Kühlt es nachts nicht mehr ab, beginnt der Teufelskreis. Die in der Nacht gespeicherte Wärme hält sich bis zum Sonnenaufgang, und mit der Mittagssonne staut sich weitere Hitze auf. Die kognitive Leistung des Gehirns wird dabei beeinträchtigt, das Denken fällt schwerer, die Reizbarkeit steigt an. Hitze steigert die Wahrscheinlichkeit für für irrationales Verhalten, das wiederum zu einer Abweichung von der Ordnung führen kann.
Für Kriminalgeschichten, die in amerikanischen Kleinstädten spielen, ist der Tote in der Seitenstraße seit jeher der Ausgangspunkt für beginnende Abweichung, und der schwarze Fremde am Bahnsteig ist automatisch durch ein rotes Band mit ihm verbunden, selbst wenn er in keinerlei persönlicher Beziehung zum Opfer steht und sich zum Zeitpunkt der Tat am anderen Ende der Stadt befindet. Es ist das Jahr 1965, als John Ball seinen Roman „In der Hitze der Nacht“ veröffentlicht. Die Bürgerrechtsbewegung hatte zu jenem Zeitpunkt bereits ihre Hochphase erreicht; Malcolm X wurde im selben Jahr ermordet, und noch bevor Martin Luther King drei Jahre später das gleiche Schicksal ereilte, war der Roman bereits von Norman Jewison für das Kino adaptiert worden.
Das Eisen musste sozusagen geschmiedet werden, solange es noch heiß war. Dass sich die Verfilmung mit Sidney Poitier über die Jahre hinweg zu einem der bedeutendsten amerikanischen Filmklassiker entwickeln konnte, dass er also letztendlich für die Ewigkeit konserviert wurde, steht somit im krassen Gegensatz zu seinen Produktionsumständen, die ganz und gar auf die geltende Gegenwart geeicht waren. Den politischen Ruck, der das Land damals durchzog, hält der Film – nicht anders als der Roman – in der Pose fest wie ein Schnappschuss mitten aus dem Auge des Sturms.
„In der Hitze der Nacht“ ist deswegen allerdings noch lange kein semidokumentarisches Guerilla-Straßenexperiment, sondern gleicht in seinem behutsamen Aufbau eher einem Autoren- oder gar Bühnenwerk, auch wenn von Studiokulissen weit und breit nichts zu sehen ist. Gedreht wurde deutlich weiter nördlich als vom Drehbuch vorgegeben (Illinois statt Mississippi), es wird aber nicht nur von Interieurs, sondern auch großzügig von den umliegenden Landschaften Gebrauch gemacht. Alleine die von Gott und der Welt verlassenen Establishing Shots, in denen verlassene Straßenkreuzungen und Einkaufsstraßen unter rabenschwarzem Himmel völlig windstill eingefangen werden, während der kräftig wie ein warmer Fön gepustete Titelblues von Ray Charles auch die letzten Kleidungsstücke überflüssig werden lässt… sie leisten bereits in den ersten Minuten Fundamentales für die brütende Atmosphäre und die geografische Verortung der Geschichte.
Doch die Hitze ist für Jewison nicht bloß atmosphärisches Schmiermittel, sondern Symbol für die politisch aufgeladene Stimmung im Land und somit essenziell, wenn es um den Subtext der Handlung geht. Sparta, Mississippi, das hier zumindest die ländlichen Regionen der USA repräsentiert, wird als inzestuöses Nest gezeichnet, das sich getrieben von der Selbstzufriedenheit seiner Einwohner damit abgefunden hat, für den Rest seiner Existenz im eigenen Safte zu brüten. Faulheit und Bequemlichkeit sind die treibenden Kräfte, von der Bedienung im Diner bis zum Ordnungshüter scheinen alle Bürgerschichten diesem Schema zu folgen. Als im Rahmen der Eröffnung gezeigt wird, wie ein Polizist über seine übliche Route Patrouille fährt, steht das bereits sinnbildlich für den Teufelskreis, der das Thermometer ansteigen lässt. Die Stadt, ein dunkles, staubiges Straßensystem, dessen Landschaftsbild von einsam herumstehenden Cola-Automaten geprägt wird, scheint mit nur wenigen Kamerafahrten und Einstellungen vollständig kartografiert. Sie ist nichts anderes als die Gefängniszelle des Sheriffs, nur mit offenem Himmel.
Mit der In-Flagranti-Einführung des Hauptdarstellers beginnt dann die stärkste Phase des Films. „In flagranti“, das bedeutet bei Sidney Poitier, dass er steif wie ein Einrichtungsgegenstand am Bahnhof sitzt und auf seinen Anschlusszug zurück nach Philadelphia wartet, als er von einem hitzköpfigen Polizisten gestellt und ins Revier verfrachtet wird. Fortan ist es die Besonnenheit des Schwarzen im Angesicht weißer Willkür, die das Stimmungsbild prägt. Während sich die Schweißperlen auf der Stirn der Polizisten, der Einwohner und des Fremden sammeln, geht es nur noch darum, eine Anstandsbombe nach der anderen platzen zu lassen. Poitiers zornige Augen versprechen mit jeder verstreichenden Sekunde eine weitere Pointe, von der dann tatsächlich so einige folgen, die wohlige Genugtuung beim Betrachter zu erzeugen vermögen. „They call me MISTER Tibbs“, die Textzeile, die in die Geschichte eingegangen ist, ist nur eine davon, die berühmte Schelle auf Retoure eine weitere.
Mindestens ebenso effektiv wie diese symbolbeladenen Sekunden großer Filmgeschichte sind die kleineren Gesten, mit denen Tibbs seine Gastgeber vordergründig cool, aber unterschwellig aggressiv vorzuführen beginnt. Jewison hat nun spürbar Freude daran, die Fehlbarkeit der Ordnungshüter gegen die psychologische Finesse des Beamten von außerhalb auszuspielen. In Geste (die akribische Sorgfalt, mit der Tibbs die Leiche untersucht) und Wort (die wohlüberlegten, bündigen, immer im perfekten Timing vorgebrachten Worte im Gegensatz zu den leeren Worthülsen der lokalen Polizisten) öffnet sich zunehmend eine Schere, die jedoch lediglich von der Witwe des Mordopfers (Lee Grant) wohlmeinend anerkannt wird.
Anders als in Roger Cormans „Weißer Terror“ (1962) lässt die Handlung von „In der Hitze der Nacht“ schnell vom offensichtlichen Motiv der blinden Hetzjagd auf den schwarzen Außenseiter ab, handelt es sich bei Tibbs doch selbst um einen Police Officer, was durch eine Marke und ein Telefonat mit dessen Chef dann auch zweifellos nachgewiesen wird, so dass sich das Skript ungehindert seinem eigentlichen Kern nähern kann. Dieser besteht im Motiv des ungleichen Paars, das bereits einem früheren Sidney-Poitier-Film Form verliehen hat. In Stanley Kramers „Flucht in Ketten“ (1958) war Poitier als entflohener Häftling physisch an einen Weißen (Tony Curtis) gekettet und musste sich zwangsläufig mit ihm arrangieren, nun ist es die Kombination aus der außergewöhnlichen Situation, einer Order von oben und dem Pflichtbewusstsein, die einen schwarzen Cop aus der Großstadt mit einem weißen Sheriff einer Kleinstadt wider Willen zusammenbringt.
Erst im Zusammenspiel mit Rod Steiger in der Rolle des aufgedunsenen, von Wetter und Situation schwer genervten Polizeichefs kommt Poitiers Schärfe überhaupt erst so gut zur Geltung. Auch Steiger spielt jemanden, der den in seiner Stadt waltenden Rassismus vollkommen verinnerlicht hat, der jedoch anders als seine Kollegen den Nebel der lokalen Konventionen in wenigen hellen Momenten zu durchschauen vermag und dadurch bisweilen selbst zum Außenseiter gerät. Als Tibbs ihm in der Befragung seinen Berufsstand offenbart und damit dem Gegenüber das eigene Versagen unter die Nase reibt, reagiert er beispielsweise mit der selbstironischen Verdutztheit einer Comicfigur, die gerade auf die eigene physikalische Unmöglichkeit hingewiesen wurde.
In diesen Momenten kommt noch das Stereotyp durch, das man als Zuschauer ohnehin von einer Rolle wie dieser erwartet, doch im Anschluss wird man immer wieder von seinem Handeln überrascht, das immer seltener dem einer Comicfigur entspricht, je mehr Zeit er mit Tibbs verbringt. Chief Gillespie ist das Schloss, das seinem Kollegen den Weg zur Lösung des Falls zwar regelmäßig versperrt, das aber locker genug ist, um geknackt werden zu können. Paarungen wie diese hatten noch Jahrzehnte später Einfluss auf die Entstehung des Buddy-Copfilms; ob es hier um Weiße ging, die Schwarze nicht leiden konnten, oder alte Hasen, denen die Nase des Rookies nicht passte; Steiger und Poitier tragen gemeinsam unübersehbar zu den Anfängen bei.
Die komplizierte Chemie zwischen diesen beiden Figuren reichert die folgenden Ermittlungsabläufe nicht nur um eine mit den Händen greifbare Intensität an, sie spiegelt auch die Spannungen eines in sich zerrissenen Landes. Die Kombinationsbarrieren zwischen den Beiden werden effektiv als eine unsichtbare Wand entlarvt, als etwas, das nicht da sein müsste, wären die Vorzeichen andere. Zwei Figuren, die in einem anderen Leben beste Freunde sein könnten, kämpfen gegen eine sozialpolitische Realität an, und es gehört zur ironischen letzten Pointe des Films, dass ihnen diese Wahrheit erst zu dämmern beginnt, als sich schließlich eine sehr reale Tür zwischen ihnen schließt.
In der Beziehung zwischen Tibbs und Gillespie, in ihrem Zusammenspiel aus Widersinn, Vorurteil, Sturheit, Überwindungskraft, Argwohn, Respekt, Feindseligkeit und Freundschaft befindet sich zweifellos der wärmende Kern des Films. Wann immer Jewison vorübergehend von diesem Kern abweicht, um hinter die Kulissen des Kriminalfalls zu blicken, verliert seine Arbeit spürbar an Einzigartigkeit. Hier glänzt der Film dann allenfalls noch im technischen Sinne, wenn etwa Kamera und Soundtrack während einer Verfolgungsjagd eine Einheit zu ergeben beginnen. Wenn sich zum Ende sämtliche Nebenfiguren in der Nacht versammeln, um die Auflösung in den Äther zu pusten, fühlt man sich glatt an den Serial-Charakter eines Agatha-Christie-Krimis erinnert. Das nagt durchaus ein wenig an der Einzigartigkeit dieser unwahrscheinlichen Begegnung zwischen zwei ungleichen Partnern und einer Leiche. Tatsächlich sollte in den späten 80er Jahren eine TV-Version des Stoffs folgen, der genau diesen seriellen Aspekt ausschlachten würde, indem er aus einer einzigen heißen Nacht, einer Momentaufnahme in einer politisch aufrührenden Zeit, fünf endlos lange Sommer machte… wohingegen die echten Kinofortsetzungen es bevorzugten, sowohl das Original als auch die Romanfortsetzungen zu ignorieren und ihr eigenes Ding zum Anbruch einer aufregenden neuen Zeitrechnung durchzuziehen, den beginnenden 70er Jahren.
Aufgrund seiner immer noch ein wenig theatralisch anmutenden Dramaturgie auf dem steinigen Weg zum konsequenten Realismus, seiner eher Rollenbildern als echten Charakteren nachempfundenen Figuren und seiner allgegenwärtigen Bedeutungsschwere mag „In der Hitze der Nacht“ noch nicht diese ungebremste Wucht des New Hollywood in sich tragen, das im folgenden Jahrzehnt weitaus direkter mit dem Establishment abrechnete. Der Case-of-the-Week-Aufbau, der gerade zum Ende hin sichtbar wird, mildert außerdem die intensive Wirkung ab, mit der Norman Jewison die Handlung so meisterhaft aufzubauen weiß. Der Schall der Ohrfeige ist aber bis in die tiefsten Winkel amerikanischer Weiten zu vernehmen und lebt als Echo auch heute noch weiter. Sidney Poitier musste nicht viel sagen oder tun, um dieses Echo zu erzeugen; er musste lediglich seinem Instinkt folgen und den richtigen Moment abwarten. Und der war, man kann es kaum anders sagen, perfekt auf den Punkt gebracht.