Die Zeit war reif für „Dreamgirls“.
„Chicago“, das letzte große Bühnenmusical, das eine Filmadaption erfuhr, gewann den Oscar für den besten Film, doch das lag vier Jahre zurück. Seitdem war in dieser Richtung nichts mehr zum echten Erfolg geraten, sowohl „Rent“ wie auch „The Producers“ floppten.
Darüber hinaus bietet das Musical aus den frühen 80ern klassischen Stoff zeitgemäßer Musik, wie geschaffen für eine Adaption.
Und Bill Condon, gefeierter Regisseur für „Gods and Monsters“ und selbst Drehbuchautor von „Chicago“ nahm seine Chance wahr, versammelte einen farbigen All-Star-Cast, der sich gewaschen hatte und klotzte ran.
Für Dreamworks sollte der Film als passender Oscar-Herausforderer in den meisten Kategorien punkten, deshalb pushte man ihn dementsprechend, wo es nur ging, Aufdringlichkeit hin oder her.
Doch das Ergebnis war eher enttäuschend, zwar fuhr der Film die meisten Nominierungen ein, doch die Hauptkategorien (Film, Regie, Hauptdarsteller) blieben ihm verwehrt.
Das soll aber nicht bedeuten, dass Condon an der Aufgabe gescheitert wäre, im Gegenteil, „Dreamgirls“ ist als sehr gelungen zu bezeichnen, denn das Thema, der Aufstieg und Fall einer Girlband von den Mittsechzigern bis zu den auslaufenden 70ern ist auch heute noch brandaktuell und die inhaltlich kaum verhohlene Parallele zu Diana Ross und den Supremes fügte dem noch eine verschleierte historische Dimension zu.
Durchaus vom Feinsten wie üblich bei Condon der Cast: Jamie Foxx gibt den allglatten Manager der Band, Eddie Murphy verpflichtete sich ausnahmsweise für eine ernste Rolle als ein früher Star und Wegbereiter; für die Ross-Figur Deena Jones gewann man Beyonce Knowles und damit einen aktuellen Musikstar und Teenie-Magneten.
Als zusätzlichen Popularitätsschub wählte man für die Rolle der molligen, anfänglichen Leadsängerin die „American Idol“-Finalistin Jennifer Hudson aus, die allein durch Bekanntheitsgrad und stimmliche Fähigkeiten etwas hermachte.
Und die Geschichte von Aufstieg und Fall wirkte wohl auch wie eine todsichere Sache: drei junge Mädchen, erst als Background verpflichtet, werden von einem findigen Manager schließlich als eigene Band vermarktet und steigen immer weiter in Ruhm und Ansehen.
Doch das Business hat seine Schattenseiten, je breitflächiger man das Publikum ansprechen will, desto mehr muß man seine Wurzeln verwässern: Effie kann sich mit der Hintergrundsrolle nicht anfreunden und steigt aus, Deena wird mit ihrem Sexappeal und ihrer unexzentrischen Stimme zur Popgöttin, der Sound jedoch ist nur noch nach der jeweiligen Mode ausgerichtet. Erfolg statt Kreativität, Gewinnstreben statt künstlerischem Ansehen.
Die erste Hälfte des Films ist dem Aufstieg gewidmet und kommt dementsprechend frisch und flott daher, ein zeitgemäßes und zeitgenössisches Tableau der 60er mit allen Schwierigkeiten rund um musikalische Rassenschranken. Der Bruch erfolgt in der Mitte und danach ist man nurmehr bemüht, das Schicksal zu meistern und die Scherben wieder zusammen zu kitten.
Doch alles in allem strahlt Condons Film nicht so stark und frisch, wie es „Chicago“ vor vier Jahren tat – woran liegt es?
Fangen wir mit dem Material an: „Dreamgirls“ hat viele gute Lieder, aber wenig davon bleibt längere Zeit hängen und kann auch gut noch auf dem Heimweg gesummt werden, eigentlich gibt es nur einen richtigen Ohrwurm.
Dann schreckt der Einsatz der Musik im Film viele Zuschauer ein wenig ab. Geht es am Anfang noch ausschließlich um die Musiknummern, die die Girls auf der Bühne singen, schwenkt der Film nach einer Weile um und lässt dann endlich entsprechend musicalgetreu auch normale Szenen und Gefühlsausbrüche singen, was hier aber manchmal übersteigert wirkt, weil die Musicalparts nicht so ironisch gebrochen sind wie in „Chicago“.
Zudem sind einige Musiknummern überlang, gerade in der zweiten Hälfte fühlt man sich ein bisschen „übersungen“, vor allem weil zu Beginn noch wesentlich stärker geschauspielert wurde.
Dann hat das Skript das wesentliche Problem, sich nicht an einer bestimmten Figur festzumachen. Effie, Deena, Curtis (Foxx) und Early (Murphy), jeder bekommt seinen Part zugeteilt, doch spielt sich gerade Effie bis zur Halbzeitmarke zunehmend in den Vordergrund, um dann für eine ganze Weile total fallen gelassen zu werden.
Foxx ist mit seiner gelackten Selbstsicherheit wie geschaffen für den eiskalten Manager, hält sich aber angenehm zurück, als wolle er Beyonce mit seiner Erfahrung nicht erdrücken.
Das tut er aber sowieso automatisch, denn die Sängerin kann sich in dieser Runde niemals behaupten.
Es ist schon ein künstlerischer Nadelstich sie in der Ross-Rolle zu casten; eine Frau, die zum Weltstar wird, weil sie die unaufgeregte hübsche Schnittmenge verschiedener Stile und Geschmäcker bedient. Knowles schafft es zwar problemlos, erst hübsch und später als eine Art Ikone auszusehen, doch das Skript gibt ihr nur wenig in die Hand, um es auch zu spielen, ihr schicksalhafter Erfolg wirkt hier wie eine Randnotiz, weil die Emotionen sowieso bei Effie liegen. Gleichzeitig wird immer wieder die Figur des James „Thunder“ Early ins Spiel gebracht, die nur wenig zum Plot beitragen kann, außer das es sich um die tragische Nebenrolle handelt, die jeder dieser Filme braucht.
Murphy wurde als klarer Oscarkandidat gehandelt, allerdings erschließt sich mir nicht, wieso.
Sicherlich, beizeiten spielt er seine wenigen Szenen endlich mal ernsthaft, aber sein Drogenkonsum wird nur zaghaft angeschnitten (vielleicht wollte da jemand sein Image nicht in Gefahr bringen) und letztendlich hätte jeder beliebige Darsteller dieses Bisschen Durchschnittsdrama so spielen können.
Eine Offenbarung dagegen die oscar-prämierte Jennifer Hudson, die spielt, als hinge ihr Leben von dieser Rolle ab. Und sie schafft als Einzige wirkliche Inspiration auf die Bühne zu bringen und noch dazu Tiefe in die Figur, von ihrer monumentalen Gesangsleistung mal abgesehen.
Dieses Waten im Trivialen ist aber auch eine Folge der Abgedroschenheit dieser Geschichte, die nur wenige Überraschungen bietet. Man kann sich denken, was alles noch passiert und die 15 Jahre umspannende Handlung bricht am Ende genau da ab, als es so richtig interessant wird und schließt mit einer träntreibend versöhnlichen Note.
Es ist einfach nichts Sensationelles in diesem Buch, was irgendjemandem die Hose wegreißen würde – „Dreamgirls“ bleibt aufrichtiges, gutes und gut gespieltes Kino, aber gerät niemals zu einer kleinen Offenbarung.
Da helfen weder die großartige Ausstattung, noch die zeitgemäßen Kostüme, der allgemeine Look und die Natürlichkeit des Geschehens – der Film bleibt gleich bleibend auf hohem Niveau, doch stets spürt man das Bemühen, die Absicht, den Willen zum Award.
Das heißt aber nicht, dass man nicht einen wunderbar beschwingten Abend mit dieser hervorragenden Produktion haben kann, sie ist ausgezeichnet – nur ein Feuer kann sie nicht entfachen. (7/10)