Brian de Palma ist so ein Regisseur, bei dem man auch nie genau weiss, ob man ihn zur Oberklasse seiner Zunft zählen soll oder eher unter ferner liefen. Vielfältig ist er auf jeden Fall, man kann sein Schaffen auf kein spezielles Genre begrenzen. Er machte interessante Horrorfilme, die sich mit Telekinese beschäftigen wie Kings "Carrie" oder "Teufelskreis Alpha" genauso wie Serienkillerfilme à la "Dressed to kill" oder "der Tod kommt zweimal". Alles in allem immer interessante und handwerklich gut gemachte Streifen. Natürlich hat auch er fürchterliche Filme gedreht, als Beispiel sei "Mission to Mars" genannt.
Mit "Scarface" ist ihm wohl sein Meisterstück gelungen. Ein 160 Minuten langes Gangsterepos, dass mit Al Pacino einen Hauptdarsteller aufweist, der natürlich für Qualität bürgt. Trotzdem kann man "Scarface" nicht als One-Man-Show bezeichnen, obwohl Pacino natürlich die zentrale Figur gibt. Er spielt den jungen kubanischen Emigranten Tony Montana, der nach Amerika kommt bzw. von Castro geschickt wurde. Soweit der geschichtliche Hintergrund. Tony Montana und sein Freund Manny Ray beginnen nach dem Aufenthalt im Lager (inklusive Aufstand und Auftragsmord) eine Karriere als Tellerwäscher. Da man in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten bekanntlich "vom Tellerwäscher zum Millionär werden kann" interpretieren Tony und Manny Ray dieses Motto auf ganz spezielle Weise. Scheinbar zufällig kommen sie zu "Jobs". Tony Montana ist sehr fleissig…
Sämtliche Nebendarsteller, ob Handlanger, Gangsterboss oder Montanas Familienmitglieder sind herausragend besetzt. Die Figuren haben Tiefe oder eben gewollt nicht, wie z. B. bei Elvira (Michelle Pfeiffer), der hübschen Braut. Die Story folgt eigentlich – wie bei vielen Gangsterepen – dem klassischen Aufbau eines Dramas, das in der Katastrophe endet. Trotz der enormen Länge kommt keinerlei Langeweile auf; dies ist neben den Schauspielerleistungen und den eingestreuten Schiessereien, auf die erstklassigen (auch aus heutiger Sicht nicht nervenden) Dialoge der Gangster zurückzuführen. Ein weiterer Pluspunkt ist die Atmosphäre: Der Ort Miami ist perfekt eingefangen, die Bilder unglaublich stimmig. Dazu die Musik von Giorgio Moroder (Flashdance, Midnight Express).
Der Film selbst ist hart. Gemeint ist hier nicht die Gewaltdarstellung, sondern die Skrupellosigkeit im Vorgehen der Gangster sowie die harte Wandlung Montanas vom kleinen Auftragskiller zum Gangsterboss, der keine menschlichen Gefühle mehr in sich trägt. Absolutes Spitzenkino.
10/10