was für ein Bild der Schöpfer des Agenten, Ian Fleming in seinen Romanen von ihm zeichnet.
Als ich vor Monaten hörte, das Craig die definitive Wahl sei, war ich schon glückselig. Im Gegensatz zu den meisten anderen war diese Entscheidung in meinen Augen über jeden Zweifel erhaben und ich war mir sicher, das man kaum einen besseren (bekannten) Schauspieler hätte finden können. Und wenn ich dann an die beiden Alternativen Owen und Jackman denke...!
So kauft man Craig sowohl die kaltschnäuzige Berechnung eines Killers als auch die emotionale Öffnung ab, die er dank Vesper Lynd vollzieht, die übrigens bezaubernd von Eva Green verkörpert wird. Doof-toughe, aber vollbusige Zuckerpüppchen a là Denise Richards oder Besetzungskatastrophen wie Halle Berry muss man hier glücklicherweise nicht hinnehmen. Auch der schon fast roboterhafte und völlig gefühlskalt dargestellte Kontrahent Le Chiffre wird von Mads Mikkelsen sehr glaubwürdig vermittelt, insbesondere da er die Diabolik seines Parts vor allem über sein Minenspiel transportieren muss. Schön ist auch ein Wiedersehen mit dem einstmals sehr gefragten italienischen Charakterdarsteller Giancarlo Giannini (den ich nicht unbedingt wegen seiner Auftritte in Großproduktionen sondern vielmehr in dem Giallo „Der schwarze Leib der Tarantel“ schätze) als Matthis. Und in einer Nebenrolle als witziger Schweizer Bankier Mendel ist sogar der deutsche Ludger Pistor („Balko“, „Lola rennt“) zu sehen. Die Figur der Vesper Lynd ist im übrigen auch die erste, in die sich Bond verlieben darf seit Diana Rigg in „On her majesty’s secret Service“. Diese emotionale Seite stört vielleicht viele doch Ian Fleming selbst hat Bond auch ein selten sichtbares romantisches Gesicht auf den Leib geschrieben. Und da hier von seinen Anfängen im „Business“ berichtet wird sei ihm dies nach der lange zurückliegenden Tracy di Vincenzo auch wieder einmal gegönnt.
Höhepunkt des Films, sowohl spannungstechnisch als auch filmisch ist sicherlich das Duell von Craig und Mikkelsen am Spieltisch, dessen Pausen für beide Parteien alles andere als erholsam verlaufen. Die beiden Darsteller geben ohnehin ihr bestes, immerhin aber traut sich hier auch die im übrigen Film ziemlich unentschlossene Kamera aus ihrer Reserve und trägt zur nervlichen Anspannung beim Zuschauer bei. Ein sehr gelungener Teil, der wie kein anderer wohlige Erinnerungen weckt. Das Bond mit der Zeit gehen muss um zu bestehen ist eine Sache. Das er aber auch auf einigen Dingen bestehen bleiben muss, ist eine andere, die man leider in den letzten Jahren nicht berücksichtigte, während die Drehbuchautoren hier glücklicherweise Lunte gerochen haben.
Andererseits haben sie aber leider auch unter der holprigen und zuletzt übereilten Pre-Production gelitten und man wird partout das Gefühl nicht los, das das Drehbuch noch nicht ausgereift war, als man begann, es zu verfilmen. Im Gesamteindruck wirkt der Film sehr zusammengestückelt was sich auch darin bemerkbar macht, das 75 % der Action-Szenen im ersten Filmdrittel zu finden sind, meiner Meinung nach zwar nicht störend sondern in Hinblick auf diesen Stoff sogar ein Segen, dennoch aber reichlich seltsam und unglücklich gelöst. Vielleicht hätte man es doch etwas weniger krachen lassen sollen, damit der Kontrast zum Rest des Films, der wohlgemerkt aber auch nicht auf Action und Kämpfe verzichtet, nicht gar so dringlich auffällt. Auch wirkt die letzte Episode am Schluss aufgesetzt und man hätte das eigentliche Ende schon im Anschluss an den Showdown in Venedig erwartet, was sich auch angeboten hätte.
Inzwischen kein Geheimnis mehr ist auch, dass „Casino Royale“ wohl auch der brutalste Bond seit „Licence to Kill“ ist. Hier wird nicht geschossen, hier wird geprügelt! Und wie! Daniel Craig darf sich wie erwähnt im wahrsten Sinne des Wortes durchs Geschehen dreschen und sorgt für Knochenbrüche und Blutergüsse ohne Ende. Das gefällt und scheint auch im Trend zu liegen (man denke an den Erfolg von „Ong Bak“). Dass Craig ein Weichei sein soll, wie man oft raunte, wird nach den ersten 20 Minuten wohl niemand mehr behaupten. Viel zu vital und rau ist sein Auftreten, viel zu flink und waghalsig die Handlungen, die er in die Tat umsetzen muss (und auch selbst umgesetzt hat wenn man der Presse Glauben schenken darf). Jedenfalls erstaunt es wieder einmal, das die FSK den Film ohne Scheu ab 12 freigegeben hat. Je größer der Verleiher, desto einfacher die Korruption...
Der Score ist leidlich ausgefallen, reicht aber natürlich nicht im Geringsten an die großartigen Kompositionen des seligen John Barry heran. Auch der Titelsong von Chris Cornell ist keine Erleuchtung. Zwar erinnert seine gepresste Stimme ein wenig an Tom Jones („Thun-der-baaaaaall“) doch so recht im Ohr hängt sich das Stück nicht fest. Dafür hat man aber einen sehr schönen Titelvorspann kreiert, der hervorragend zwischen den üblichen Bond- und Frauensilhouetten und Spielkarten sowie deren Motiven jongliert und sofort das richtige Feeling vermittelt. Schade ist nur, dass man Monty Normans Bond-Theme nur so selten zu hören bekommt, hier hätte man die ohnehin schon bestmöglich (innerhalb des modernen Mainstream-Kinos) gelungene Reunion des klassischen Stils noch etwas unterstreichen können.
Unterm Strich ist „James Bond 007: Casino Royale“ wohl der beste Bond-Film seit den beiden Einsätzen Timothy Daltons Ende der 80ziger. Ich habe das Kino zufrieden und erleichtert verlassen und kann all diejenigen, die ebenso wie ich einen weiteren „unbondigen“ Hollywood-Action-Reißer mit pompösen Computer-generierten Effekten und ohne Atmosphäre befüchteten, entwarnen: Auch wenn der Einstieg genau das letztere ankündigt wandelt sich „Casino Royale“ nach einer guten halben Stunde zu einem klassischen Bond-Abenteuer bester Tradition und macht den treuen Fans des Doppelnull-Agenten endlich wieder eine Freude ohne dabei in lästiger Zitiererei zu versinken. Daniel Craig ist ein perfekter Bond wie er im Buche steht und „Casino Royale“ ein guter Film, der fast alles enthält, was man sich von einem typischen Bond erwartet. Endlich wieder einmal hat sich die Multiplex-Kinokarte gelohnt. Da capo!