Zäsur funktioniert wie Fotografie: Sie hält einen einzelnen Moment fest und gibt ihn anschließend zur Interpretation für die Nachwelt frei. Sie kann zum Beispiel entstehen, wenn die Schulglocke im Abschlussjahr die letzte Unterrichtsstunde beendet. Oder wenn ein Rebell gerade das Schulgebäude in Flammen gesetzt hat. Ihr Effekt ist unwiederholbar, ein einmaliges und irreversibles Ereignis, ein Point-Of-No-Return. Für High-School- und Coming-Of-Age-Filme ist sie so unverzichtbar, weil sie Erinnerungen konserviert, die ihrem Begründer noch Jahrzehnte später sagen, woher er ursprünglich kommt. Es geht am Ende nicht um die Größe des Knalls. Es geht darum, welche einmalige Konstellation das Chaos im Moment der Wahrheit annimmt.
Roger Corman, Allan Arkush und Joe Dante haben die Zeichen der Zeit – ob nun aus kommerziellem Kalkül heraus oder nicht – richtig gedeutet. Mit „Rock ‘n’ Roll High School“ ist es ihnen gelungen, ein Zeitdokument zu hinterlassen, das seinen besonderen Appeal gegen die Zeit verteidigen konnte und heute in einer Reihe mit Filmen wie „American Graffiti“, „Breakfast Club“ oder „Clueless“ genannt werden kann. Und das ist nur deswegen möglich, weil darauf geachtet wurde, dass die Puzzleteile am Ende ein plausibles Bild ergeben. Oder anders formuliert: Dass die Anarchie am Ende des Tages immer noch einer inneren Logik gehorcht.
Ein Drehbuch hebt sich normalerweise nicht unbedingt dadurch hervor, dass es keine echte Story zu bieten hat. Dieses schon. So etwas wie eine fortlaufende Handlung ist schlichtweg nicht vorhanden, nicht einmal im reduzierten Sinn. Gezeigt wird nur entfesseltes Teenager-Verhalten unter dem Einfluss von Rockmusik, mit allen spontanen Ausartungen, die sich daraus ergeben. Die Stärke des Skripts liegt aber gerade darin, dass es einfach lose dem Weg der weiblichen Hauptfigur folgt. Und weil die selbst nie so ganz weiß, was sie als nächstes anstellen wird, führt einfach eine Situation zur nächsten.
Arkush vergeudet nicht viel Zeit damit, diesen so einfach wirkenden und doch schwierig zu erzeugenden Rhythmus zu takten. Es dauert nur wenige Sekunden, da legt Hauptdarstellerin P.J. Soles eine Platte der Ramones auf den Teller, während ihre Mitschülerin bedenklich an den rohen Elektrokabeln fummelt, um dafür zu sorgen, dass „Sheena Is A Punk Rocker“ nun auf allen Lautsprechern der Schule zu hören ist. Der Film hat gerade erst begonnen, da sind wir bereits mittendrin. Soles legt mitsamt ihrer tanzenden Mitschüler eine so entwaffnende Ausstrahlung an den Tag, dass man jede Art von jugendlichem Pathos akzeptiert hat, noch bevor der erste Song beendet ist.
Natürlich ist auch „Rock ‘n’ Roll High School“ prall gefüllt mit all diesen Stereotypen, die so ziemlich jede High-School-Komödie zu bieten hat. Ebenfalls nur Sekunden dauert es, bis ein Nerd am Wasserspender von einer Gruppe Footballspieler fortgetragen wird. Die Pauker sind allesamt langweilige Spießer, abgesehen von der einen coolen Ausnahme (Paul Bartel als Mr. McGree, die Sorte Lehrer, den sich alle Schüler wünschen). Es gibt das schönste Mädchen der Schule (hier zugleich die Hauptdarstellerin) mitsamt ihrer etwas mauerblumifizierten Freundin (eigentlich aber nicht weniger hübsch: Dey Young). Sogar eine waschechte Antagonistin ist vertreten: Mary Woronov erfüllt die Rolle der bösartigen Direktorin mit herzhafter Spiellust, die sich szenenweise auch mal einen Abstecher ins Comichafte erlaubt. Die faschistoiden Ansätze ihrer Figur werden einerseits durch die steife Garderobe mitsamt zweier Pfadfinder-Gehilfen betont (wieder ein klassischer Kniff, dass sich die bösen Lehrkörper der Unterstützung aus der Schülerschaft bedienen, um den Willen der Schüler von innen heraus zu brechen), andererseits durch Slapstick und Nonsens-Comedy wieder entschärft.
Soweit zum High-School-Comedy-Konsens. Der Unterschied zu mittelmäßigen Beiträgen dieser Filmgattung liegt darin, wie diese Elemente miteinander kombiniert werden. So stellt McGree die psychische Unversehrtheit der Direktorin in Frage, als diese aus einem absurden Experiment mit einer weißen Maus und Rockmusik absurde Schlüsse zieht. In jedem anderen Film hätte es zögerliche Zustimmung gegeben, um die Macht der Verrückten zu unterstreichen, doch es ist gerade die trockene Art, mit der Paul Bartel auf die Vorführung seiner Vorgesetzten reagiert, die dem Zuschauer aus dem Herzen spricht. Dabei ist sich Woronov im Umkehrschluss nicht zu schade, die Verbohrtheit ihrer Figur mit unübersehbarem Augenzwinkern auszustatten. Man kann wirklich behaupten, sie kostet es aus, in diesem Märchen die böse Hexe spielen zu dürfen.
Oft belässt es das Skript aber nicht einmal bei diesen einfachen Pointen, sondern arbeitet sie später zu optischen Running Gags aus. Im letzten Drittel mischt sich tatsächlich eine weiße Riesen-Maus in Lederkluft unter die Meute, anspielend auf das irrwitzige Experiment der Direktorin, das für sich genommen schon verrückt genug war. Ein Papierflieger nimmt in einer (spektakulär, aber durchschaubar) getricksten Szene unwahrscheinliche Irrwege voller Zufälle. Clint Howard betreibt ein Büro mitten in der Herrentoilette – sein sonderbar rattenartiger, dann aber doch wieder liebreizender Sexpartner-Vermittlungsagent ist ohne Frage eine der wertvollsten Memorabilia des gesamten Films. Und wenn man die Schubladen in den Rollcontainern oder die Spinde im Flur öffnet, muss man damit rechnen, dass ein Nerd darin feststeckt. „Parker Lewis“ hat diese Art visueller Comedy gut 10 Jahre später nicht umsonst übernommen, denn sie hebt den albernen Schabernack klassischer Pennäler-Streifen ins Selbstironische, indem sie die Coolness entmystifiziert, wissend um die kurze Lebensdauer der Methoden, mit denen man sich vom Etablissement distanzieren kann.
Für die Ramones gelten diese Gesetze der Sterblichkeit natürlich nur bedingt. Während die Originalmitglieder inzwischen gesammelt von uns gegangen sind, bleibt ihr Einfluss auf spätere Generationen von Musikern ungebrochen, und das nicht nur im Punk-Bereich. Es steht völlig außer Frage, dass es eine ganz ganz blöde Idee gewesen wäre, in Anlehnung an den Erfolg von „Saturday Night Fever“ (1977) und „Grease“ (1978) den Rock zu ignorieren und stattdessen eine „Disco High“ in Auftrag zu geben, wie ursprünglich geplant. Die Fußnägel rollen sich schon beim bloßen Gedanken hoch. Plateausohlen statt Sneaker, Schlaghosen statt geflickte Jeans, Rüschenhemden statt Lederkutten, damit ließe sich mit Sicherheit keine glaubwürdige Revolution anzetteln. Doch selbst gegenüber anderen Rockbands erweisen sich die Ramones posthum als großer Trumpf dieser Komödie – eben weil es eine Komödie ist. Verwachsene Pilzköpfe, große Nasen und unterkieferlose Übergänge von Hals zu Gesicht eignen sich vielleicht wunderbar als Vorlage für die Animatoren bei den „Simpsons“ (unvergessen ihr Geburtstagsständchen für Mr. Burns in der Episode „Rosebud“ aus der 5. Staffel), nicht jedoch geht der erste Gedanke zwangsläufig in die Richtung Sexobjekt für junge High-School-Hüpfer.
Es soll nicht anmaßend klingen, aber es war wohl auch die Hässlichkeit und die fehlende Schauspiel-Erfahrung, die das Komödiantische bei der Einbettung des film-fremden Elements „Ramones“ in einen Film gelingen ließ. Riff Randells Tagtraum mit den Musikern in ihrem Zimmer wäre sicher nicht so herrlich absurd geworden, wenn es ein strahlender Ritter mit goldener Gitarre gewesen wäre, der ihr einen Song auf die Lippen geflüstert hätte. Darüber hinaus passen die kindlich-einfachen Texte und Themen des Soundtracks (der neben etlichen Ramones-Stücken unter anderem natürlich auch wieder Alice Coopers „School’s Out“ beinhalten muss) perfekt ins Szenario. Pink Floyd, King Crimson und auch Led Zeppelin hätte man es mit Sicherheit nicht abgenommen, dass sie den Song einer euphorisierten Teenagerin in ihr Repertoire aufnehmen. Dass die Ramones zum – ganz nach Corman-Geschmack explosiven – Finale jedoch „Rock ‘n’ Roll High School“ schmettern, klingt angesichts von „Hey Ho Let’s Go“ und „Gabba Gabba Hey“ völlig plausibel.
Das ist eben im Kern das Erfolgsgeheimnis von „Rock ‘n’ Roll High School“ – Dinge, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen und in diesem Moment doch totalen Sinn ergeben. Poster-Künstler William Stout fasst die Harmonie und auch den Esprit mit reinem Chaos zusammen und charakterisiert damit völlig treffend das Wesen eines Musikfilms, der einfach nur den Riffs folgt.