Alles ist Ordnung. Unendliche Reihen von Säulen, immer gleiche Muster an den Wänden begrenzen die Räume, in denen die Menschen sich dieser Vorgabe unterordnen und in ihrer Anordnung und Optik selbst Teil des Raums werden. Eine unüberschaubare Anzahl junger Frauen wird frisiert und geschmückt von einer ebenso großen Menge an Frauen, die synchron ihrer Tätigkeit nachgehen - immer wieder unterbrochen von gleichzeitig ausgeführten Klängen auf einer schmalen Trommel.
Wir befinden uns im Kaiserpalast in Peking, ein Ort, an dem Individualität nicht gefragt ist. Jede Bewegung, selbst alltäglichste Abläufe werden ballettartig von riesigen Menschenmengen ausgeführt, so daß das Individuum seinen Wert verliert und nur noch Teil einer äußerlich schönen harmonischen Gesamtbewegung wird. Erst die zitternden Finger der Kaiserin Phoenix (Gong Li) zerstören dieses Bild, aber sie hat sich schnell im Griff und geht mit strengem Blick durch die nicht enden wollenden Gänge des Palastes zum Empfang des Kaisers. Auf dem Weg zu dieser Begegnung wird sie kurz unterbrochen, um von vier Dienerinnen ihre Medizin zu erhalten. Die einzelnen Elemente der Verabreichung sind so aufeinander abgestimmt ,daß die vier Frauen - einer Maschinerie gleich - alle Abläufe der Kaiserin abfangen, so daß diese ihre Bewegungen fließend ausführen kann bis sie arrogant das Trockentuch in die hingereichte Schale wirft.
Bis zu diesem Zeitpunkt, der in einer Inszenierung kulminiert, in der zehntausende Menschen den Kaiser Ping(Chow Yun Fat) erwarten, scheint die äußere Ordnung noch stimmig, aber der Kaiser kommt nicht. Er hatte es sich kurzfristig anders überlegt und alle ihn erwartenden Menschen müssen wieder zu ihrer sonstigen Tätigkeit zurückkehren. Einzig der Kaiser hat ein recht auf Individualität und eine eigene Haltung und nimmt keinerlei Rücksicht. Stattdessen trifft er sich mit seinem zweitältesten Sohn Jai, mit dem er einen kurzen Schwertkampf ausführt, der verdeutlicht, das Beide überragende Kämpfer sind. Aber diese scheinbar spielerische Auseinandersetzung zeigt schon das kommende Unheil. Regisseur Yimou Yang läßt die Schwerter Funken versprühen, in der Nahaufnahme spürt man die unterdrückte Kraft und den schwelenden Konflikt.
Doch dieser Kampf ist nicht signifikant für den Film, der außer in dieser Sequenz mehr als eine Stunde lang auf äußerlich vorgetragene Auseinandersetzungen verzichtet. Um so stärker wird die Gewalt und der Hass herausgearbeitet, die unter dem äußeren Schein vorherrscht. Kronprinz Wan, Pings ältester Sohn, stammt von dessen erster Frau ab, während er die beiden jüngeren Söhne gemeinsam mit der Kaiserin hat. Wan hatte jahrelang ein Verhältnis zu seiner Stiefmutter, daß er aber beenden will , da er die junge Untertanin Jian Chan liebt. Doch die Kaiserin will die Beziehung nicht aufgeben, denn sie hasst ihren Mann, der seine Allmacht immer stärker ausspielt.
Kaiser Ping läßt unter die Medizin für seine Frau ein Gift mischen, daß sie in den Wahnsinn treiben soll. Das Gift beginnt schon zu wirken, aber ,obwohl Kaiserin Phoenix bewußt wird, daß ihr die Medizin schadet, zwingt er sie, diese zu nehmen. Die Szenen an dem riesigen quadratischen Tisch, an dem der Kaiser mit seiner Frau und den drei Söhnen, beobachtet von einer unendlich erscheinenden Menge seiner Untertanen, sitzt, ist in seiner unterschwelligen Gewalt nicht zu überbieten. Yimou gelingt hier eine Szene, die die Ordnung über das Individuum setzt, von Chow Yun Fat überragend mit kleinsten Gesten und geringsten mimischen Mitteln ausgeübt , die keinen Widerspruch gelten läßt.
Aber immer mehr wird die äußere Ordnung aufgelöst, erst an kleinen Details zu erkennen wie eine leichte Unordnung der Haare oder das Fallenlassen eines Tellers. Dann verlieren die Protagonisten einmal kurz ihre Contenance, lassen für einen Moment ihren Gefühlen freien Lauf, um sofort wieder die äußerliche Ordnung herzustellen. Dabei helfen ihnen unendlich viele fleißige Hände einer anonymen Dienerschaft, die in Sekunden jede Unordnung, Schmutz oder Zerstörung beseitigt, als wäre sie nie da gewesen. Diese sehr langen, äußerst ruhigen Sequenzen sind unbedingt notwendig, um die dann aufs Extremste hervortretende Gewalt wie eine Explosion wirken zu lassen.
"Der Fluch der goldenen Blume" verzichtet auch bei den kriegerischen Auseinandersetzungen völlig auf individuelle Kämpfe. Sämtliche Streiter verlieren sich ebenso in einer undurchschaubaren Masse wie zuvor die fleißige Dienerschaft. Selbst der einzeln kämpfende Prinz wirkt mehr wie ein Wirbelwind innerhalb einer menschlichen Struktur, als das man einzelne Kampfszenen beobachten kann. Dadurch stellt sich für den Zuschauer keinerlei Befriedigung ein, es existiert kein Mitfiebern mit einzelnen Kämpfern und jeder der hier klassischen asiatischen Kampfsport erwartet, wird trotz Ninjas, Schwertkämpfern usw. enttäuscht werden.
Stattdessen gelingt dem Film genau das, woran "300" zuletzt gescheitert ist. Trotz optisch beeindruckender Massenszenen, wurde selten die völlige Sinnlosigkeit des gegenseitigen Tötens drastischer dargestellt und entlarvt. Damit zeigt sich, was wirklich hinter der optischen Fassade, dem persönlichen Vorteil, Hass und Neid befindet - NICHTS.
Fazit : Yimou gelingt mit "Der Fluch der goldenen Blume" ein Film, der eine Parabel über die Sinnlosigkeit der menschlichen Ordnung erzählt. Trotz ihrer äußerlichen Schönheit muß sie im Inneren faulen, da sie einen künstlichen Zwang über das menschliche Individuum darstellt. Und umso stärker sie mit Macht durchgesetzt wird, um so mehr entlädt sich die daraus folgende Unterdrückung in unermesslicher Gewalt.
Doch dabei beläßt es Yimou nicht, denn er verdeutlicht, daß am Ende immer die Ordnung gewinnt und alle Zerstörung und Leichen in Sekunden wieder verschwinden läßt. Ein überragender Film, der den Betrachter von Beginn an in seinen Bann zieht, aber niemals befriedigen will und kann (10/10).