Die erste Hälfte der 70er Jahre bot einen fruchtbaren Boden für das politische Kino in den vereinigten Staaten, ein Klima der Paranoia hatte sich im Zuge zahlreicher tödlicher Attentate (die Kennedys, Malcolm X, Martin Luther King) breit gemacht und die Watergateaffäre samt allen Mißbräuchen von Amtbefugnissen der Regierung setzte dem Ganzen nur die Krone auf.
In dieser Zeit inszenierte Alan J. Pakula drei Filme, die sich mit politischen Verschwörungen im weitesten Sinne auseinander setzten, seine Paranoia-Trilogie.
War der erste Film, „Klute“, noch in das Mäntelchen eines Detektivdramas gewandet, dessen Protagonisten den Hintergründen meist hilflos gegenüber standen, war der abschließende Film „Die Unbestechlichen“ eine beinahe dokumentarische Auseinandersetzung mit der Watergateaffäre und der Regierung Nixon.
Dazwischen steht „The Parallax View“ – der möglicherweise abstruseste, aber auch gleichzeitig beklemmenste Film der drei, der sich bei realen Ereignissen seine Motive leiht, um sie in einen anderen Zusammenhang zu setzen – und dennoch die umfassenste Kritik zur Verunsicherung der allgemeinen Situation liefert.
Warren Beatty spielt darin einen Lokalreporter namens Frady, der zufällig Zeuge eines tödlichen Attentats auf der „Space Needle“ wird, bis Jahre später die übrigen Anwesenden der Reihe nach wegsterben. Eine Freundin macht ihn auf das Phänomen aufmerksam, doch er bleibt skeptisch, bis er auch sie im Leichenhaus besuchen muß. Alsbald macht er sich also auf die Suche nach den verbleibenden Überlebenden, die in einem Klima der Angst leben und sieht sich selbst Angriffen auf sein Leben ausgesetzt.
Offenbar existiert eine dubiose Firma, „Parallax“, die labile oder beeinflußbare Menschen rekrutiert, um sie zu Killern auszubilden, die politische Attentate begehen. Neugierig geworden, da ihm sonst sowieso niemand glaubt, läßt er sich selbst anheuern, durchläuft den Auswahlprozess, verhindert ein Attentat und ist bemüht seinen ersten richtigen Auftrag zu torpedieren.
Das liest sich wie ein strukturierter Thriller, doch die Präsentation, die bisweilen ein wenig aus der Not geboren scheint (das Drehbuch war nie fertig), ist eine ganz Andere. Gegensätze bestimmen hier das Bild und geben dem Film etwas unverwechselbar Individuelles.
Zum einen klingt der Inhalt nach der Aufdeckung einer Konspiration, die im Film nie konkrete Formen annimmt. Weder der Zuschauer noch Frady erfährt wirklich etwas über die Ziele und Hintergründe, der Mensch als Individuum ist verloren in einer für ihn nicht mehr überschaubaren Welt, die von Unsichtbaren gelenkt scheint. Daraus resultiert ein verfremdetes Amerika, das Pakula mit allen möglichen Stilmitteln ins Bild setzt.
Zu erwartende Szenen wie Autoverfolgungsjagden oder offene Agressionen in Form einer Kneipenschlägerei stehen gegen lange Sequenzen, in denen die nüchterne, entmenschlichte Kamera eine dermaßen weit entfernte, abstrakte Position einnimmt, als würde das Individuum im Bild verschwinden.
Frady ist dabei keinerlei Sympathieträger, er ist ein halb lebensuntüchtiger Provokateur, der auch bei seinem Chef nicht gerade besonders gut angesehen ist und erst nach und nach ahnt, daß etwas im Argen liegt.
Notgedrungen und auf Verdacht einer dubiosen Bedrohung hin, geht er seinen Weg, stößt aber immer nur auf neue Fragen.
Ein Abstecher in ein Provinzstädtchen in der Wildnis legt schließlich Zeugnis von der Situation ab: nach einer herzlichen Prügelei mit einem Burschen, der sich als Hilfssheriff entpuppt, freundet er sich mit dem eigentlichen Sheriff an, um schließlich am Ort eines Todesfalls selbst zum beabsichtigten Opfer zu werden. Der Ordnungshüter lockt ihn in eine Todesfalle an einem Staudamm, dessen herausbrechende Wassermassen alle Fragen im Keim ersticken, die Kämpfer verlieren sich in den tosenden Fluten und geraten außer Bild.
In dieser Art setzen sich die Szenen auch weiter fort, einen Bombenanschlag auf ein Flugzeug kann Frady in einer sehr breit gefächerten Sequenz auf vagen Verdacht hin verhindern, als schon alles vorbei ist, kündet eine gewaltige Explosion im Off davon, daß er richtig lag. Und am Ende wird er selbst auf einen Politiker angesetzt und kommt dabei selbst zu Fall, denn er verfängt sich in einem Netz, daß er glaubt austricksen zu können.
Diese finale, praktisch endlos wirkende Sequenz in einem gewaltigen Auditorium gemahnt extrem an die Ermordung JFKs, der Politiker wird während einer Auftrittsprobe, bei der nur eine patriotische Kapelle sich in der Weite des Raums verliert, auf einem kleinen Wagen niedergeschossen, zwischen endlosen Tischreihen, die in den Nationalfarben rot, weiß und blau geschmückt sind. Frady selbst, der seiner Ansicht nach Hintermänner verfolgt, wird zum Täter gestempelt und kann nicht mehr entfliehen.
Die räumlichen Gegensätze finden ihre Entsprechung im Filmton, der dazu angetan ist, den Zuschauer immer wieder zu irritieren, denn er paßt nicht immer zum Bild oder begleitet scheinbar unwichtige Szenen mit einer brüskierenden Beiläufigkeit – oder setzt schmetternde Musik gegen monumentale Stille einer halb verlassenen Halle. Dazu kommen Einsätze von Hell/Dunkeleffekten, die die Beweggründe aller im Schatten lassen.
Das findet auch seine Entsprechung im Originaltitel, denn der „Parallax View“ weist auf die Verschiebung der Perspektive hin, die hier ausgiebig simuliert wird.
Hier und da wird dem Zuschauer ein paranoider Brocken hingeworfen, eine chemische Substanz, die einen Herzinfarkt simulieren will, kommt schließlich bei Fradys Boss zum Einsatz, zumindest erscheint dies wahrscheinlich, die Gegner sind überall.
Geschichte gemacht hat aber die Testfilmmontage, der Frady beim Parallax-Einstellungstest ausgesetzt wird, eine fast fünfminütige Collage aus Fotos und Schrifteinblendungen, die grundsätzliche Empfindungen stimulieren sollen. Friedliche Familien- und Gefühlbilder wechseln mit militärischen oder gewalttätigen Szenen, Politik, Waffen und Angst mischen sich mit Harmonie und Liebesszenen, während musikalisch die Emotionen zusätzlich stimuliert werden. Der Zuschauer muß die komplette Sequenz miterleben und kann dabei die eigenen Reaktionen studieren, während er mit den Schlüsselelementen der kolportierten amerikanischen Kultur bombardiert wird.
„Zeuge einer Verschwörung“ wirft dem Zuschauer weder einen Brocken zum Diskutieren hin, noch bietet er Lösungen oder macht Meinungen, sondern verunsichert im großen Stil und vermittelt das Gefühl, die Kontrolle über die eigene Existenz verloren zu haben, die Bedrohung überall zu sehen. Das war damals wirksam, ist aber auch heute noch dazu angetan, ein Publikum in Zeiten der Globalisierung zu stimulieren.
Mag er auch inhaltlich anfecht- oder streitbar sein, formal steht er in seiner paranoiden Funktion weit über Verschwörungsfilmen wie „JFK“. (9/10)