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Eine interessante Prämisse scheitert beinahe an ihrer Unwahrscheinlichkeit: Im Knast wird das Talent einer jungen Pianistin entdeckt und gefördert. Bei allen erdenklichen Resozialisierungsmaßnahmen ist das fast so plausibel wie dort den kommenden Weltmeister im Skiweitsprung auszubilden.

Aber das Klavier steht nun mal da im Frauenknast in Luckau, Brandenburg. Die achtzigjährige Klavierlehrerin Traude Krüger (Monica Bleibtreu) entdeckt die Talente der rebellischen und aggressiven Jenny (Hannah Herzsprung), die sie für einen Talentwettbewerb vorbereiten will. Doch die unterschiedlichen Damen kämpfen zunächst auf ebenso unterschiedlichen Ebenen…

Klischees bei Knastfilmen zu umschiffen, hat sich schon häufig als schwierig erwiesen, doch hier gelingt es weitgehend, indem sich das Geschehen hauptsächlich auf die beiden Hauptfiguren konzentriert. Als Jenny eines Morgens in ihrer Zelle erwacht, findet sie die Leiche einer Zellengenossin und durchsucht diese seelenruhig nach Zigaretten. Einen Wärter schlägt sie im Wahn krankenhausreif und ihre Wortwahl zielt beim kleinsten Zwist unter die Gürtellinie, - ein wahrer Sonnenschein. Aber auch mit Trude wird man erst nach einiger Zeit warm, welche übermäßig auf Etikette achtet und keinen Blick hinter die meist eiserne Fassade erlaubt.

Erst im Verlauf werden kurze Flashbacks eingestreut, die Trudes Vergangenheit zur SS-Zeit veranschaulichen, wogegen man zu wenig von Jennys Vorgeschichte erfährt. Zwar werden einige Details der Vergangenheit erwähnt, doch ein rundes Bild wird zu keiner Zeit abgeliefert. Demgegenüber bietet das Zusammentreffen der ungleichen Damen regelmäßig Stoff für emotionale Extreme, während das Klavierspiel, vorzugsweise mit Stücken von Schumann, Beethoven und Mozart als Ventil dient. Oder generell als Chance für gescheiterte Existenzen, um am Instrument ans Limit zu gehen.

Diesbezüglich offenbaren die titelgebenden Minuten im letzten Drittel, wie mitreißend ein Vortrag am Klavier ausfallen kann, wenn eben nicht nur die gewöhnlichen Tasten bedient werden. Etwas mehr von dieser Leidenschaft hätte dem Stoff im Vorfeld gut getan, denn die emotionalen Spitzen schimmern nur allzu selten durch, zumal die Geschichte mit zu vielen Unterthemen phasenweise ein wenig überladen daherkommt Aspekte wie NS-Zeit, Missbrauch oder Kindstod werden zu oberflächlich abgearbeitet, um bis ins Mark zu berühren.

Wobei den großartigen Hauptdarstellerinnen beileibe kein Vorwurf zu machen ist. Bleibtreu performt mit einer ungeheuren Präsenz und liefert in den entscheidenden Momenten überaus nuanciert ab, während Herzsprung mit gewissem Mut zur Hässlichkeit von Kopf bis Fuß zu überzeugen vermag. Wenn in den raren Momenten doch mal ein leichtes Lächeln auszumachen ist, nimmt man ihr das umso mehr ab. Aber auch die Nebendarsteller sind mit Leuten wie Richy Müller, Sven Pippig oder Vadim Glowna sehr gut und treffend besetzt.

Das Melodram von Regisseur Chris Kraus bestreitet seinen inszenatorischen Höhepunkt definitiv während der titelgebenden Minuten, denn ansonsten kommt das Klavierspiel nur selten über Standard hinaus. Einige Konflikte brodeln eher an der Oberfläche, manche werden gar nur angedeutet, wodurch einiges an Potential liegen gelassen wird. Dennoch ein nicht uninteressantes Werk über Gegensätze, emotionale Herausforderungen und die Freiheit, in einer eingeschränkten Situation alles in die Kunst zu setzen.
6,5 von 10

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