Für die USA war 9/11 ein kollektives Trauma, welches „Reign Over Me“ exemplarisch am Schicksal eines Einzelnen abhandelt.
Dieser Einzelne ist Charlie Fineman (Adam Sandler), dessen Familie an Bord eines der beiden Flieger war, die in die Twin Towers krachten. Charlie hat lange Haare, eine schludrige Rasur und fährt am liebsten auf seinem Stehroller durch New York City, wenn er sich nicht gerade mit Medien betäubt: Rockmusik, Videospiele, Mel Brooks Filme. Er scheint ein Traumleben zu führen, da er Träume lebt, als Schlagzeuger arbeitet, gleichzeitig aber auch sich träumend vor Realitäten verschließt, den Tod seiner Familie im klassisch-freudianischen Sinne verdrängt.
Auf der anderen Seite steht sein ehemaliger Zimmerkollege aus dem College Alan Johnson (Don Cheadle). Der übt den Beruf als Zahnarzt aus, den beide studiert haben. Seine Probleme sind eher alltäglich: Ihm mangelt es an Freunden, seine Kollegen lassen ihn außen vor und auch mit seiner Frau kann er nicht so recht kommunizieren. Ein Gegenpol: Der eine ist das Musterbeispiel des Arbeitnehmers, der andere der Aussteiger, aber beide sind problembeladen.
Durch einen Zufall treffen die beiden einander wieder, Alan weiß von Charlies Schicksal, aber sah ihn das letzte Mal vor Jahren. Die beiden freunden sich miteinander an, doch Charlie will seinen Verlust nicht therapieren lassen…
Adam Sandler in der Rolle des Traumatisierten? Tatsächlich funktioniert das Ganze sehr gut, man bekommt den verschrobenen Charakter, den man erwartet, doch gleichzeitig steckt auch eine Person, eine nachvollziehbare Figur dahinter. Daneben ist Don Cheadle sicherlich gut, aber er muss halt den Jedermann spielen und es wirkt nicht so, als ob er der einzige wäre, der für den Job getaugt hätte. Liv Tyler überzeugt auf ganzer Linie als Psychologin, Saffron Burrows ist OK als emotional geschädigte Patientin, Jada Pinkett Smith macht das Beste aus ihren wenig einprägsamen Szenen. Hinzu kommt Donald Sutherland in einer großartigen Gastrolle als Richter.
Dabei handelt es bei „Reign Over Me“ um keine Neuerfindung des Genres, sondern einen Film, der Tragik und leise Komik mischt. Es ist sehr menschlicher, sehr natürlicher Humor, der teilweise nur zwischen den Zeilen aufblitzt, der nie das Geschehen übernimmt. Es lockert die immerhin zwei Stunden Film passend auf, auch wenn „Reign Over Me“ im letzten Drittel etwas strauchelt, sich bei der Gerichtsverhandlung etwas zieht, so sehr sich die Darsteller auch anstrengen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen des Genres propagiert „Reign Over Me“ keine Lösung des Verlustproblems, sondern bleibt durchweg ambivalent. Charlies Öffnung Alan gegenüber ist der mit Abstand bewegendste Moment des Films, doch genau dieser Fortschritt stürzt Charlie auch in eine Krise. Behandlung ja oder nein, zur Not auch gegen Charlies Willen? Wie gefährlich ist dies, wie gefährlich ist es ihn in seiner Verdrängungswelt zu belassen? „Reign Over Me“ zeigt verschiedene Ansätze, aber bietet nicht den Schlüssel zum Geschehen an, die Botschaft lautet: „He has to find his own way“.
Es bleibt die Frage, warum 9/11 das Trauma darstellt, da es für die eigentliche Handlung relativ egal ist, wie Charlies Familie starb. Jedoch steht Charlie auch als Parabel für die USA selbst ein, die mit ihrem Trauma fertig werden müssen. Binder nun große politische Absichten zu unterstellen, offensive und offensichtlich falsche Propagierung von radikaler Therapie mit dem Irakkrieg als Pseudp-Therapie gleichzusetzen, dürfte zu weit gehen, doch hier geht es auch nicht um Politik, sondern um Charaktere.
So funktioniert „Reign Over Me“ dann als Drama und da auch als sehr gelungenes Exemplar, das vor allem von seinen großartigen Darstellern lebt und neben Tragik auch seine komischen Momente besitzt. Da verzeiht man auch gern ein paar Längen, vor allem im letzten Drittel. Und das „Reign Over Me“-Cover von Pearl Jam ist eh ganz großes Tennis.