Die Todesstrafe ist eine uralte Sanktion, die im Sinne ihrer Betreiber nach außen hin den Zweck einer „gerechten Strafe“ erfüllt, und dabei gleichzeitig das Gefühl aufkommen lässt, sie habe die Welt durch einen Störenfried weniger sicherer gemacht. Dieser Gedanke bildet den zentralen Streitpunkt in Tsugumi Ôba's zwischen 2003 und 2006 erschienenen Manga „Death Note“, welcher kurz nach Beendigung in die nun besprochene Anime-Serie adaptiert wurde. Der Erfolg war der Serie gewiss, denn der bizarre Ausgangspunkt der in 37 Episoden aufgeteilten Handlung übt eine Faszination aus, der sich selbst die hartgesottensten Anime-Muffel nicht entziehen können. Frei von jeder comichaften Überzeichnung erzwungener Slapstickeinlagen und der Austragung dümmlicher Karten- oder Fabeltierduelle, die den wesentlichsten Lebensinhalt eines jeden Teenies zu definieren scheinen, konfrontiert „Death Note“ den Zuschauer mit der bitteren Erkenntnis wie viel Bosheit in einem Menschen steckt, sobald er der ältesten Menschensünde überhaupt verfällt; dem Bestreben ein Gott zu werden.
Dieses Vorhaben wird durch die in der Parallel-Dimension existierenden „Shinigamis“ ermöglicht, als einer von ihnen, nämlich Ryuk aus purer Langeweile sein Notitzbuch des Todes in die irdische Welt fallen lässt, um dem ersten Finder des Todesbuches beim Verwenden zuzusehen. Wer nämlich den Namen einer bekannten Persönlichkeit in dieses Notitzbuch einträgt, führt umgehend dessen Tod herbei. Dieses Teufelswerkzeug findet ausgerechnet der hochintelligente Schüler Light Yagami, der dem Regelwerk dieses scheinbaren Scherzbuches zunächst skeptisch gegenüber tritt, nach neugierigem Ausprobieren jedoch die Echtheit des Buches nicht mehr in Frage stellt und sofort die Möglichkeit einer perfekten Welt ohne Kriminalität vor dem geistigen Auge hat.
Und so beginnt bereits in der ersten Episode das gewissenlose und systematische Auslöschen sämtlicher in den Medien präsentierter Schwerverbrecher. Natürlich fallen all diese plötzlichen Tode auf und schon bald wird der mysteriöse Killer in den Medien „Kira“ genannt, der für die japanische Polizei nun zum absoluten Fall Nummer 1 wird. Ein Fall dem sich schließlich der weltbeste Detektiv, genannt „L“ annimmt...
Und an dieser Stelle vollführt die Geschichte das große Kunststück zwei extreme Parteien, nämlich „Kira“ und „L“ zu kreieren, die beide die Sympathien der Zuschauer auf sich ziehen können, da es von hier an eine Frage der Sichtweise ist, ob Kiras gnadenlose Selbstjustiz nun gerechtfertigt ist oder eben nicht. Die Diskussion um die Rechtfertigung von Kiras Morden wird in einzelnen Episoden immer wieder aufgegriffen und spaltet die Gesellschaft in zwei Fraktionen.
Light verübt als Kira eigentlich nur Morde zum Wohle der Menschheit, und leitet daraus konsequent eine Welt ein, in der irgendwann keine Kriege mehr stattfinden; dafür jedoch verfällt er zunehmend dem Größenwahn in dem Irrglauben ein Gott werden zu können. Ein Fehler, den bereits Adam und Eva begangen haben, als sie von der verbotenen Frucht aßen. Diese Frucht, meist als Apfel dargestellt, ist zu gleich auch das Leibgericht von Lights wachenden Shinigami Ryuk, der in gewisser Weise die Rolle des „Teufels“ übernimmt um Light mit Hilfe des Death Notes die Möglichkeit zu geben ein "Gott" zu werden, was letztlich auch unschöne, prinzip abweichende Folgen hat, wodurch sich Light endgültig als „Bösewicht“ outet. In der der Besessenheit seines teuflischen Masterplanes geht Light alias Kira auch über Leichen, die keine Straftat begangen haben, denn die, die sich dem angehenden Gott in den Weg stellen (sprich die Polizei) sind letztlich genauso zum Tode verurteilt, wie die, die die Welt ohnehin schon durch „Unmoral“ verderben. Trotz allem hat der blutige Pfad, den Kira als selbsternannter Gott hinterlässt in vielen Menschen die Erkenntnis geweckt Selbigen als einen Solchen anzuerkennen, da letztlich von einer Person genau das vollbracht wird, was tief im Inneren jeder rechtschaffene Bürger denkt, jedoch nie nach außen hin so zugeben würde. Dieses gesellschaftskritische Gedankengut (Episode 2) macht aber nur einen Teil der höchst anspruchsvollen Handlung aus, denn weitaus dominanter beherrscht der Detektiv-Part den Handlungsverlauf, und hier kommt Lights Gegner „L“ ins Spiel.
Dieser hochintelligente, introvertierte aber auch etwas schräger Jüngling hat sich den Titel des weltbesten Detektives wahrlich verdient, und verblüfft in seinen Ermittlungen und später in den Verdächtigungen gegenüber Light immer wieder mit überirdisch guter Kombinationsgabe und unglaublich cleveren Schachzügen mit denen er Light in eine Enge treibt, die den Spannungsbogen der Serie enorm spannt. Das Misstrauen, das L an den Tag legt, die unglaublich in die Weite greifenden Planungen, Beweisführungen und Schlussfolgerungen machen Detektiv L, der nebenbei die Ruhe selbst zu scheint und ständig am vernaschen irgendwelcher kalorienreicher Köstlichkeiten ist, zu einem der außergewöhnlichsten und memorabelsten Persönlichkeiten in der Comicwelt.
Die abgefahrenen Psychospielchen, die er mit Light betreibt haben massive Gegenkonter in Form von immer weniger durchschaubaren Verhaltensmuster von Kira zur Folge, wodurch der Spannungsgrad nie abnimmt, und eine unglaublich dichte Atmosphäre aufbaut, wie man es nur aus ganz wenigen Serien Groß Kaliber wie 24 kennt.
Eine ganze Zeit lang kann „Death Note“ dieses hohe Niveau halten, und sich einer absoluten Höchstwertung gewiss sein, doch irgendwann jedoch schlägt die Handlung eine Richtung ein, die die gesamte Geschichte etwas unnötig in die Länge zieht, und Ausmaße annimmt, die höchst reproduktiv wirken.
(An dieser Stelle sei vor massiven Spoilern gewarnt)
Light gerät irgendwann an einen Punkt, an dem er die Morde nicht mehr selbst verübt, sondern durch die Weitergabe seines Death Notes an geeignete Dritte verüben lässt, was eben oft genug vorkommt, um die Befürchtung zu wecken, dass dieses sich wiederholendes Konzept ganze Staffeln füllen könnte, ohne dem ursprünglichen Drahtzieher näher zu kommen. Die unzähligen Wendungen und Zusatzereignisse sind zwar verblüffend, doch irgendwann möchte man doch den Fall aufgeklärt haben, zumindest diejenigen, die auf L's Seite sind. Ebenfalls etwas ärgerlich und enttäuschend, wenn auch sehr effektiv und nachhaltig die Erinnerung an diese Serie prägend ist (nochmals Spoilerwarnung!!!!) das vorzeitige Ableben des Detektives, der dann wenig zufrieden stellend durch einen Nachfolger ersetzt werden soll, der zwar auch ein intelligenter Sherlock Holmes-Jüngling ist, seinem großes Vorbild jedoch in so ziemlichen allen Charakterzügen nacheifert. So ist auch „N“ ein sehr ruhiger, mysteriöser und überaus selbstsicherer Intelligenzbolzen mit nachvollziehbaren Mutmaßungen und letztlich auch einer erfolgreichen Entlarvungs-Strategie, doch schafft er es nie sich als eigenständigen Charakter zu definieren, da er L zu sehr ähnelt, quasi nur einen „L“-Verschnitt darstellt und somit auch nur in dessen Schatten ermittelt. Die Eigenarten von L werden von N schlicht in einer anderen Form ausgelebt, so zum Beispiel bildet das ständige Basteln und Spielen mit Würfeln und Figuren eine klare Abwandlung von L's immensen Naschereien, ohne die er anscheinend gar nicht arbeiten konnte.
Die Richtung die die Serie in den letzten 12 Episoden einschlägt ist zwar sehr gewöhnungsbedürftig, doch es hält sie nochmal etwas länger am Leben und hinterlässt zugegeben auch noch einen bleibenden Eindruck; wichtige verstorbene Charaktere lassen nun mal wehmütig auf die Anfangszeit zurückblicken und genau das macht eine Serie auch ganz groß. Es sind die entscheidenden Passagen, die eine Serie in Gegenwart und Vergangenheit einteilen, und somit große Kontraste schaffen, um das, was die Handlung und die Charaktere ausmachte umso mehr zu schätzen. „Death Note“ ist in jeder Hinsicht ein wahres Meisterwerk! Dieses Lob ist natürlich in erster Linie an die Manga Vorlage gerichtet, die für den überaus geistreichen Inhalt verantwortlich ist. Die animierte Adaption nimmt sich einige, kleine Freiheiten, die dem unvorbelasteten Zuschauer (wir mir) sowieso nicht auffallen, und trotzdem im Gesamtkontext absolut überzeugen können. Hinzu kommen ein detailreiches Setdesign, ausgesprochen gute Animationen, eine professionelle, gut besetzte Synchro (sowohl Deutsch als auch Japanisch) sowie ein eingängiger Soundtrack, der die Szenerie thematisch sinnvoll erfasst und somit eine dichte Atmosphäre entsteht.(Nur die beiden Introsongs kranken ein wenig an Geschmacksverirrung).
Death Note ist eine klare Empfehlung an all die, die anspruchsvolle Animes mögen, und noch mehr an die, die selbige für belanglosen Kinderquark halten. Keine Klischees, keine blödsinnigen Animationen, „Death Note“ ist knallharter, bitterböser Ernst der von klugen Dialogen und zum Nachdenken erregenden Handlungsweisen lebt. Ganz große Klasse!