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Er spaltet die Zuschauer, er zeigt ihnen Dinge, die sie in einem Film noch nie gesehen haben, er visualisiert Alpträume, für ihn sind Chronologie, Logik oder auch Nachvollziehbarkeit, Elemente, die hinten anstehen müssen; man kann seine Filme begreifen, doch „jeder versteht sie anders“ und „auf seine eigene Art und Weise“ oder „man versteht seine Filme erst, wenn man aufhört zu versuchen, sie zu verstehen“ (D. Lynch). Und viele werden nach dem Ansehen völlig entgeistert auf den Bildschirm starren und fragen: „Was sollte das?“. Der Lynch-Fan hingegen sucht nicht zwangsweise nach einer Antwort auf die tausenden von Fragen, die der Film über die Laufzeit aufwirft. Er fühlt sich in dieser Lynch-Welt viel zu befangen, als dass er sie hinterfragen müsste. Er taucht in diese Welt ein, in der die Zeit und Naturgesetze aus der Bahn geworfen werden. Er findet sich - ebenso wie die Hauptcharaktere - in einem riesigen Labyrinth wieder, dessen Ende unabsehbar ist, und aus dem man sich wohl nie wieder befreien kann. Das Labyrinth kanalisiert unsere Ängste, Gefühle, Gedanken. Das Labyrinth bildet eine ganz eigene Welt, und irgendwo dort drinnen finden wir uns wieder…

Nach „Lost Highway“ und „Mulholland Drive“ konnte man gespannt sein, inwiefern sich das bisher Gezeigte noch überbieten ließe. Und mit „überbieten“ meine ich: Wie kann man eine ganz eigene abgekapselte Welt, die schon so dermaßen komplex ist, weiterführen? Wie kann man sie ausbauen, ohne etwas zu zerstören, oder gar den völligen Holocaust dieser Welt heraufzubeschwören. Doch keine Angst: Lynch weiß genau, was er macht. Und auch wenn er in diversen Interviews immer wieder behauptet, dass er selbst nicht verstünde, worum es in „Inland Empire“ überhaupt geht, und dass er das Skript immer unmittelbar vor den einzelnen Szenen schrieb, so zeigt sich das Endprodukt aus einem ganz anderen Licht: Zwar ist die Lynch-Welt an Surrealismus kaum noch zu überbieten – „Inland Empire“ reizt dies bis zum Zerbersten aus, womit eine Steigerung wohl kaum noch möglich ist; zumindest sofern sich das Produkt immer noch als Film bezeichnen möchte – aber dennoch schiebt sich ein undefinierbarer roter Faden durch den ganzen Film. „Angst“ sei ein zentraler Aspekt, so Lynch. Doch auch andere, bereits in „Mulholland Drive“ und „Lost Highway“ behandelte Perspektiven lassen sich in „Inland Empire“ wieder finden: So wird immer wieder Lynchs Abneigung gegenüber Hollywood und dessen Dekadenz evident. Aber auch Identitätsverlust und Träume, so wie die Verlorenheit des Individuums in der Zeit der modernen Unterhaltungsgesellschaft sind bevorzugte Themen, die sich in seinem Universum als verzerrtes Faksimile exhibieren. Also keineswegs ein Schnellschuss (Er arbeitete immerhin auch ganze vier Jahre an dem Film).

Als Angelpunkt nimmt Lynch wieder einmal die Entstehungsgeschichte eines Filmes, in der Laura Dern die Schauspielerin Nikki Grace mimt, die die Rolle in einem Remake eines polnischen Melodrams annimmt, welches aufgrund des mysteriösen Todes der beiden Hauptdarsteller nie fertig gestellt wurde. Doch Nikki findet sich in einem Strudel der Zerstreuung wieder. Realität, Fiktion, Film und Wirklichkeit, verschwimmen zusehends. Nicht einmal sie selbst weiß mehr, welche Rolle sie überhaupt spielt…

Durch die unübersehbaren Tendenzen, die schon „Mulholland Drive“ und „Lost Highway“ formten, lässt sich durchaus behaupten, dass „Inland Empire“ den Abschluss einer Trilogie bildet (Zumal auch Naomi Watts und Laura Harring wieder kleine versteckte Rollen haben). Er lässt sämtliche Aspekte der beiden Vorgängerfilme in einem Rausch aus Bildern und Klängen kulminieren, die den Zuschauer oftmals in ihrer Radikalität erschrecken werden. Szenenfragmente, die in keinem ersichtlichem Zusammenhang zum Rest stehen, Bilder, die nur schwer zu ertragen sind, weiß Gott warum… Und gerade dies ist das Faszinierende an den Filmen eines David Lynch: Man kann es sehen, aber nicht begreifen. Man fühlt es, kann es aber nicht beschreiben. Man hört es, kann es aber nicht zuordnen. Er variiert die Realität, wie wir sie kennen, so weit, dass es nur schwer ist, einen Anschluss an diese Welt zu finden. Aber man kann ihn finden, so viel ist sicher. Doch es ist beileibe nicht einfach, ihn im Auge zu behalten.

Nach dem Abspann – sofern man es so lange durchgehalten hat – fragen wir uns wieder: „Was habe ich da jetzt gesehen?“. Und die Antwort auf diese Frage ist leicht: Man kann es einfach nicht in Worte fassen. Es ist wie ein Gemälde, welches durch seine Ruhe und Bewegungslosigkeit fasziniert. Ein stagniertes Moment, welches für sich steht und dessen Sogwirkung völlig aus der Leere der Ruhe auftaucht und diese Leere füllt, mit dem was der Einzelne darin sieht. Ähnlich verhält es sich mit Lynch: Zwar gibt es hier keine Ruhe und auch keine Stagnation, doch wirkt der Film auf jeden anders und doch gleich: Er fasziniert. Nicht jeder kann damit was anfangen; das würde ja auch bedeuten, dass wir alle gleich wären; und genau das kritisiert ein Lynch ja. Nein, „Inland Empire“ und überhaupt Lynchs Gesamtwerk ist, um es mit wenigen Worten zu umschreiben, der Zugang zu einer Welt, die durch ihre Abnormalität zu unseren Dogmen eine Charakterisierung unserer Zeit darstellt und vielleicht zu verstehen gibt, wie sie überhaupt funktioniert.

Lynch bleibt Lynch. In „Inland Empire“ verdeutlicht er ein ums andere Mal, warum er von den einen gehasst und von den anderen vergöttert wird. Es ist ein wahnsinnig intensiver und anstrengender Film geworden, durchdringender und beschwerlicher als alles andere, und seine Fans werden ihm um diesen Augenöffner danken.
Es bleibt dabei: Lynch ist, trotz oder dank, seiner Kontroversen einer der innovativsten, und vielleicht komplexesten Independent-Filmemacher unserer Zeit.

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