Review

Um die Kontroverse gleich zu Beginn wegzufrühstücken - ja, der Film kriegt eine Note von mir, auch wenns wohl gar nicht so angedacht war, diesen Film überhaupt einschätzen zu können und ich das bei surrealen Beiträgen, von denen dieser Film gar nicht so weit entfernt ist auch schon ganz gern mal ausklammere.

Natürlich freu ich mich immer, wenn David Lynch einen oder mehrere Geldgeber auftun kann, um einen neuen Film zu drehen und wenn sich ein Trend am Horizont seines Schaffens abzeichnet, dann der das er seine Linie konsequent weiterverfolgt, die Aufhebung von Raum, Zeit und Erzählstruktur nach und nach komplett aufzulösen.
Damit ist "Inland Empire" die logische Weiterentwicklung der vorangegangenen Filme "Lost Highway" und "Mulholland Drive", die ebenfalls schon eine logisch nachvollziehbare Linie missen ließen und stattdessen den Plot zunächst in Form einer narrativen Ellipse gestalteten und dann in "Drive" eine Art charakterliche Verschmelzung in einen figürlichen Crossover übergehen ließen, das den Plot eher spiegelte als weiterführte.

Wenn man durch diese Filme allerdings noch mühsam hindurchfinden konnte, hebt "Inland Empire" alle erzählerischen Konventionen auf. Es gibt zwar lynch-typische Bilder, beunruhigend im Hintergrund dahin grollende Soundscapes und vor Anspannung vibrierende Bilder zwischen trüb-schmutzigem Licht und abgründigen Dunkelzonen, in denen Figuren auf immer verschwinden können, aber so etwas wie Plot gibt es nicht mehr.
Was es gibt, sind Ansätze, Fragmente, kleinste Elementarteilchen, aus denen wackere Fans bemüht sind, so etwas wie eine Inhaltsangabe herauszudestillieren, bis der zweieindreiviertelstündige Film nach 45 Minuten komplett aus den Schienen springt. Bis dahin erinnert das alles noch an die Umstände in "Mulholland Drive", dessen seltsame Filmproduktion hier Anklang findet.
Die Metaebenen zwischen dem Film, den wir sehen; dem, der gedreht wird; dem, der mal gedreht wurde und dem, den offensichtlich alle Figuren hier fahren, erschlagen sich diesmal bei Lynch ohne Unterlaß und werden der kompletten Auflösung hingegeben.

Fokussiert scheint der Film auf Laura Derns Figur Nikki Grace, die beim Remake eines polnischen Films mitmacht, der ihr darstellerisch zu neuer Glorie verhelfen soll, jedoch aufgrund der Ermordung der Hauptdarsteller des Originals in Europa schon nie fertig gestellt wurde. Das ist aber maximal eine Art Randnotiz, die die Dinge ins Laufen bringt, denn schon von der ersten Szene an, versetzt der Regisseur die Zuschauer in eine Art permanenten Traumzustand, eine filmische Realität existiert in diesem Werk schon gar nicht mehr.
Vom Start weg wird alles durcheinandergeworfen: eine surreale Anordnung von menschenähnlichen Hasen in einer Sitcomszenerie mit eingespielten Lachern zu unzusammenhängenden Banalstatement; ein verzweifeltes Mädchen in einem Zimmer, das nicht aufwachen kann; ein Herrenhaus, in dem Laura Dern eine bizarre neue Nachbarin mit hartem Akzent empfängt, die seltsame Aussagen und Andeutungen macht und schon da die Struktur aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufhebt, so daß die ganze Eröffnung so verunsichernd wirkt wie das Finale von Kubricks "2001".

Wie überhaupt die meisten Szenen wie eine Mischung aus Selbstzitat (die Lampen, der Hintergrundsound, die Vorhänge, die Korridorschluchten, hinter denen angsteinflößende Dinge zu lauern scheinen) und leichter satirischer Betrachtung Hollywoods. Es ist schwer, wirkliche Satire auszumachen, aber die Art und Weise, wie in den Filmszenen banale Liebesdialoge ohne rechten Inhalt ausgetauscht werden oder mehrere Figuren immer wieder unstrukturiert Phrasen aneinander vorbeischicken, entlarvt auf leichthändige Weise die Redundanz von typischen Genrefilmen oder der Gesamtkonstruktion Filmindustrie, die Nichtigkeiten zum Wohlgefallen anderer präsentiert (dazu passend die immer wieder aufbrandende asynchrone Lachspur).
Ein wenig wird auch mit dem "Film im Film im Film" experimentiert und der Zuschauer damit aufs Glatteis geführt, aber auch das wirkt eher wie ein gewolltes Zitat, nicht ein Instrument filmischen Ausdrucks.

Niemals zuvor war die individuelle Rezeption des Zuschauers wichtiger, unberechenbarer und brüskierender, denn der Regisseur scheint wahllos Versatzstücke hintereinander, übereinander und nacheinander anzuordnen, dann die Reihenfolge, den Ausschnitt oder die Folgen umzustellen und neu zu konfigurieren, ohne das sich für das Gesamtbild damit eine neue Erkenntnis ergibt.
Wenn Laura Derns Nikki nach knapp einer Stunde in dem untertaucht, was in Rezensionen gern als eine Art Identitätskrise beschrieben wird, scheint Lynch in diesem Fall auf so ziemlich alles zu spucken, was man noch erwarten könnte.
Weder kann man definitiv sagen, daß sie sich im Leben ihrer Filmrolle Susan Blue wiederfindet, noch daß sie Strukturen des Originalfilms nach erlebt, überall finden sich zwar Hinweise oder scheinbare Verbindungen, aber der Zuschauer ist für anderthalb weitere Stunden erst mal damit beschäftigt, eine irritierende Szenenfolge nach der anderen in sich aufzusagen, welche stetig abbrechen, wiederaufgenommen werden oder sonstwo ihre Fortsetzung finden. Manchmal scheinen ein paar Stücke zusammen zu passen, ohne jedoch das das Folgen für das Verständnis bringt.
Durchgängig bleibt nur das durch "digital video" und seine Körnigkeit provozierte traumartige Szenario und die generelle mentale Verwirrtheit aller Figuren, die ihre Dialoge mühsam hervorpressen oder nach einem Schlüssel suchen, was sie gerade tun oder was das alles soll - womit die Frage offen bleibt, ob sich das auf den Zuschauer übertragen soll oder ob es bewußt als dramaturgische Spiegelung so angelegt wurde.

Laura Dern wurde ausgiebig für ihre Darstellung gelobt, was zu unterschreiben ist, wenn man davon ausgeht, daß sie sich in dieses Projekt überhaupt so eingebracht hat. Schwer vorstellbar, daß es ein präzises Drehbuch für "Inland Empire" (der Titel findet übrigens im Film einmal kurz Erwähnung, jedoch ohne nähere Erklärungen) gegeben hat und Lynch nicht einfach Eingebungen nachgegeben und spontan gefilmt hat, um das alles dann nach einem sadistisch-amüsierten Gutdünken wirr zusammen zu montieren.
Möglicherweise wurden alle Darsteller im Unklaren gelassen, was den irritierten Zustand der Figuren zumindest realistisch erscheinen läßt.

Was ebenfalls mühelos über 160 Minuten durchgehalten wird, ist die unterschwellige Angst, die der Film transponiert, eine Studie in Kontrollverlust über Zeit und Realität, in welchem Dinge oder Personen auftauchen und verschwinden, um viel später neu angeordnet oder spontan eingesetzt zu werden. Das alles in eine zeitlich nachvollziehbare Reihenfolge zu bringen, bedeutet einen Triumph des Scheiterns, denn hier paßt gar nichts mehr, Raum und Existenz sind individuell formbar, ein dunkler, beunruhigender Traum, wie er schon im Debut "Eraserhead" gemeint war, aber inzwischen ohne diskutablen Chiffre, sondern als wirre Reihe von Eindrücken und emotionalen Rauschzuständen, zeitweise gewalttätig oder obszön, aber immer mit einem liebevollen Touch für das visualisierte Chaos.

Aber warum sollte man "Inland Empire" sehen? Es gibt keinen Unterhaltungsbezug, es gibt nichts zu erfahren, zu erklären, zu verstehen. Hier existiert, ganz simpel, ein audiovisuelles Konglomerat als Projektionsfläche individueller Interpretationsansätze, um diese dann in einer sich selbst immer wieder aufhebenden Szenencollage niederzuknüppeln.
Der Reiz ergibt sich allein aus der Erfahrung, sie mal gemacht zu haben und wenn man so möchte, hat es Lynch damit sowohl seinen Kritikern wie seinen Fans gezeigt, eine gewisse kreative Form der Autarkie, an die niemand mehr heranreicht - gleichzeit hat er sich damit aber so sehr von allem was Film ausmacht entfremdet, daß eine Rückkehr zu eher zugänglichen Konventionen kaum noch möglich erscheint.
Sollte dieser Film Lynchs letztes Werk werden, wäre das das Einzige, was man ohne weiteres daran verstehen könnte.

Womit wir wieder bei der allgegenwärtigen Wertung und/oder Note wären: es ist ebenso wenig logisch, die schiere Existenz und das visuell Abstruse zu feiern, wie die mehrdimensionale Konstruktion pauschal als erzählerisches Nichts abzulehnen. Und wenn ich mich mit einer Note in der Mitte einpendele, dann ist das bizarrer als der ganze Film: ein Film mit Anfang und Ende, aber ohne wirkliche Mitte, ohne Struktur, Übersicht und aufzuschlüsselndes Verständnis, Szenen aus dem Himmel und der Hölle, menschliches Chaos, filmisches Chaos. Es zieht an, scheint aber keine Funktion zu besitzen - würde derjenige, der sonst im "Kunst!" schreit, jetzt endlich bitte aufstehen? (5/10)

Details
Ähnliche Filme