Review

-- The Bitch is dead --


SPOILERWARNUNG! Wer den Film nicht gesehen hat, nicht lesen!!!!

englische Sprachfassung

Bond rewinded and reloaded: Er ist jung und wurde gerade zum Doppel-Null-Agenten befördert, was den Film aber nicht davon abhält, die Handlung nicht nur Post-Cold War sondern gleich Post-9/11 anzusiedeln (um genauer zu sein Sommer 2006, wie die Displays der im Film benutzten Mobilfunktelefone und Computer mehrmals erkennen lassen). Und das ist alles gut so. Denn einerseits geht die Bondreihe zu ihren Anfängen zurück (um es diesmal besser zu machen) und andererseits bleibt Bond modern und lebt in unserer Zeit, unserer jetzigen Welt, damit wir zu ihm und seiner Umwelt leichter einen Draht bekommen. Die Verlegung des etwas älteren “Casino Royale”-Stoffes in unsere heutige Zeit sagte mir daher sehr zu.

Hier wird ein junger, unerfahrener, mit zu großem Ego und Leichtsinn ausgestatteter James Bond vorgestellt. Ein Mann, der noch grün hinter den Ohren ist und die Konsequenzen seines Tuns nicht abschätzen kann -- so wird beispielsweise wegen seines Leichtsinns sein One Night Stand (Catarina Murino) brutal ermordet. Dieser Bond ist ungestüm (provoziert diplomatische Konflikte mit einer Botschaftsschießerei), er ist wenig kritikfähig und kindisch (klasse, wie er wie ein gescholtenes Kind schmollt, als seine Chefin M ihn zurechtweist), er kennt seine Grenzen nicht, er ist (wie Vesper während der Zugfahrt vermutet) gekränkt und versucht sich mit allen Mitteln zu beweisen, weil er als Waisenjunge von seinen reichen Freunden ausgegrenzt wurde. Dieser James Bond versteckt seine Verletzlichkeit und Sensibilität unter einem Gewand aus Härte und Toughness.
Kurz: Dieser Bond ist ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit unterschiedlichen Facetten. Vorbei sind endlich die Zeiten, in denen ein glatt gebügelter Pierce Brosnan als eindimensionaler Kasper in Anzug und Fliege durch imbezile Abenteuerchen turnte. Und Daniel Craig ist kein guter Bond, er ist ein SUPERBER Bond. Sieht geil aus, ist charismatisch, transportiert eine unglaubliche Mischung aus Härte/Coolness und Verletzlichkeit, legt die Figur James Bond facettenreich an und kann ihre Befindlichkeiten glaubhaft nonverbal kommunizieren. Craig besitzt eine starke Leinwandpräsenz und hat es einfach in allen Belangen drauf.

Ihm zur Seite steht Vesper, gespielt von der wunderbaren, mich immer wieder auf’s Neue sprachlos machenden Eva Green. Kein dummes Bondgirl, sondern eine starke Frau, die dem Agenten mit dem aufgeblasenen Ego ohne mit der Wimper zu zucken Paroli bietet, ihn in seine Schranken weist -- sowohl als Hitman als auch als Mensch. Einer der Höhepunkte von “Casino Royale” ist zweifelsohne das psychologische Duell der Beiden im Zugabteil. Craig und Green spielen auf Augenhöhe, es fließt Elektrizität zwischen den beiden Figuren -- ein verbales Duell zweier unterschätzter Leinwandgiganten. Die sich behutsam entwickelnde Liebe zwischen James und Vesper ist zu jeder zeit glaubhaft. Und so ist “Casino Royale” mehr als ein Agententhriller. Es ist eine menschliche Geschichte über Zwei, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein können, auf den zweiten Blick aber ähnlichen seelischen Schmerz mit sich herumschleppen, wie füreinender geschaffen zu sein scheinen und sich letztlich finden.
Dieser Film ist der emotionalste Bondfilm, an den ich mich erinnern kann.

Aber “Casino Royale” erzählt noch mehr: Er erzählt den Werdegang, die Selbstfindung des James Bond. Vom jungen, unerfahren, ungestümen Hitman entwickelt er sich unter dem Einfluss einer Frau zum sensiblen Mann, um anschließend gefoltert, gequält, gebrochen zu werden . Dann wird ihm seine Liebe genommen (brutal-genial, wie er seine Gefühle zu verstecken versucht hinter dem lapidaren Satz “The bitch is dead now”) und er muss mit der Erkenntnis leben, dass diese Frau ihr Leben für ihn geopfert hat. Am Ende ist Bond um einige seelische wie körperliche Narben aber auch um einige Erfahrungen reicher -- menschlich, emotional und professionell. Er durchläuft im Filmverlauf eine glaubhafte Entwicklung durch; er wird charakterlich geformt. Erst am Ende ist er der wahre 007, als er mit Scharfschützengewehr über dem am Boden kriechenden Mr. White auftaucht und dessen vor einigen Minuten gerufene Frage beantwortet: “The name’s Bond. James Bond.” Ein Blick in seine Augen verrät: Ja, das ist jetzt der wahre 007; ein charakterlich gereifter Mann, und nicht der Grünschnabel vom Filmanfang. Abspann. Ein gelungener, stimmiger Abschluss für diesen Film.

Aber auch auf der Ebene eines Agententhrillers funktioniert “Casino Royale” ausgezeichnet. Abgesehen von der unrealistischen Darstellung der Geheimdienste und der Mission (das macht aber nichts) wird hier eine durchaus komplexe Geschichte frei von größeren Unlogeleien oder Schnitzern erzählt (dazu muss man aber aufpassen, denn der Film erklärt einem nicht alles dreimal und erspart es sich, jeden Mist langsam auszubuchstabieren, was durchaus zu seiner Qualität beiträgt). Sehr gefallen hat mir die “Bodenständigkeit”: Keine grotesken Weltbeherrschungsszenarien wie in den Brosnan-Filmen sondern eine mehr oder weniger glaubhafte Geschichte des finaziell motivierten internationalen Terrorismus; keine absurden Gimmicks und Effektszenen, sondern handgemachte Action. Und diese Action ist toll. Die Szene mit der Verfolgungsjagd durch die Hochbaukräne beispielsweise versetzt einen in ein Gefühl, welches man sonst nur aus Jump and Run Videospielen kennt. Die Action ist in einem Wort mitreißend. Dabei stets gut dosiert, niemals “too much”. Der wahre Showdown jedoch ist keine Actionszene, sondern ein spannendes Pokerspiel im Casino (tolle Idee). Die meisten Dialoge sind zudem gut geschrieben, wirken clever. Mein Lieblingsmoment ist, da er ein altes Bondklischee veräppelt, dieser hier:
- One Vodka Martini
- Shaken or stirred, Sir?
- Do I look like I care?!
Einfach göttlich.

Gänzlich frei von Mängeln ist “Casino Royale” aber nicht. Die erste Filmhälfte weist einige Längen auf, hätte ihren Inhalt pointierter kommunizieren können. Mit Ausnahme derer zwischen Craig und Green wirken viele Dialogszenen hölzern (zwar gut geschrieben und hörenswert, aber von Campbell recht undynamisch inszeniert). Der Titelsong ist eine Zumutung. Beim ersten Auftauchen von Catarino Murino wird diese zu schwülstig pseudo-erotischer Hintergrundmusik so ins Bild genommen, dass es mich beinahe peinlich berührt hat. Und in letzter Konsequenz hätte ein Regisseur, der mehr Gespür für Bildersprache und Timing besitzt als Martin Campbell, die Casinoszenen natürlich noch prickelnder und spannender inszeniert.

Aber ich will nicht mosern; die eben erwähnten Kritikpunkte sind wirklich nur Peanuts. Im Großen und Ganzen ist “Casino Royale” sehr gelungen. Temporeich, menschlich, emotional, aufregend und anregend, kurzweilig und spannend, teils witzig. Hätte nicht gedacht, dass dieser Film mich menschlich dermaßen erreichen würde.
Mit Abstand bester Mainstream-Blockbuster des Jahres 2006 und bester Bondfilm seit vielen, vielen Jahren.

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