Gemeinsam mit der mehr als 2½stündigen Laufzeit verkündet bereits die erste Szene des zwölffach oscar-nominierten Erbauungsdramas & ersten Golden Globe-Gewinners (für die beste Regie) nach Franz Werfels Bestseller über die Heilige Bernadette Soubirous von Lourdes, dass man es hier mit einem ganz großen Prestigeprojekt zu tun hat, das dann auch den teuersten Film darstellt, den 20th Century Fox in jenem Jahr hervorgebracht hatte: Eine dürre Baumkrone am linken Bildrand, in dunkler Nacht hell vom Mond erleuchtet; hinter & neben ihr drei windschiefe Dächer, hinter denen am rechten Bildrand ein Kirchturm vor dem teils schneebedeckten Vorgebirge der Pyrenäen (bis zum oberen Bildrand) emporragt, der zwar weniger erleuchtet im eher dunkleren Teil des Bildes liegt, aber von einer leicht kurvigen Rückwärtsfahrt der Kamera kurzzeitig ins Zentrum gerückt wird, derweil an beiden Bildrändern zunächst Gitterstangen, anschließend Mauern erscheinen. Immer weiter erstreckt sich die Rückwärtsfahrt der Kamera in das düstere Zimmer: Der Ausblick aus dem hoch liegenden Fenster, vor welchem es kontinuierlich regnet, wird vollends aufgegeben, als die Kamera vor dem Fenster herabfährt und in leichter Aufsicht zwei schlafende, vom Mondlicht erleuchtete Mädchen präsentiert; in einer Kurve - und mit einem Schwenk durchsetzt - setzt sie die Rückwärtsfahrt fort und gibt zwei weitere Betten dem Blick preis, in welchem die Mutter des Hauses Soubirous ihren Mann pünktlich zu jenem Zeitpunkt weckt, an welchem die Kamerafahrt ihr Ende findet. Eine ausgeklügelte, minutiös choreografierte Szene, die neben beachtlichen Kulissen bereits entscheidende Gegensätze des Films einfängt: Da gibt es die Verlagerung des Blicks von den geradezu sakral erleuchteten, kargen Ästen und dem hellen Gebirge in der Ferne - dessen hellster Punkt auch genau dort liegt, wo auf einer vorangegangenen Texttafel der Fluchtpunkt einer gezeichneten Straßenansicht zu sehen war - auf den unauffälligen, dunklen Kirchturm, der erst durch die Kamerablickverlagerung ins Zentrum gerückt werden muss. Es wird im Film unter anderem genau um diese Frage gehen: ob das Heilige außerhalb der Kirche erfahren werden kann bzw. erfahren werden darf. Zugleich geht es um die hier durch Gitterstäbe zugespitzte Unterscheidung zwischen der Öffentlichkeit und der Privatheit. Und es geht um ganz offenbar ärmliche, kärgliche Lebensumstände, in denen einige Figuren des Films dennoch lächelnd & hell erstrahlt (inmitten des düsteren Raums) einen ganz & gar seligen Schlaf finden. (Wie man 10 Minuten später erfährt, wohnt der ehemalige Müller Soubirous mit seiner Familie in einem ehemligen Gefängnis, für das man wegen seines schlechten Zustandes keine Verwendung mehr hatte.) All das steckt in diesem kleinen, fein säuberlichen establishing shot.
Es ist der Morgen des 11. Februars im Jahr 1858, der einem hier in Szene gesetzt wird: Vater Soubirous wird sich auf Arbeitssuche machen - und infolgedessen Abfälle des Krankenhauses zur Müllhalde karren, um sie dort zu verbrennen und 20 Sous dafür zu erhalten -, Mutter Soubirous klagt über die bittere Armut, verliert ihre Stelle als Wäscherin und nimmt eher widerwillig Geschenke der Nachbarschaft entgegen; und Bernadette (Jennifer Jones), die älteste, asthmakranke und ständig erkältete Tochter wird vor ihren Schwestern in der Klosterschule - in welcher sie zu den dümmsten Schülerinnen gerechnet wird - von einer strengen, freudlosen Ordensschwester gescholten, weil sie die Dreieinigkeit nicht erklären kann.
Beim Holzholen jedoch erblickt Bernadette eine Marienerscheinung: das kränkliche, von Ordensschwestern gescholtene, aber zweifellos fromme Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen sieht eine 'schöne Dame' auf dem Müllabladeplatz Massabielle erscheinen - und obwohl sie sich ihren Schwestern mit der Bitte anvertraut, man möge nichts davon weitererzählen, verbreitet sich bald das Gerücht einer Marienerscheinung, zumal sich Bernadettes Visionen fortsetzen. Bald beten zahlreiche Pilger an der Müllhalde von Lourdes, die sich auch durch die Polizei nicht vertreiben lassen.
Der Bürgermeister von Lourdes, der [Achtung: Spoiler!] gerade dabei war, für Lourdes einen Bahnhof und einen Anschluss an das Eisenbahnnetz zu planen, sieht sich angesichts wenig erbaulicher Zeitungsartikel über Idiotie & Fanatismus in Lourdes schlimmen Befürchtungen ausgesetzt. Den Staatsanwalt Vital Dutour (Vincent Price) beauftragt er damit, dem Treiben ein Ende zu bereiten: Doch weil ein untersuchender Arzt keinen Schwachsinn bei Bernadette zu erkennen vermag und auch ein Lügen & Schwindeln des Mädchens ausschließt, bleibt ihnen zunächst bloß die Möglichkeit, den Fall auf die katholische Kirche abzuschieben. Der Dekan erklärt jedoch, dass die Kirche den Visionen von Massabielle keine Bedeutung beimisst: zwar betrachte man die Ereignisse als heidnische Gebräuche, will ihnen allerdings keine zusätzliche Aufmerksamkeit durch Einmischung zukommen lassen. Auch der Präfekt überträgt die Lösung des Problems wieder den örtlichen Behörden: sehr zum Unwillen des Bürgermeisters, der sich kurz vor den Wahlen nicht mit der Bevölkerung anlegen will, dem Treiben aber dennoch ein Ende bereiten möchte - und schließlich den Staatsanwalt Dutour auf Bernadette loslässt.
Die Besetzung Dutours mit Vincent Price wurde schon damals als eine Stärke des Films gewertet - und stellt sicherlich einen der Gründe dafür dar, dass sich das Interesse an diesem von Henry King gewohnt routiniert inszenierten, vierfachen Oscar-Gewinner ganz passabel gehalten hat: Prices zynischer Atheist Dutour, der die junge Bernadette eiskalt einschüchtert und für die einfältigen Gläubigen noch weit mehr Verachtung übrig hat, zählt sicherlich zu den frühen Höhepunkten unter Vincent Prices ersten Schurkenrollen in den 40er Jahren. Nach dem bloß vermeintlich kriminellen Ex-Sträfling Clifford Pyncheon in Joe Mays Hawthorne-Verfilmung "The House of the Seven Gables" (1940) und vor dem mörderischen Zyniker & Melancholiker Nicholas Van Ryn in "Dragonwyck" (1946) und dem unheilvollen Dr. Richard Cross in "Shock!" (1946) nimmt Dutour die späteren Rollen der Horror-Ikone Price noch eher vorweg als es sein windiger Shelby Carpenter im film noir-Klassiker "Laura" (1944) tun sollte; fraglos ist die recht wuchtige Rolle des tragischen Zynikers allerdings auch etwas eindimensionaler als die übrigen genannten Rollen.
Dutour bleibt unzugänglich für alle vermeintlichen Wunder; auch als es in Massabielle zu wundersamen Heilungen & Genesungen kommt und Ärzte & Geistliche das Phänomen Lourdes bereits mit anderen Augen sehen, derweil die Pilger auch von außerhalb in den Ort strömen - sehr zur Freude des Bürgermeisters, der einen wahren Geldsegen auf Lourdes zukommen sieht. Während Bernadette von der O'Selznick-Entdeckung Jennifer Jones - die hiermit ihren Durchbruch erlangen konnte und den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhielt - als stets gelassen bleibende, auf ihre Visionen und deren Wahrheit vollauf vertrauende, junge Frau gegeben wird, die immer folgsam zu sein versucht, ihre Position stets mit Freundlichkeit und Ehrfurcht vor dem Gegenüber vertritt und Aussichten auf Ruhm & Ehre mit Scham, Angst und Bescheidenheit begegnet, tritt Price hier als energischer, teils hartherziger, süffisant spöttelnder Zyniker auf, der um jeden Preis die Rationalität gegen die abergläubische Menge, auf die er verächtlich herabblickt, zu verteidigen gedenkt. Nicht nur setzt er alles daran, dem Mädchen eine Geisteskrankheit nachweisen zu lassen; er erwägt nicht einmal dann, sich auf den Wunderglauben einzulassen, als er selbst plötzlich an Kehlkopfkrebs erkrankt und sich die Wunderheilungen um ihn herum munter fortsetzen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt scheint es nicht mehr reiner, rationaler Unglauben zu sein, der Dutour treibt, sondern eine fanatische Prinzipientreue, die mit jeder Menge Stolz einhergeht: Reuige Buße, die dem Christentum soviel bedeutet und als Selbsterniedrigung eine Erhöhung nach sich zieht, ist für Dutour bloß ein unehrenhaftes Einknicken. Gegen Ende ist Dutour schließlich der törichte Normale, der selbst noch in einer verrückten Welt seinen Pflichten nachgehen will - und dem Siegeszug seiner belächelten Gegner zusehen und dem eigenen, unabwendbaren Tod ins Auge blicken muss; und dabei seine nur logische Einsamkeit betrauert und letztlich an seinen Idealen zerbricht, die ihn an sein tragisches Ende geführt haben.
Gleichwohl Kings Film wie Werfels Romanvorlage die historischen Berichte & Dokumente hier & da überspitzt & abwandelt, um einen durch & durch religiösen Film zu drehen, der zu Beginn auf die Grenzen der Kirche verweist, letztlich aber nicht einmal einen antiklerikalen Film darstellt, kann er dank der Figur Dutours auch ein Publikum halbwegs überzeugen, welches mit Kirche & Religion und ganz besonders mit christlichen Erbauungsfilmen möglichst wenig zu tun haben will: Dutour scheint Atheist, nicht Agnostiker zu sein; der verbissen wirkende Rationalismus Dutours hat schon deshalb etwas Paradoxes und letztlich Irrationales an sich - was sich auch ganz besonders dann zeigt, wenn er bloß aus Trotz, Stolz und Prinzipientreue jegliches Einlenken verweigert. (Ein beinahe adäquates, weniger hartnäckiges Verhalten präsentiert der Film auch auf der Gegenseite: in Form einer zweifelnden Ordensschwester, die über 130 Filmminuten hinweg mit Skepsis & verächtlich auf Bernadette blickt und lange Zeit nicht von den eigenen Werten & Anschauungen ablassen kann.)
Ein christlicher-Kitschfilm ist "The Song of Bernadette" insgesamt durchaus: vor allem in den Marien-Visionen und den Großaufnahmen der verzückten & bescheidenen Jennifer Jones, die dem Film am stärksten zu Oscar-Weihen verholfen haben. Aber gerade in seinen schwärzeren Abbildungen eines fanatischen Glaubens (des zynischen Staatsanwalts und der strengen Ordensschwester), dessen große Schwäche seine radikale Unnachgiebigkeit ist, wartet der Film dann doch mit inhaltlichen Qualitäten auf, die man zunächst sicher nicht vermuten würde. Und in gewisser Weise nimmt die Rolle des Dutour nicht bloß Prices späteren Rollen recht gut vorweg: Sie ist zugleich eine typische Henry King-Figur, verfolgen doch in Kings Filmen immer wieder tragische Männer auf unnachgiebige Weise ihre Ziele gegen jede Vernunft & gegen jeden Widerstand, um darin erst zu wahrlich tragischen Gestalten zu geraten.
Henry King- & Vincent Price-Liebhaber dürfen daher in jedem Fall zugreifen, bekommen sie doch mehr oder weniger das, was sie erwarten dürften. Als Historienfilm & Biopic leidet das Drama etwas zu sehr an parteiischer Verkitschung, die überhaupt den größten Makel des Films bildet. Kann man sich damit arrangieren, bekommt man ein handwerklich beachtliches Prestige-Projekt der frühen 40er Jahre geliefert, das mit Kostümen, Kulissen, Beleuchtung, Kameraarbeit und Montage zu bestechen versteht und nachhaltig wirkende, darstellerische Leistungen und einen recht passablen Soundtrack bietet... Formal hochsolide, ambitionierte, klassische Hollywood-Kost also; von Routiniers, die auf dem Regiestuhl, hinter der Kamera, als Kostümdesigner, art directors und am Schneidetisch meist an über hundert Werken gearbeitet haben... Inhaltlich ist all das eher frömmelnder Hollywood-Kitsch, der bloß am Rande in Details vom Publikum für sich fruchtbar gemacht werden kann - dann aber wieder sehr interessant ist...
7,5/10