Review

Shanghai in den 20er Jahren: Die von der dortigen Gesellschaft gelangweilte Engländerin Kitty (Naomi Watts) beginnt eine Affäre mit dem verheirateten Diplomaten Charles (Liev Schreiber). Ihr schüchterner Ehemann und Bakteriologe Walter (Edward Norton) wird ihrer Untreue gewahr und stellt sie vor die Wahl: Entweder er lässt sich von ihr scheiden oder sie folgt ihm ins Innere Chinas, wo er sich zur Bekämpfung einer Choleraepidemie freiwillig gemeldet hat. Kitty entscheidet sich schließlich für letzteres.

Dafür ist der Zuschauer ihr auch enorm dankbar, denn was jetzt folgt ist ein Bilderrausch unter dem Vorwand eines Ehedramas. Nach der Romanvorlage von W. Somerset Maugham hat John Curran The Painted Veil in China verfilmt und sich als Hintergrund für schreckliche Bilder von Choleratoten und der erkalteten Ehe der Fanes eine der schönsten Landschaften unseres blauen Planeten ausgesucht. Kameramann Stuart Dryburgh (Als das Meer verschwand) weiß die Felder, die spitzen grünen Berge und ihre paradiesischen Wasserläufe in poetische Bilder einzufangen, die einem dann auch die ganze Zeit bei Laune halten.

The Painted Veil macht es uns am Anfang nämlich schwer, Sympathie für seine Figuren zu entwickeln. Kittys einzige positive Eigenschaften scheinen darin zu bestehen, Klavier zu spielen und mit zweifelnden Blicken am Fenster/auf dem Balkon zu stehen. Wie soll man heutzutage auch mit einer Frau mitfühlen, die keine zehn Meter allein laufen kann, ohne von ausgemergelten Chinesen auf einer Sänfte getragen zu werden.

Walter bietet sich zu Anfang eher als Sympathieträger an. Seine schüchterne Art, seine Liebe auf den ersten Blick sind mal eine Ablenkung von der verwöhnten, lieblosen Kitty, die ihren Bakteriologen nur heiratet, um von ihren Eltern loszukommen. Die eiskalte Härte, die Edward Norton seinem Walter dann in China verleiht - im Grunde erpresst er seine Frau ja - diese Härte macht die Figur erst wirklich lebensecht, denn ansonsten ist Walter in diesem Film v.a. das moralische Vorbild.

Kitty, nun abgeschnitten von der Außenwelt und ständig vom Tod umgeben, weiß zuerst nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Ihr Mann beachtet sie nicht, hält ihr damit Tag für Tag ihre Schuld vor Augen. Chinesisch spricht sie natürlich auch nicht und der einzige andere Engländer weit und breit ist der Lebemann Waddington (Toby Jones, der Truman Capote aus Infamous). Noch dazu steckt China mitten in einem Konflikt zwischen Warlords, Nationalisten und Europäern. Die Engländer werden in der von der Cholera dahingerafften Stadt nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Erst als Kitty beginnt, in einem Waisenhaus zu arbeiten und erkennt, was ihr Mann in dieser aussichtslosen Situation leistet, kommen sich die beiden näher.

Zu Gute halten muss man The Painted Veil, dass der Film sich viel Zeit nimmt, um an diesen Punkt zu gelangen. Doch selbst die bis in die Nebenrollen überzeugenden Schauspieler können nicht davon ablenken, dass diese Geschichte in ihren Grundmotiven recht altbacken ist. Einem Melodram der Garbo mag das noch stehen, aber im neuen Jahrtausend hätte man sich vielleicht etwas mehr historischen Kontext und etwas weniger der - Mann - als - moralisches - Vorbild - einer - oberflächlichen - Frau - Motivik gewünscht.

So wird die allgegenwärtige Distanz zu den beiden Hauptfiguren nur durch Schauwerte überbrückt. Da ist zum einen die bereits erwähnte visuelle Gestaltung, zum anderen die musikalische Untermalung, für die Superstarpianist Lang Lang verantwortlich ist. Man kann sagen, was man will über den exzentrischen Chinesen, aber sein sanftes Klavierspiel sorgt an nicht wenigen Stellen dafür, das wir nicht vollkommen den Kontakt zu Walter und Kitty verlieren.

Am Ende bleibt The Painted Veil sicher einer der am besten aussehenden und klingenden Filme der letzten Jahre. Nicht mehr und nicht weniger.


Walter Fane: It was silly of us to look for qualities in each other that we never had.

Details
Ähnliche Filme