„Bond. James Bond!“ – Diese mittlerweile weltberühmte Formel, mit der sich der Geheimagent mit der Lizenz zum Töten bereits im ersten Bond-Abenteuer „James Bond jagt Dr. No“ vorstellte, hören wir im neuesten Film der Reihe erst ganz am Schluss.
Erst dann ist der Agent der Mann, der zukünftig die Welt vor Bösewichtern rettet.
„Casino Royale“ – so der Titel des aktuellen Bond-Films, der übrigens nichts mit der gleichnamigen, überaus schrägen Verfilmung aus den 60ern gemein hat, sondern sich eng an den allerersten Bond-Roman von Ian Flemming anlehnt – erzählt, wie Bond als Doppelnullagent angefangen hat, wie er „seinen“ Drink – Wodka Martini, geschüttelt, nicht gerührt – „entdeckte“, obwohl er sich in diesem Film noch nicht wirklich dazu bekennt, wie er zu „seinem“ Auto, dem Aston Martin DB5, kam, wie er Felix Leiter, den CIA-Agenten kennen lernte, aber vor allem, wie er der Bond wurde, den wir alle kennen. Der Film beschreibt gleichsam die Initiation eines Kinomythos.
"Casino Royale" beginnt mit einer knappen Episode, mit der sich Bond seine Lizenz zum Töten verdient. Die ist ihm dann auch im Anschluss von Nutzen, als er einen gesuchten Bombenattentäter verfolgt. Durch diesen Gangster kommt er auf die Spur von Le Chiffre, der Terroristen auf der ganzen Welt mit Finanzen versorgt. Der britische Geheimdienst fasst nun einen kühnen Plan: Auf einem von Le Chiffre selbst veranstalteten Pokerturnier soll Bond gewinnen und Le Chiffre damit dem massiven Druck seiner „Kunden“ aussetzen. Dann soll sich Le Chiffre Hilfe suchend und vor allem mit Informationen über seine „Kunden“ an den MI 6 wenden. Sein „Spielgeld“ bekommt Bond von der hübschen Buchhalterin Vesper Lynd, in die sich Bond in der Folge dummerweise verliebt. Wird der Plan aufgehen? … Wie wird Le Chiffre reagieren? … Was wird aus James und Vesper? …
Selbst wenn man nur einige wenige Bond-Filme gesehen hat, ist man dennoch an bestimmte Dinge gewöhnt:
- den Aston Martin DB 5
- den Wodka-Martini
- Felix Leiter
- M
- exotische Schauplätze
- spezielle Ausrüstungsgegenstände, die Bond in brenzligen Situationen helfen
- Action
- Bösewichter
- schöne Frauen und auch
- den Einbau aktueller technischer Entwicklungen, wie z. B. bei „Casino Royale“ das größte Passagierflugzeug der Welt, den aktuellen Trendsport Le Parkour, und das allgemein grassierende Pokerfiber
Auf all diese Faktoren des 007-Universums muss der geneigte Bond-Fan auch in „Casino Royale“ auch diesmal nicht verzichten.
Aber einige gewohnte Elemente fallen, der Frischzellenkur geschuldet, die man der Bond-Reihe nach dem letzten Desaster „Die another day“ dringend verpassen musste, (leider?) auch weg:
- der ca. 10-minütige, in sich abgeschlossene Vorfilm, der meist nichts mit dem Rest der Handlung zu tun hat
- die leicht oder gar nicht bekleideten Frauen im Vorspann
- der Ausrüster Q
- Miss Moneypenny und damit auch der kleine Schwatz, den Bond jeweils zu Beginn der Mission mit ihr hielt
Aber auch sonst hat sich einiges geändert:
Die Story ist realistischer, die Action größtenteils „handgemacht“ und auf alberne CGI-Effekte wird gänzlich verzichtet.
Das Töten geschieht nicht nur nebenbei, es ist harte Arbeit. Die betreffenden Szenen sind von einer Intensität, wie man sie von Bond-Filmen bisher nicht kannte.
Es wird mehr Wert auf eine schlüssige Geschichte – wenn man mal von dem Plan mit dem Pokerspiel absieht – und auf glaubwürdige Charaktere gelegt.
So ist der Bösewicht kein durchgeknallter Irrer, der die Weltherrschaft anstrebt, sondern ein „vernünftiger“, wenn auch äußerst brutal vorgehender Spieler. Dieser Hang zum Zocken bringt auch ihn selbst in Schwierigkeiten, die er beheben muss und dabei ist ihm jedes Mittel recht.
De Bond-Girls sind nicht mehr nur Sexobjekt, sondern nehmen sich auch selbst, was ihnen Spaß macht oder sagen deutlich ihre Meinung.
Dieser Realismus tut dem Film sichtlich gut!
In den ersten 40 Minuten kommt der Zuschauer kaum zu Atem, so hoch ist das Tempo. Zwei furios gefilmte Action-Sequenzen, von denen die erste, die Bond u. a. auf einen riesigen Auslegerkran führt, vielleicht das Action-Highlight des Films ist, erwecken den Eindruck, das der Film eines dieser heute üblichen seelenlosen Action-Feuerwerke werden könnte.
Aber plötzlich – mit dem Auftritt von Vesper Lynd - nimmt der Film das Tempo raus und bietet jetzt witzige, bissige Dialoge, die fast an die Screwball-Comedies der 40er und 50er Jahre erinnern. In diesen Szenen gewinnt der bisher als grober Klotz durch die Szenen gehetzte Bond enorm an Profil.
Bei der Ausgestaltung der Dialoge hat man sich besonders viel Mühe gegeben, was dem Film ebenso sehr gut tut.
Im Zentrum des Films – auch zeitlich – steht die Sequenz um das Pokerspiel im titelgebenden „Casino Royale“. Die Pokerszenen sind an sich schon toll inszeniert, werden aber immer wieder durch, mal witzige, vor allem aber ungeheuer spannende Zwischenepisoden unterbrochen, bei denen u. a. eine Machete, ein Mini-Defibrilator und zwei Leichen im Kofferraum eines Wagens eine Rolle spielen.
Die Casino-Episode endet standesgemäß: mit einem Auto-Stunt, der es sogar ins Guiness-Buch der Rekorde geschafft hat, nur, um von der nächsten, ziemlich krassen Sequenz noch getoppt zu werden. Bond wird hier von Le Chiffre arg in Bedrängnis gebracht. Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, außer vielleicht, dass symbolhaft Bonds Männlichkeit in Frage gestellt, er fast entmannt wird und selbst diese Szene noch einige witzige Momente hat.
Die folgenden Szenen mit James und Vesper stellen vielleicht den schwächsten Part des Films dar, weil die Dialoge hier nicht mehr ganz so gelungen sind. Sie geben allerdings Aufschluss über die derzeitige Gemütslage von Bond und zwar in einer Weise, wie das bisher auch noch nicht in einem Bond-Film zu sehen war: Bond lässt seelisch „die Hosen runter“.
Auch der Showdown ist anders als sonst, zwar nicht weniger spektakulär und schon gar nicht weniger spannend, aber es geht dabei eben nicht nur um Bonds Auseinandersetzung mit seinen Widersachern.
Das „Problem“ mit der Beziehung zwischen James und Vesper lösen die Filmemacher drehbuchtechnisch auf die „bestmögliche“ Weise. Erst dadurch wird Bond schließlich zu dem Mann, der er hoffentlich noch in vielen weiteren Abenteuern sein wird.
Apropos „Bond“: Die größte Änderung im Vergleich zum letzten Bond-Film soll hier natürlich nicht unerwähnt bleiben: der Hauptdarsteller!
Was hat man über Daniel Craig nicht alles geschrieben? „Zweite Wahl!“, „Hölzern!“, „Farblos!“ usw.
Die Art und Weise, wie Craig es diesen Kritikern, Nörglern und Skeptikern zeigt, ist schon sehr beeindruckend.
Zunächst wirkt Bond tatsächlich wie ein grober Klotz, oft mit demselben Gesichtsausdruck, zynisch und brutal, der da hin geht, wo es weh tut, der fightet, der prügelt und blutet. Dabei ist er wenig elegant: Während ein Verfolgter geschmeidig über Hindernisse springt, durchbricht Bond sie mit Gewalt.
Im weiteren Verlauf des Films macht er aber klar, dass die vorgebliche Kälte ein Panzer ist, den er sich angelegt hat, um seinen Job machen zu können. Aber dieser Panzer ist brüchig. Das macht Craig erst mit kleinen Gesten deutlich, wenn er z. B. nach seinem ersten erfolgreich ausgeführten Tötungsauftrag kurz innehält, als ob er jetzt erst begreift, was er gerade getan hat, oder später, wenn er blutüberströmt vor dem Spiegel steht und in sein geschundenes Gesicht blickt, voller Selbstzweifel und fast angewidert.
Bond ist kein Superheld mehr, sondern ein Mensch mit Stärken und Schwächen!
Er macht, bedingt durch sein großes Ego, Fehler, ist oft auf Glück oder Hilfe anderer angewiesen. Aber auf der anderen Seite ist er auch clever. So verschafft er sich z. B. Zutritt zu M’s Haus, was auch noch ziemlich dreist ist, oder kommt blitzschnell auf einen Code, den er braucht, um eine gesicherte Tür zu öffnen.
Er ist loyal und pflichtbewusst, denn auch massivste Gewalt kann ihn nicht dazu bringen, ein Geheimnis zu verraten.
Außerdem ist er hartnäckig, fast verbissen, wenn es – ohne Rücksicht auf Verluste - um die Verfolgung von Verbrecher geht, was sogar so weit geht, das er ein aussichtsreiches Schäferstündchen sausen lässt. Das hätte bei den früheren Bonds kaum gegeben.
Die normalerweise unterdrückten Emotionen brechen langsam durch, als Vesper Lynd in Bonds Leben tritt. Zunächst scheint er sogar fast unsicher gegenüber der selbstbewussten Frau zu sein, aber dennoch entwickelt er plötzlich Charme. Langsam fasst er zu der Frau Vertrauen, macht sich dadurch aber angreifbar. Am Ende hat er „seine Lektion gelernt“, wie M schließlich feststellt. Aber dennoch meint er den Satz, den er M dann über Vesper Lynd sagt, natürlich nicht ernst. Er ist Teil des Panzers, der jetzt umso fester sitzt.
„Casino Royale“ erklärt, warum Bond so geworden ist, wie er ist, zeigt ihn als zerrissenen Charakter mit Stärken und vor allem Schwächen. Das hat noch kein Bond-Film vorher überhaupt versucht. Schon allein deshalb ist „Casino Royale“ etwas Besonderes. Es wird interessant sein, zu sehen, ob diese innere Zerrissenheit, dieser brüchige Panzer Bonds in den folgenden Filmen noch eine Rolle spielt, und wenn ja, wie das dann umgesetzt wird.
Der Film hat mit Abstand den meisten „Tiefgang“ aller Bond-Filme, was zum einen an dem zeitweilig ausgezeichneten, aber (leider?) nie selbstironischen Drehbuch liegt, zum anderen aber auch an den Schauspielern.
Daniel Craig als Bond ist großartig.
Eva Green als Vesper Lynd darf selbstbewusst und emanzipiert sein, eine ebenbürtige Partnerin.
Großen Anteil an dem Erfolg der Bond-Reihe hatten auch immer die Gegenspieler. Da hat man sich in der Vergangenheit auch nicht lumpen lassen und Asse, wie Gerd Fröbe, Curd Jürgens, Christopher Walken, Klaus-Maria-Brandauer, Robert Carlyle usw. verpflichtet. Auch diesmal hat man einen tollen Schauspieler geholt, den in Skandinavien Superstar-Status besitzenden Mads Mikkelsen, zuletzt als durchgeknallter Pfarrer in „Adam’s Äpfel" brillierend. Auch er macht seine Sache sehr gut, ohne zu übertreiben.
Judie Dench als M spielt ihre Rolle routiniert. Jeffrey Wright als Felix Leiter und Giancarlo Giannini als Mathis haben kleine, aber feine Nebenrollen. Witzig, aber nicht besonders überzeugend ist der Deutsche Ludger Pistor als Schweizer Bankier und wer ganz genau hinsieht, kann Jürgen Tarrach als verdutzten Hotelgast entdecken.
Neben besagtem „Tiefgang“ bietet „Casino Royale“ natürlich reichlich Action, Spannung, überraschende Wendungen, spritzige Dialoge und ab und zu einen richtig guten Gag. Also sonst ist alles fast wie gewohnt.
Dennoch definiert „Casino Royale“ die Person Bond und die Ausrichtung der Filme neu.
Viel besser hätte man das nicht machen können!
Und am Ende des Films steht dann wieder die gute Nachricht:
„James Bond will return!“
Ich freue mich schon jetzt darauf!
8,5/10