Da ist sie wieder. Die schöne, heile Welt hinter weißen Gartenzäunen amerikanischer Vorstädte. „Little Children“ nennt sich die Demontage der behütenden Vorstellung. Ein Erzähler liest nüchtern und stoisch die Gedanken jener Protagonisten, deren Geschichten später verwoben werden. Gleich zu Beginn sehen wir Uhren ticken. Sie stehen sinnbildlich für den gelebten, dogmatischen Rhythmus in diesem Mikrokosmos. Am Spielplatz, wo sich die Mütter jeden Tag über andere austauschen, wird unter allen Umständen zu einem festen Zeitpunkt gegessen. Alles hat seinen Sinn und Unsinn.
Sarah (Kate Winslet) passt gar nicht zu diesen Mamis. Die gehörten Gedanken verraten sie. Das Getratsche im spießigen Rahmen langweilt. Gesprächsthemen sind andere Leute, beispielsweise Brad (Patrick Wilson), der immer wieder mal auftaucht und alle Köpfe verdreht. Er ist Hausmann, weil Ehefrau Kathy (Jennifer Connelly) mit Dokumentarfilmen das Geld nach Hause bringt. Eines Tages kommt der Zeitpunkt, an dem es passiert – Sarah und Brad reden und gehen einen Schritt weiter, um die Mütter zu konsternieren. Eine Umarmung und ein spontaner Kuss sorgen für den nächsten Skandal, nach dem der zu seiner Mutter gezogene Pädophile Ronald James McGorvey (Jackie Earle Haley), vorher die Massen in der heilen Welt verängstigte. Wir lesen bzw. hören wieder die Gedanken.
Langsam wird deutlich, dass „Little Children“ hier nicht nur als Titel steht. Sarah und Brad sind unglücklich aufgrund der Vernachlässigung durch ihre Partner und der Gefangenschaft in dieser Welt, die augenscheinlich alles reguliert. Der Akt des Küssens war eine Befreiung und drückte mehr denn je aus, nach was sich die Protagonisten sehnen. Kindliche Bedürfnisse: Liebe, Aufmerksamkeit und Zuneigung. McGorvey geht es ähnlich, er ist der stigmatisierte Verurteilte, kann sich nicht blicken lassen und saugt die lobenden Worte seiner Mutter genussvoll in sich hinein. Sein schlimmster Gegner, Ex-Polizist Hedges (Noah Emmerich), trauert indessen seinem Job hinterher und jagt in der Freizeit die pädophile Bedrohung, um sein Fehlverhalten von damals, als er irrtümlich einen kleinen Jungen erschossen hat, zu vergessen. Verzweiflung und Unzufriedenheit breitet sich aus in diesem Vorort, der irgendwo umrandet von Unschuld vermittelnden, weißen Gartenzäunen steht.
Die Parallelen werden immer deutlicher. Brad spielt mit Hedges in einer Abend-Football Liga, Hedges jagt McGorvey und Sarah trifft sich mit Brad jeden Tag im Schwimmbad, um die Zuneigung füreinander pflegen zu können. Alle wollen Aufmerksamkeit, Liebe und Freiheit – von Schuld, Spießigkeit und eigener Sehnsüchte. So nimmt die Sache ihren Lauf. Es funkt unter der Dunstglocke. Kräfte werden frei, weil die Protagonisten handeln. Brad und Sarah leben heiße Liebe, Hedges jagt erbittert, um später einsehen zu müssen, was ihn wirklich plagt. Im schwermütigen Schluss treibt McGorvey, der hier erfreulicherweise nicht als bemitleidenswertes Opfer der Gesellschaft dargestellt wird, die Erlösung auf die Spitze. Konträr dazu steht das Bedürfnis der Protagonisten ein augenscheinlich normales Leben in diesem Mikrokosmos (weiter-)zuführen.
Regisseur Todd Field inszeniert die Geschichte genauso subtil, dass sie mitreißen kann. Schnelle oder harte Schnitte, ein sich nüchtern aber eloquent äußernder Erzähler und sonstige Finessen verbinden sukzessiv die roten Fäden im Leben der Hauptpersonen. Verstärkt wird die Wirkung durch die glaubwürdigen Darsteller hinter den Charakteren.
Es dreht sich direkt oder indirekt viel um „Little Children“, die Auswege aus dem Hier und Jetzt suchen und dennoch nicht problemlos flüchten können. Ganzheitlich ist das skurril, interessant, harmonisch und vor allem eindringlich. (9/10)