Review

Ein Mann entlädt seine Waffe. Ein Zweiter lädt seine. Langsam und bewusst einzeln, als wenn man alle Zeit der Welt hätte. Ein Dritter steht dabei und schaut zu. Dann entlädt er auch seine.
Man weiss nicht, wer jetzt genau wen erschiessen will, aber man weiss, dass gleich etwas losgeht. Die Anspannung wird bis zur letzten Sekunden hinausgezögert. Pulverrauch füllt den Raum.

Filmemacher Johnnie To ist weitab von einer Krise, aber es steht unzweideutig, dass ihm das Publikum und auch die Kritiker nicht mehr so blindlings aus der Hand fressen wie noch um die Jahrtausendwende.
Bereits seit Fulltime Killer [ 2001 ] zeichnete sich ab, dass er nicht beide Seiten gleichzeitig bedienen kann und auch das jeweilige Versteigen auf eine Betrachtungsweise zu Irritationen führt. Bei kassenträchtigeren Publikationen wie Fat Choi Spirit, My Left Eye Sees Ghosts, Turn Left Turn Right und Love For All Seasons meckerten die Einen und bei Gegensätzen wie Running on Karma, PTU, Breaking News und Election die Anderen; jede Partei hatte auch stichhaltige Argumente für das Versagen des speziellen Projektes. Das Interesse an ihm hörte nicht auf, aber liess vor allem auch im sonst umjubelten Ausland spürbar nach; gerade Election 2 [ 2005 ] schien vor leeren Leinwänden zu laufen, so wie man das fehlende Echo deuten muss. Auch Throwdown [ 2004 ] gilt zwar unbestritten als gelungen, lud aber nur noch eine spezielle Schar Betrachter ein.

Die Exiled Ankündigung ist seit längerem wieder mit mehr spürbarer Begeisterung und Vorfreude aufgenommen wurden; noch geschürt durch neugiermachendes Marketing, dass sich besonders in Previews erging. Die Tatsache, dass man sich auf seinem durchschlagenden Erfolg The Mission - Ihr Geschäft ist der Tod [ 1999 ] beziehen wollte, gab den alles entscheidenden Ausschlag; ausserdem ist die Besetzung ein Leckerbissen in sich:
Anthony Wong, Francis Ng, Roy Cheung und Lam Suet aus der "alten" Hauptbesetzung und frisch ergänzt mit den anscheinend langsam zu Stammspieler werdenden Richie Ren und Nick Cheung. Plus natürlich Simon Yam.
In dem ganzen Trubel ist den Leuten noch gar nicht so richtig aufgefallen oder mittlerweile auch egal geworden, dass Exiled gar keine Fortsetzung im eigentlichen Sinne ist; entgegen der ersten Verlautbarung deutet zumindest von offizieller Seite auch gar nichts mehr darauf hin. Letztlich ist es eine klassische Genregeschichte auf typisch To'sche eigene Weise erzählt, die entweder zu Lobpreisungen hinreissen wird oder wegen ihrer wiederholten Künstlichkeit abstösst.

Macau, wo sich Europa und China vereinen. Nah bei Hongkong gelegen, aber portugiesische Kolonie. 1998, ein Jahr vor der Integration als Sonderverwaltungszone in die Volksrepublik China.
Triaden haben die Kontrolle über die winzige Halbinsel an der Mündung des Perlenflusses übernommen, nur die Aufteilung steht noch aus. Fay [ Simon Yam ] konkurriert mit Keung [ Gordon Lam ]. Allerdings hat er noch andere Probleme; er möchte nämlich den Rückkehrer Wo [ Nick Cheung ] beseitigt haben. Seine ehemaligen Kollegen Tai [ Francis Ng ], Blaze [ Anthony Wong ], Cat [ Roy Cheung ] und Fat [ Lam Suet ] bekommen den Todesauftrag und statten ihm einen Besuch ab. Nachdem sich der erste Rauch verzogen hat, versammelt man sich zum Gespräch.

Damit eröffnet der Film, langsam - nicht behäbig - werden in den ersten 25 min die Weichen für die nachfolgende Chronik erstellt. Anders als in vielen vorherigen Werken knallt man nicht sofort mit einem wahnwitzigen Opener als Vorstellung durch und besitzt auch mehr weit als die Exposition in der Hinterhand. Diesmal entwickelt man sich etwas weiter, als dass man nur den Schwanz hinter einer grandiosen Ausgangsidee ist und kann auch die Figuren dem Anschein nach zum Leben erwecken statt sie einfach nur in weiteren Situationen zu zeigen.
Die Prämisse ist ein Konglomerat aus Bekanntem; immerhin gibt es zwei entscheidende Fragen.
Die Erste ist das "Wohin ?".

Am Ende einer Ära sind sich alle ausser Wo unsicher, was sie in Zukunft machen wollen und unschlüssig, was sie dafür tun sollen. An jeder Kreuzung bleibt ihr Auto stehen, weil sie nicht einmal die Richtung auswählen und auch nicht mehr für sich selber oder gar die Anderen mitentscheiden können. Die Frage "Wohin ?" kann nicht mehr beantwortet werden, da nichts in ihrem Leben geschaffen wurde, worauf sie bauen und sich zurückziehen könnnen. Keine Existenz abseits ihres Berufes und kein Zuhause ausser der Strasse. Sie manövrieren sich ins Niemandsland.

To nutzt dabei mehrere Elemente aus dem Vorgänger, ohne ihn namentlich zu zitieren. Es handelt sich um eine Art Abwandlung; eine Umkehrung im weiteren Sinn. Diesmal schützt man kein Leben, sondern wird dafür bezahlt, es zu nehmen. Dies vollzieht sich in einer Gruppendynamik, die fest und variabel zugleich ist. Jeder kennt seinen angestammten Platz und auch seine Reihenfolge in der Hirarchie; in der Sekunde der Not kann und muss man aber auch auf Veränderungen einstellen, entsprechend reagieren und sich trotz manchmal gegenteiliger Ansichten blind auf den Anderen verlassen können.
Die Orientierung erfolgt aus diesem über die Jahre herangewachsenen Bewusstsein heraus; die Vertrautheit und das Vertrauen unter den Fünfen ist so instinktartig, dass es wie angeboren erscheint.

Dieses Kennzeichen findet man bereits in der Eingangsszene und treibt es dann nur in einem erweiterten Maßstab weiter. Dabei werden in die Innenräume des Geschehens analog zur Gefährlichkeit stetig grösser; erst bei Wo daheim, dann in einem Restaurant, danach über mehrere Stockwerke in den Innenhof eines Hauses, am Ende innerhalb eines mehrfächigen Hotels. Das Fünfeck sieht sich dort längst Bedrohungen von ausserhalb konfrontiert. Man steht sich nicht mehr selber gegenüber und muss den nächsten Moment nur von seinem Gewissen abhängig machen. Sondern ist gegen eine mittlerweile vereinte Triade ebenso anfällig wie auch gegen die baldig abgelöste Korruptionsregierung und deren Offiziere.

Tos Inszenierung selber vermeidet dabei eine geographische Desorientierung und teilt den Radius streng in verschiedene Abschnitte auf. Zwar wird er schon durch die fahle Beleuchtung und die oftmals als Schutz eingeworfenen Sichthindernisse für Ungeübte weniger anschaulich. Die fahlen Konturen des vom Kerzenschein beschienenen mahagonibraunen Bildes erinnern an alte Fotographien. Die häufige Dunkelheit und die langen blauschwarzen Schatten an Neo Noir. Doch ausser den Gesichtern bestehen die Schauplätze nur aus einem Rahmen, der die Kreuzungspunkte der Blicke und Bewegungen einkreist. Einzelnes wird inhaltlich und optisch abstrahiert und in einem Puzzle zusammengefügt, aus dessen Gesamtheit die losen Verbindungen erst ein Ganzes ergeben. Jeder bekommt etwas anderes zugeflüstert; nur der allwissende Zuschauer erfährt von allen Inhalten. Genauso ergibt sich bei den fünf Shootouts erst aus den vielen Ansatzpunkten von Indeckunggehen und Zurückziehen oder Aufeinanderzumarschieren und Abfeuern ein mythisch verstiegenes Muster im komponierten Stilexzess. Die Wirkung oft weniger durch eine Choreographie als vielmer allein von der vielfältigen Intensität des Lichts, den virtuosen Verkürzungen und diesmal auch auffallend drastisch zerstäubenden Blutpäckchen bestimmt.

Als man dabei die Grenzen der zivilisatorischen Urbanität aus den Augen verliert und sich inmitten der Landschaft wiederfindet taucht die zweite Frage auf: "Wieviel ist eine Tonne Gold ?"
Die Prioritäten ändern sich, weil man erkennt, dass man das "Wohin" nicht mehr in diesem Leben beantworten kann. Man feiert am Strand, betrinkt sich, lässt sich noch einmal im Schabernack fotographieren und schreitet dann zurück in den Showdown. Wo man herkam. Mit Red Bull in der Hand.
To kann oder will partout nicht ernst bleiben und rutscht mal fahrlässig und mal wohl auch freiwillig auf der aalglatten Ebene des Pathos aus. Er lernt die Feinheiten nicht dazu und weiss nicht, wo es reicht und wo das Maß überschritten ist. Will zuviel und konstruiert zu immens.

Die Folge ist eine über jede Sättigung hinausgehende Mischung aus der archetypischen Stilisierung von Leone, der visuell hinaustreibenden Radikalität von Peckinpah und der opernhaft - ritualisierten Ästhetik von Woo. Nur leider nicht mehr fühlbar. Nicht maskulin, sondern in seiner Übercoolness posierend und oftmals auch chargierend. Ein Traum ohne wirkliche Seele.
So bleibt man ein vor allem technisch guter Film; aber nicht emotional mitreissend und deswegen leider nicht das, was er hätte sein können.

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