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Zur Stummfilmzeit waren gerade die deutschen Beiträge herausragend, ob es nun Werke von Fritz Lang, Robert Wiene oder eben von Friedrich Wilhelm Murnau waren. „Faust – Eine deutsche Volkssage“ war der letzte Film von Murnau in Deutschland und neben „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ sein größer Erfolg.


Im Himmel schließen der Erzengel Michael und Mephisto (Emil Jannings) einen Pakt. Element der Wette ist der Gelehrte Dr. Faust (Gösta Ekman). Sollte es Mephisto gelingen, sich Fausts Seele anzueignen, gehöre ihm die Welt.
Mephisto lässt in Fausts Dorf die Pest umhergehen. Viele Menschen sterben und der Rest fleht Faust an, ihnen doch zu helfen, doch der große Gelehrte ist machtlos gegenüber der Pest. Voller Zorn wirft Faust all seine Bücher ins Feuer, er weiß doch so viel und kann nichts tun.
In seiner Not beschwört er Mephisto, der auch prompt erscheint. Faust erhält einen Probetag von Mephisto. Mephisto wird Fausts Diener sein für einen Tag, danach soll sich Faust entscheiden, ob er für Wissen und Macht seine Seele an Mephisto verkauft.
Faust gelingt es, einige Kranke mit Hilfe von Mephisto zu heilen, doch seine größte Erfüllung ist die Jugend. Auch diesen Wunsch kann Mephisto ihm erfüllen und so gelingt Faust auch die Verführung der Herzogin von Parma. Kurz vor dem Akt sind die 24 Stunden aber um. Faust willigt in Mephistos Pakt ein. Doch selbst die Jugend erfüllt Faust nicht lange, er sehnt sich nach der Heimat. Dort begegnet er Gretchen (Camilla Horn). Faust ist begeistert und verliebt sich in Gretchen. Er verlangt von Mephisto, ihr bei der christlichen Gretchen zu helfen. Mephisto hilft auf seine Art und Weise und so nimmt die Geschichte ihren tragischen Lauf...


Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum-

So beginnt der wohl berühmteste Monolog der Literaturgeschichte aus dem Werke „Faust – Der Tragödie erster Teil“ von Johann Wolfgang von Goethe (wenn man den Prolog mal außen vor lässt).
Der Faust ist wohl das bedeutendste Werk deutscher Literaturgeschichte, mit einer unglaublichen Erstehungsgeschichte, welches heute jeder Mensch gelesen haben sollte.
Relativ leicht zu lesen, doch nicht minder komplex ist die Geschichte des Dr. Faust, der einen Pakt mit dem Teufel eingeht, um noch mehr zu erfahren und zu wissen, um die Jugend zu erlangen um doch am Ende vor dem Nichts zu stehen.

Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm „Faust – eine deutsche Volkssage“ orientiert sich sowohl an dem Werk von Goethe, aber auch an die ebenfalls bekannte Geschichte des „Doktor Faustus“.
So beginnt der Film auch mit einem Dialog zwischen dem Erzengel Michael und Mephisto, nicht wie in Goethes Buch zwischen Gott und Mephisto. Doch die Wette bleibt gleich, es geht ums Fausts Seele, die Mephisto haben will ,denn jeder Mensch strebt nach Wissen und Macht, auch wenn der zentrale Satz von Goethes Roman Verweile doch! du bist so schön! bezüglich des Augenblickes nicht fallen wird (an dieser Stelle hätte Faust seine Seele an Mephisto übergeben).

Murnaus Faust ist phantastisch, eine unglaubliche Bildersprache, die man bis dato kaum gesehen hat. Irgendwann in der Filmgeschichte müssen ja die „Special Effects“ angefangen haben und vielleicht war es Murnaus Film, der diesen Weg ebnete. Wir sprechen von den 20er Jahren und Murnaus Filmtechnik kann nur als überragend angesehen werden. Murnau erzeugt sowohl eine absolut stimmige Bildkomposition und erweitert diese mit nie gesehenen Effekten. Murnau lässt Personen verschwinden und wieder auftauchen, zahlreiche Modelle kommen zum Einsatz und wenn Mephisto über Fausts Stadt thront ist dies eine Szene, die kein ernsthafter Filminteressierter mehr vergessen wird. Murnaus Film ist oll voller neuartiger und technischer Raffinessen und fast jedes Bild ist ein Genuss, gibt es doch so viel zu entdecken.

Auch wenn der Stummfilm nur wenige Texteinblendungen bietet (natürlich steht dies eigentlich im Widerspruch zum unglaublichen Text von Goethes Faust), müssen die Schauspieler natürlich besonders beachtet werden. Faust wird dargestellt durch den Schweden Gösta Ekman, der zur damaligen Zeit einer der bekanntesten schwedischen Schauspieler war und sowohl auf das männliche als auch weibliche Publikum einen gewissen Reiz hatte. Ekman beginnt sein Spiel als alter Mann und wird erst im Laufe des Films zum jungen Faust, der sein Leben genießen will.
Der Gegenpart, Mephisto, wird vom gebürtigen Schweizer Emil Jannings verkörpert. Was der große Gustav Gründgens 1960 mit Worten darstellen konnte, kann Jannings nur mit seinem markanten Gesichtszügen. Jannings ist der schelmische Mephisto, daran gibt es keine Zweifel. Es bedarf keiner Worte, um Jannings den Mephisto abzunehmen. Ein Grinsen, bedrohliche Blicke, dies sind Jannings Elemente um ebenfalls einen Mephisto darzustellen, den man neben der Glanzleistung Gründgens auf der Bühne nicht mehr vergessen will. Der Mephisto ist die Königsrolle des Stückes Faust, scheint diese Figur doch die meisten Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, was aber auch nach hinten losgehen kann, wenn man nicht das Charisma eines Jannings oder Gründgens besitzt.

Murnaus Version ist um einiges freier als z.B. das Buch von Goethe, was angesichts der beschränkten Möglichkeiten nicht verwundert, aber Murnau auch keine 1:1 Umsetzung des Goethe’schen Stoffes wollte. So fällt auf, dass die berühmte Gretchenfrage Nun sag, wie hast du's mit der Religion? Ebenso fehlt wie oben gesagte Wette. Doch auch in Murnaus Inszenierung wird dem Zuschauer sofort klar, welch hohen Stellenwert die Religion in der besagten Zeit spielt.
Weiter kommen viele Lokalitäten nicht zum Einsatz, ob es nun Auerbachs Keller ist oder auch die Walpurgisnacht, Murnau beschränkte sich auf das Wesentliche, was dem Vergnügen an diesem Stück aber auf keinen Fall schadet.

Die Entstehungsgeschichte dieses Film ist ebenso interessant wie der Film selber. Zu den Zeiten des Stummfilms war es nicht mal eben möglich, von einem Negativ zig Abzüge zu machen und diese in die ganze Welt zu schicken. So war es bei „Faust“ normal, dass der Film quasi zweimal aufgenommen wurde. Die deutsche Fassung war natürlich die von Murnau gewünschte Fassung. In dieser Fassung steht die Kamera immer richtig, alles wurde so eingefangen wie es sich der Regisseur wünschte. Nebenher gab es aber noch eine zweite Kamera, welche den Film aus einer anderen, nicht optimalen Perspektive aufnahm. So entstanden zwei Negative. Die Fassung der zweiten Kamera wurde dann für die Exportfassung genutzt, welche nicht nur wie schon beschrieben andere Einstellungen benutzte, sondern auch in Sachen Tricks und Perfektion nicht das bieten konnte, was sich Murnau vorstellte. Bezeichnend sei hier die Szene zu Begin auf dem Jahrmarkt. In der deutschen Version agiert hier ein Zuschauer mit einem echten dressierten Bär, während in der Exportfassung ein Mann im Bärenkostüm ausreichen musste. So ist es natürlich eine rein rhetorische Frage, welche Fassung man sich anschauen sollte. Dank der unglaublichen Arbeit des Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung ist es heute endlich möglich, die deutsche Version in einer unglaublichen Qualität (wir sprechen hier von einem über 70 Jahre alten Film) zu bewundern, welche genau das widerspiegelt, was sich Murnau gewünscht hat.

Auch das Ende in Murnaus Faust unterscheidet sich deutlich. Im Roman Goethes gibt sich Gretchen ganz ihrem Gott hin, Faust und Mephisto fliehen aus dem Kerker und Fausts Drama ist nicht beendet (wer mehr wissen will  Der Tragödie zweiter Teil). Murnau lässt den Film, wenn man denn so will, positiver ausklinken und beendet den Film wieder mit Michael und Mephisto im Himmel. Es geht nur noch darum, wer die Wette nun gewonnen hat, doch kennt Mephisto ein bestimmtes Wort nicht, was seinen Pakt zu Nichte machen wird.


Fazit: Friedrich Wilhelm Murnaus „Faust – Eine deutsche Volkssage“ ist das erwartete Meisterwerk deutscher Stummfilmkunst und reiht sich nahtlos in Filme wie „Nosferatu – eine Symphonie des Grauens“ oder „Das Cabinett des Dr. Caligari“ ein. Der Stoff des Faust wird elegant auf Murnaus eigene Art und Weise zelebriert, lässt trotzdem die bekannten Vorlagen aber nicht außer Acht. Wer sich zumindest nicht überwinden kann, Goethes Buch zu lesen, muss zumindest Murnaus Film gesehen haben, der hoffentlich dann die Neugier weckt, sich Goethes Fassung (und sei es auch das Bühnenstück mit Will Quadflieg und Gustav Gründgens) mal anzueignen.
Murnaus letzter deutscher Film ist ein wahres Meisterwerk, welches in jede ernsthafte Sammlung gehört.

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