2006 lief der letzte Teil der eigentlichen „X-Men“-Trilogie im Kino, doch parallel dazu entwickelte man im Fernsehen ein sehr artverwandtes Serienkonzept: „Heroes“.
Auch hier geht es um Leute, die übermenschliche Fähigkeiten an sich entdecken: Der Japaner Hiro Nakamura (Masi Oka) kann über Zeit und Raum gebieten, Cheerleaderin Claire Bennett (Hayden Panettiere) heilt nach jeder noch so tödlichen Verletzung, Senator Nathan Petrelli (Adrian Pasdar) kann fliegen usw. Natürlich bleibt das nicht ohne Konsequenzen: Regierungsbeamten jagen die Specials, wie sie genannt werden (während „X-Men“ sie ja als Mutanten bezeichnete), es gibt Rivalitäten untereinander und auch Special-Verbrecher – z-B. den Serienkiller Sylar (Zachary Quinto), der andere Specials ermordet und ihre Fähigkeiten raubt…
„Heroes“ ist ein ziemlicher Genrehybrid, der Elemente von Thriller, Science Fiction, Action, aber auch Soap Opera trägt. Es geht sowohl um den Budenzauber, den die Specialkräfte anrichten können (was natürlich budgetmäßig nicht ganz mit der Kinokonkurrenz mithalten kann), sondern auch um die Persönlichkeiten hinter den Kräften (die man angesichts der zur Verfügung stehenden Zeit natürlich besser ausarbeiten kann als die Kinokonkurrenz). „Heroes“ steigt langsam ein, die ersten vier Folgen nervt es irgendwann beinahe, wenn sich die Specials immer wieder über den Weg laufen, aber keiner von den Kräften des anderen erfährt. Doch schon bald stellt sich dies als Stärke von „Heroes“ heraus, denn der langsame Aufbau ist Teil eines sorgsamen character development.
Denn viel von seiner Anziehungskraft zieht „Heroes“ aus den Sympathien für die Charaktere, was verschiedene Abschieds- und Sterbeszenen zu emotionalen Höhepunkten der Serie macht. Sicher, sicher, manchmal kommen sie wieder, vor allem in den ersten zwei Staffeln ist der Tod noch nicht unbedingt final, doch gerade gegen Ende der Serie muss man der einen oder anderen Figur endgültig Lebewohl sagen – darunter auch Sympathieträger und Hauptfiguren, was bedeutet, dass „Heroes“ da durchaus konsequent ist und nicht nur Nebencharaktere über die Klinge springen lässt.
Die vier Staffeln sind wiederum in fünf Kapitel aufgeteilt, die ein Oberthema haben – sowohl inhaltlich als auch philosophisch. Denn ein ein- und oft auch ausleitender Kommentar beschäftigt sich mit dem, was die Charaktere während der Folge durchgemacht haben und vor welchen Entscheidungen sie stehen, wie diese ihre Existenz prägen usw. Das mag zwar jetzt nie ins wirklich intellektuelle Milieu abdriften, verleiht „Heroes“ aber eine gewisse Tiefe, die noch einmal aufzeigt, dass es nicht nur um lustiges Piff-Puff-Peng mit Superkräften geht.
Ebenfalls recht stark ist der Verzicht auf klassische Gut-Böse-Schemata – kaum ein Charakter lässt sich eindeutig einer Seite zuordnen, selbst ein Idealist wie Hiro Nakamura denkt in manchen Fällen zuerst an sich und dann an den Rest der Menschheit und selbst ein Schurke wie Samuel Sullivan (Robert Knepper) kann bei seinen Taten einfach nur eine verquere Art der Weltverbesserung verfolgen. Gerade die Wandlung eines wichtigen Charakters in der letzten Staffel (die sich in Staffel drei schon ankündigt) zeigt an, dass hier jede Figur wandelbar ist – zumal die Specials auch mit wechselnden Allianzen gegeneinander antreten und dabei vielleicht sogar beide Parteien nur das Beste im Sinn haben.
Ein Musterbeispiel dieser ambivalenten Art von Charakterisierung dürfte Noah Bennett (Jack Coleman) sein, die vielleicht stärkste Figur der Serie. Zu Anfang lernt man ihn als Specialjäger im Regierungsdienst kennen, der beste in seinem Job und Schreckgespenst der Specials – aber ist auch Claires liebender Vater, wie man nach einer Weile erfährt. Im Laufe der Serie arbeitet Noah, Spitzname Horn-rimmed Glasses, für verschiedene Parteien, tut alles für seine Tochter, doch auch diese ist von seinen Methoden und seiner Härte nicht immer begeistert, was zu Vater-Tochter-Konflikten der ganz besonderen Sorte führt.
Grandios ist der Cast, gerade Jack Coleman ist einfach nur phantastisch und darf als wohl größte Entdeckung der Serie gelten. Ali Larter läuft zu Hochform, während sie im Kino ja meist nur in Nebenrollen zu sehen ist, Masi Oka als Identifikationsfigur aller Nerds und Zachary Quinto als ebenso gebrochener wie gefährlicher Serienkiller sind weitere Highlights des starken Ensembles, das zwischendurch in Gastrollen auch B-Filmveteran Eric Roberts, George Takei, Robert Foster, die aus „Veronica Mars“ bekannte Kristen Bell und „Prison Break“-Star Robert Knepper vorschickt.
Nicht alle Staffeln von „Heroes“ sind gleich gut, gerade der Auftakt kann natürlich am meisten das Potential ausschöpfen, während Staffel zwei unter der Verkürzung durch den damaligen Autorenstreik leidet. Staffel drei beginnt mit einem recht guten ersten Kapitel, in dem die Charaktere aber doch ein wenig häufig die Seiten wechseln, um im zweiten Kapitel dann eine Steigerung vorzulegen. Staffel vier verheddert sich dann teilweise in Eso-Momenten und leichter Ziellosigkeit der Handlung, dreht zum Ende aber richtig auf: Einige Szenen (*SPOILER* wie das nicht bloß metaphorische Loslassen Peters im Bezug auf seinen Bruder oder Sylars Läuterung *SPOILER ENDE*) sind Gänsehautmomente für die treuen Fans, emotionale Höhepunkte und das Richtige für den Schlussakt – es gibt zwar einen Cliffhanger, worum es in der fünften Staffel hätte gehen können, aber die kam dann ja nicht mehr.
So kann „Heroes“ über vier Staffeln hinweg ein durchaus hohes Niveau halten, trotz kleiner Qualitätseinbrüche. Aufgrund seines großen Figureninventars, der komplexen Charakterporträts und der vielschichtigen Beziehungen der Figuren untereinander nichts für Gelegenheitsseher, aber gerade in dieser Vielschichtigkeit (und weniger in den Schauwerten) liegt die besondere Stärke von „Heroes“.