Frankreichs Skandalregisseur Nr. 1, Gaspar Noe, lieferte schon 1998 mit seinem ersten Langspielfilm eine schwer erträgliche Psychostudie über einen Metzger, dessen Leben in einer unerbittlichen Abwärtsspirale gefangen ist: Die jugendliche Tochter im Heim, er selbst aus dem Gefängnis entlassen und sämtlicher Ersparnisse beraubt, an eine bösartige schwangere Freundin gebunden und permanent auf der verzweifelten Suche nach Arbeit und einer Winzigkeit Würde, staut sich in seinem Inneren immer mehr unerträglicher Hass auf seine Mitmenschen und die Gesellschaft.
Von den bildgewaltigen formalen Experimenten späterer Werke (man denke an „Irreversibel" oder „Enter the Void") ist „Menschenfeind" noch weit entfernt, auch wenn Kamera und Schnitttechnik immer wieder mit aufwendigen Fahrten und Einstellungen oder mit Knalleffekten unterlegten Cuts Akzente setzen. Hier stehen das Verhalten und vor allem die Gedankenwelt der Hauptfigur, die permanent durch den Ich-Erzähler aus dem Off eingesprochen wird, im Mittelpunkt. Und die sind durch und durch erschreckend: Mit einer nihilistischen Verneinung aller Lebensfreuden schleppt sich der Metzger durch ein Leben, dessen er schon lange überdrüssig ist und das ihm immer wieder Erniedrigungen, Enttäuschungen und Beleidigungen bietet. Die enorm ambivalente Figur dieses scheinbaren Durchschnittstypen aus der Unterschicht ist dabei das Zentrum des Films, das sämtliche Nebenfiguren höchstens episodenweise auftreten lässt und so inhaltlich und philosophisch den uneingeschränkten Schwerpunkt setzt.
Ambivalent ist diese Figur wegen ihrer extrem widersprüchlichen Wirkung auf den Zuschauer: Einerseits sind seine Gedanken, Ansichten und Handlungen so widerwärtig, dass man ihn unmöglich als Sympathieträger ansehen kann. Homophobie, Sexismus, Rassismus und lächerlich gesteigerte Überzeugung von sich selbst machen ihn zu einem abstoßenden Charakter, der mit seinen tabulosen Gedanken ebenso schockiert wie mit seinen brutalen Taten - wenn er etwa seine hochschwangere Freundin dermaßen zusammenschlägt, dass sie höchstwahrscheinlich ihr Kind verliert, oder sich von seiner ins Heim abgeschobenen Tochter sexuell angezogen fühlt.
Auf der anderen Seite zeigt der Film auch gnadenlos, in welchem Milieu ein solcher Charakter erst so deformiert wird - Armut, Grausamkeit, Ausbeutung sind alles, was er sein ganzes Leben lang kennt. So ganz nebenbei wird anfangs erzählt, wie er als Kind sexuell von einem christlichen Erzieher missbraucht wurde - selbst die angeblich wichtigsten Institutionen können ihn also nicht schützen, nutzen ihn im Gegenteil erbarmungslos aus. Auch in der kapitalistischen Arbeitswelt geht das so weiter: Herablassung und Verachtung nicht etwa für seine Handlungen und Denkweisen, sondern für seine pure arme Existenz schlagen ihm entgegen und tragen so sicherlich zur Radikalisierung seiner Gedankenwelt bei. Das ist zu keinem Zeitpunkt eine Entschuldigung für seine Taten, aber durchaus eine radikal düstere Erklärung dafür, wie manche Menschen zu ihrem finsteren Weltbild kommen können - wer nur Gewalt und Zynismus kennt, wird wohl gewalttätig und zynisch werden. Hinzu kommen die nicht weniger abstoßenden oder seltsamen Nebenfiguren - nicht einen positiven Charakter gibt es hier. Selbst die stumme Tochter verhält sich auf sehr irritierende Weise die Avancen ihres Vaters noch verstärkend. Und die scheinbare Folgenlosigkeit seiner tatsächlich verachtenswerten Taten unterstreicht die Morallosigkeit der Umwelt noch.
In gelbstichigen, grobkörnigen Bildern fängt „Menschenfeind" diese verkommene Gesellschaft ein, in der einzig das Recht des Grausameren zu herrschen scheint. Die Bildästhetik trifft den Ekel brillant, den die Welt dem Protagonisten einflößt - es dauert nicht lange, bis einem auch als Zuschauer ein wenig schlecht wird. Und das nicht etwa wegen harter Bilder (die gibt es nur zum Schluss), sondern wegen der rabiat nihilistischen Verneinung sämtlicher Lebenswerte. Diese dreckige Welt lässt nicht das geringste Quäntchen Hoffnung übrig. Nicht für arme, von der Gesellschaft ausgestoßene Menschen.
Die eingeblendeten Texttafeln, allen voran die Warnung gegen Ende, man könne den Film noch abbrechen, wirken ein wenig selbstverliebt - so blutig-grausig die glücklicherweise nur imaginierte Eskalation auch bebildert ist, hartgesottene Zuschauer kennen sicher auch noch Schlimmeres. Dennoch kann vor dem heftigen Ende gewarnt werden, auch wenn das eigentlich Erschreckende elegant nur angedeutet wird. „Menschenfeind" ist ein filmischer Schlag in die Magengrube, eine konsequente Absage an alles Pathetische und Lebensbejahende, das bei aller Grausamkeit einen durchaus ernstzunehmenden Blick auf eine dreckige, menschenunwürdige Gesellschaftsordnung wirft. Ein Film, der die Frage nach dem Verhältnis zwischen individueller Eigenverantwortung und Hilflosigkeit einem übermächtig-menschenverachtenden System gegenüber mit seltener Eindringlichkeit stellt. Und den man garantiert nicht so schnell wieder vergisst.