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Police Officer George Latimer verzweifelt an seinem Leben. Er ist stolz darauf ein Cop zu sein, und er trägt seine Marke mit hoch erhobenem Kopf. Aber für seine weißen Kollegen ist er letzten Endes nur ein Nigger, für die Schwarzen da draußen im Viertel ein Schwein das mit den Weißen zusammenarbeitet, seine Frau hält ihm vor dass er für den Job die Familie vernachlässigt, und irgendwie will jeder, dessen Bahn er kreuzt, ihm ans Leder. Die einzigen Freunde die er hat sind sein Partner und sein pensionierter Captain. George kompensiert seinen Frust und seine angestaute Wut mit Tagträumen. Hier betritt er gemeinsam mit seinen Freunden als erster Mensch den Mond. Trotz aller Widerstände und Probleme schaffen sie es, lebendig zurückzukommen, und bei der Parade gratuliert ihm sogar der Präsident persönlich. Eine große Parade, eine schöne Parade, in seiner Heimatstadt in Alabama. Doch da schiebt sich durch ein Fenster ein Gewehrlauf …

His rage is the illness of the times! heißt es auf dem Filmplakat, und irgendwie scheint es, als ob die ganze Welt Amok läuft. Aus jeder Mücke wird ein Elefant gemacht, und jeder Elefant bedeutet Gewalt. Ein Typ, der aus einer Kneipe wegrennt, und im Angesicht des verfolgenden Cops zum Messer greift. Ein weißer Polizist, der ihm die entsicherte Waffe an den Hals hält um herauszubekommen, ob George wirklich ein Kollege ist. Ein Taxifahrer, der sofort zum Wagenheber greift weil man ihn anschnauzt. Ist das die heutige Welt?

Es scheint auf jeden Fall die Welt des Jahres 1972 zu sein, und die Frage kommt auf, wie weit wir uns denn seitdem weiterentwickelt haben. Ich vermute mal, dass Taxifahrer keine Wagenheber mehr unter dem Sitz haben sondern Schreckschusspistolen, und was weiße Cops in den USA mit Schwarzen machen haben wir im Lauf der Jahre 2019 und 2020 mehr als deutlich gesehen, aber zumindest die Episode mit dem Taxifahrer ist uns spätestens im Jahr 1975 in FANGO BOLLENTE wieder begegnet – Tatsächlich mit einer Pistole unter dem Fahrersitz …

Wut und Angst des George Latimer sind prinzipiell durchaus nachzuvollziehen. Niemand will ihn so recht ernstnehmen, überall eckt er an, er ist der Depp vom Dienst. Der schwarze Prügelknabe, der bei einer Demonstration gegen ein geplantes Chemiewerk einen Beutel mit Pisse ins Gesicht geworfen bekommt. Das wahre Problem beginnt, wenn man sich TOP OF THE HEAP, dessen Inhalt soweit erst einmal sehr interessant klingt(!), tatsächlich anschaut. Denn leider hat Produzent, Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller Christopher St. John es verpasst, seine mutmaßlich eigene Wut in eine packende Geschichte zu stecken. Der Kontrast aus dem grauen Alltag, der in recht fröhlichen Farben und einer oft deutlichen Studiokulisse daherkommt, und den heldenhaften Tagträumen zündet leider nur an wenigen Stellen. Dass dabei die Grenzen zwischen Realität und Traum oft überschritten werden, und bei so mancher Szene nicht klar wird, ob George sich das gerade vorstellt oder ob das Geschehen in der Realität stattfindet, das unterstützt den hier abgebildeten Wahnsinn eher als dass es ihm schadet. Da läuft George bei der Verfolgung eines Verdächtigen auch mal in eine Gasse mit dem Namen Leach Realty (Ausgelaugte oder ausgewaschene Realität), und die schwedische Krankenschwester Ingeborg liest ein Magazin namens Ebony, bevor sie sich ihm auf dem Krankenbett hingibt. Ein Merkmal könnte das grelle Licht sein, welches in den Traumsequenzen den Zuschauer immer blendet, und St. John macht sich durchaus den Spaß, dieses Licht auch in Szenen einzusetzen, die mutmaßlich hier und heute spielen.

Aber abseits dieser Vermischung aus Wahn und Realität, die in ihren guten Momenten den Wahnsinn Georges illustriert und in ihren schlechten Momenten furchtbar nervt, abseits dieser Vermischung kommt TOP OF THE HEAP irgendwie nicht so richtig in Fahrt. George ist der saubere und aufrechte Schwarze, der den Anschluss an den weißen Mittelstand geschafft hat, sehr stolz auf diese Leistung ist, und gar nicht versteht, warum sich einerseits die schwarzen Brüder von ihm abwenden, und andererseits die Weißen ihn nicht auf Augenhöhe akzeptieren. Immerhin sind seine besten Freunde beide weiß. Dass gerade in den Zeiten des neuen schwarzen Selbstbewusstseins zu Beginn der 70er-Jahre diese Haltung keine populäre war, wird hier deutlich illustriert. Und möglicherweise soll der Film auch eine Kritik an dem Versuch darstellen, Mitglied des weißen Mittelstandes werden zu wollen, anstatt seine Zugehörigkeit zur schwarzen Nation zu betonen. Wenn dem so ist, so hat St. John es nicht geschafft, diesen Zwiespalt klar herauszuarbeiten. Und wenn dem nicht so ist, dann ist die vorhandene Andeutung der Thematik zu wenig um zufriedenzustellen und zu viel um sie zu übersehen. Was zur Frage führt: Was möchte der Film eigentlich darstellen? Cop-Drama ohne Krimi? Sozialdrama ohne Biss? Irgendwas anderes ohne Substanz?

Letzten Endes wirkt der Film analog zu George wie jemand, der versucht jemand anderes zu sein, ohne dies aber wirklich zu wollen. Entsprechend bekommt er gegen Ende des Films zwar einen Koller und weigert sich, die Uniform jemals wieder anzuziehen. Er schnappt sich seine Liebhaberin und will fort von hier. Sie fragt wohin? Er schaut völlig verständnislos und will nur weg. Sie fragt wiederum was sie denn woanders machen sollen. Er schaut immer noch verständnislos und meint nochmals dass er nur weg will von hier. Es schließt sich eine gut inszenierte Verfolgungsjagd an, die den Eindruck macht nur da zu sein, weil man das in den Filmen dieser Zeit halt dabei hatte – und am nächsten Tag ist alles wieder beim Alten. So what …? Soll die Aussage dieser Szenen wirklich sein, das Du zwar an den Grundpfeilern Deines Lebens rütteln darfst so viel Du willst, dabei aber nichts ändern wirst?

Interessant ist, dass ich mich bei der Sichtung einige Male an den Quellen des italienischen Genrefilms der 70er-Jahre wähnte. Das beginnt schon mit der Prä-Titelsequenz, einer wüsten Prügelei zwischen Polizisten und Demonstranten, die wie die matschige Version des Beginns von MORDANKLAGE GEGEN EINEN STUDENTEN aus dem selben Jahr wirkt, allerdings nicht ganz so rüde endet (was auch wieder auf die Indifferenz St. Johns hinweist). Die Szene mit dem Taxifahrer könnte wie bereits auch aus FANGO BOLLENTE stammen, und wiederum endet die Szene nicht gewalttätig sondern wird im Dialog aufgelöst. Ist das vielleicht Absicht? Möchte St. John zeigen, dass Gewalt keine Lösung ist? Last but not least erinnert die Phantasie mit der Mondmission an Luigi Bazzonis SPUREN AUF DEM MOND, und die Verwirrung, die diese Szenen auslösen und auch bei den betreffenden Charakteren darstellen sollen, ist in beiden Filmen ähnlich. Hier allerdings hat St. John in Bezug auf die Auflösung die Nase vorn …

Was ich bei der Sichtung vermisst habe ist einfach der Biss, der so vielen gerade schwarzen Filmen dieser Zeit anhaftet. Der Mumm, dem Zuschauer, gerne auch mit Hilfe von publikumswirksamer Action, eine Botschaft um die Ohren zu hauen, die da heißt Stell Dich auf Deine Hinterfüße und kämpfe für Deine Rechte und Dein Leben. Stand your ground, wie es bei HOOLIGANS heißt. Und eben diese Verve und dieses Auf-den-Tisch-hauen fehlt hier völlig. Der oft grummelig und eher unsympathisch wirkende George kann das durch seine zurückhaltende Art auch nicht wettmachen und lässt den Film im unterdurchschnittlichen Mittelmaß versinken …

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