Kassengift sind Musicals im Allgemeinen eigentlich nicht, selbst bei begehrten Filmpreisen triumphieren diese Genrefilme mitunter groß auf. „Dreamgirls“ ist ein aktuelles Beispiel, das bei den Golden Globes gefeiert wurde und trotzdem im Zuge der 79. Oscar-Verleihung nur in den zu erahnenden Kategorien nominiert wurde – ganz im Gegensatz zu dem seinerzeit abräumenden „Chicago“. Dabei kann man aufgrund der Nominierungen schon ableiten, wo die faktischen Qualitäten von Regisseur Bill Condons Film liegen. Musik in allen Belangen, der Song braucht seine Sänger, die richtige Mischung rundet das Bild ab.
Musicals sind an sich schon Geschmackssache und werden nie Massen begeistern können. Der Grund liegt im Ursprung selbst. Das Ganze ist eine amerikanische Erfindung, die auf den Effekt abzielt. Dem Gesang liegen große Emotionen zu Grunde, der Ausdruck liegt im Tanz, den Kostümen und Bühneneffekten. Je aufwändiger und größer die Show ist, desto größer ist der Effekt. Das nennt man dann mit gutem Grund Kitsch – im negativen wie im positiven Sinn. Wesentlich ist dabei auch die Kommunikation, das gesprochene Wort wird zur emotionsgeladenen Musik. Genau genommen wird hier gesungen bis sich die Balken biegen, Dialoge, die im Film mehr oder weniger eine Schlüsselposition einnehmen, sind seltenes Beiwerk.
Wir nähern uns dem Problem. Musicals sind ein eigener Mikrokosmos, unter dessen Haube sich nicht jedermann wohl fühlt. Ich mag Dialoge, zwischenmenschlich problemgeladen oder mit philosophischem Charakter gesegnet. Musicals sind in dieser Hinsicht weltfremd, es wird dick aufgetragen, Gefühle werden per Gesang zum Ausdruck gebracht, ohne dass man das Gezeigte zwischenmenschlich in irgendeiner Weise mit realistischen Verhaltensmustern abgleichen kann. Die Show geht weiter. Es wird getanzt, die Kamera ist mittendrin, meist in Bewegung und vermittelt den unmittelbaren Eindruck am Geschehen involviert zu sein. Grelle Lichter, pompöse Kostüme und bunte Effekte vermitteln das Leuchten von Sternen, die allerdings im Kontext der Realität weit entfernt sind.
Auf dieser Ebene mag „Dreamgirls“ überzeugen oder nicht, der Rest ist ohnehin mehr oder weniger Staffage. Die Story ist auf eine Weise typisch amerikanisch, fast klischeehaft. Wir sehen den Aufstieg eines Musiklabels in den 60er Jahren. Curtis Taylor Jr. (Jamie Foxx) entdeckt die „Dreamgirls“ Effie White (Jennifer Hudson), Deena Jones (Beyoncé Knowles) und Lorrell Robinson (Anika Noni Rose) bei einem Talentwettbewerb und engagiert sich zunächst als Backroundsängerinnen für den etablierten Star James „Thunder“ Early (Eddie Murphy). Das Geschäft fordert seine Opfer. So werden die „Dreams“ Stars, aber die Gesetzmäßigkeiten fordern Opportunismus und Populismus. Effie wird als Sängerin wegrationalisiert, weil Deena Jones mehr dem Profil des Publikums entspricht. Jahre vergehen, der Erfolg bleibt auf Kosten von Eifersucht, Unmenschlichkeit und Korruption. Sterne steigen auf und fallen (mitunter sehr tief).
Große Effekte und Emotionen sind in „Dreamgirls“ vorprogrammiert. Aufstieg und Fall liegen dicht beieinander. Im Grunde ist die Story der beste Rahmen, um alle Mechanismen und Klischees des Musicals verweben zu können. Das latente Potenzial an Gefühlen muss natürlich erst einmal aktiviert werden. Das Sprachrohr ist die Musik und der Ausdruck die Darstellung. Glücklich kann sich jeder schätzen, dem beides gefällt. Gesungene Dialoge sind das befremdliche eine, aber trotzdem muss man die schauspielerischen Leistungen hervorheben. Vor allem Jennifer Hudson hat die Eloquenz oder aufgrund der fehlenden Worte wohl eher die Ausdrucksstärke, um Gefühle zu transportieren. Wenn da nicht das Grundproblem des Mikrokosmoses, den ein Musical impliziert, wäre, würde man sich von ihr sicherlich am meisten mitreißen lassen. Beyoncé Knowles ist in erster Linie sexy, dann Sängerin und zuletzt Schauspielerin. Das mag herabwertend klingen, für den ersten ernsthaften Versuch ist das Geleistete nicht schlecht, aber man merkt einfach den Unterschied zum restlichen Ensemble. Eddie Murphy überzeugt dagegen eher, mal weniger als Klamauknudel, mitunter verbittert und frustriert. Jamie Foxx spult, mit Ausnahme von Gesangseinlagen, sein Programm runter, was wegen des Grundtalents immer noch sehr gut ist, aber man von ihm schon besser gesehen hat.
Man sieht grundsätzlich vieles, was gar nicht schlecht ist. Das Gegenteil zu behaupten wäre gelogen. Die Gesamtheit muss aber überzeugen und wer mit dem Genre seine Probleme hat, wird früher oder später gelangweilt, wenn der vereinzelte Glanz verblasst. Everybody is singing - und das aus Sicht des Laien sehr gut. Allerdings springt der emotionale Funke selten über, wenn man sich nicht auf den musikalischen Ausdruck einlassen kann. Die Story ist überdies zu uninspiriert, um alleine überzeugen zu können.
Bill Condons „Dreamgirls“ bleibt trotz oberflächlicher Qualitäten schlichtweg ein Genrefilm, den Fans von Musicals sicherlich abfeiern können. Beyoncé Knowles trifft den Kern in einem der wenigen nicht musikalischen Dialoge mit Jamie Foxx: „Du verstehst etwas von Musik, aber nicht von Filmen“ – oder umgekehrt. (4/10)