Wer dreimal lügt, dem glaubt man nicht. Erotikmodel Catherine rennt nun schon zum zweiten Mal diese Woche durch die Nacht zum Polizeirevier, um völlig entgeistert anzugeben dass sie gerade vergewaltigt wurde, und um mit dem Kommentar „Zweimal in einer Woche das gleiche Erlebnis ist doch wohl unwahrscheinlich, oder?“ wieder nach Hause geschickt zu werden. Catherine ist, wie es der Fotograf J.B. so nett ausdrückt, eine Mythomanin. Eine, die Geschichten erfindet und sich damit interessant machen will. Aber seit diesem nächtlichen Fotoshooting auf dem Friedhof geschehen merkwürdige Dinge. Das Telefon klingelt und niemand ist dran. Und wenn doch, dann sagt eine verzerrte Stimme hässliche Dinge. In ihre Wohnung versucht jemand einzudringen, und der nette Nachbar Nicolas, der ihr gerne hilft, wird anschließend überfallen und niedergeschlagen. Könnte das mit Catherines Ex-Lover Ludovic zusammenhängen, einem Drogensüchtigen, der Catherine zunehmend um Geld und Sex bedrängt? Oder hat J.B. vielleicht begonnen, seine schlechte Laune anders als nur mit Schlägen und Vergewaltigungen rauszulassen? Denn plötzlich geht ein Mörder um und räumt in Catherines Umfeld blutig auf. Und die Polizei ist mit dem Wohlergehen eines Diplomaten viel mehr beschäftigt als mit dem Wohlergehen einer kleinen verlogenen Fotonutte …
Prinzipiell ist LE COUTEAU SOUS LA GORGE erst mal nichts anders als ein Giallo: Ein behandschuhter Mörder der vorwiegend auf Damen losgeht, eine Hauptfigur der niemand glaubt, der ein oder andere rote Hering (was allerdings aufgrund der überschaubaren Personenzahl recht schnell ins Leere läuft), ein Appartementkomplex in dem merkwürdige Dinge geschehen, ein inkompetenter Kommissar … Das alles eingebettet in wunderschön fotografierte Bilder und eine mysteriöse Grundkonstellation mit sexy Frauen und unsympathischen Arschlöchern. Womit sich LE COUTEAU SOUS LA GORGE allerdings gegenüber seinen italienischen Mitbewerbern abhebt, das ist diese eiskalte und bittere Stimmung. Kaum ein Charakter der nett ist oder dem man gar Vertrauen schenken könnte. Jeder hat nur seinen Vorteil im Sinne, und ist gewillt, sich diesen Vorteil durch Einsatz von Gewalt und Gemeinheiten bedingungslos zu sichern. Eine Figur wie Florence, Catherines Freundin, ist zwar grundlegend positiv konnotiert, bleibt aber so blass und in sich gekehrt, dass der Zuschauer gar nicht erst versucht, seine Sympathie für sie zu verschwenden. J.B. wiederum ist ein gewalttätiges Schwein, der sich den Sex mit seinen Models mit Gewalt einholt. Und die Managerin(?) Valérie weiß um J.B.s Neigungen, aber weil er ein guter Fotograf ist holt sie halt doch immer wieder ihn. Bezeichnend die Szene, wo Florence sich auf einem Abbruchgelände ausziehen soll (bei sichtlichen Minusgraden), und J.B. einem Landstreicher Geld gibt, damit er sich auf dem Bild mit Florence‘ Brüsten verlustiert, während Valérie daneben steht und was von Geschäften faselt. Fast wie im wirklichen Leben …
Selbst die Hauptdarstellerin Catherine ist als sogenannte Mythomanin erstmal keine reine Sympathiefigur, wissen wir doch auch nicht, ob die Geschichte mit den drei Männern, die sie vergewaltigen wollten, wahr ist oder erfunden. Ob Catherine krank ist, ob sie nach Aufmerksamkeit heischt, oder ob das vielleicht doch stimmt was sie da phantasiert. Oder wie sind Catherines Träume zu verstehen?
Einzig Nicolas ist nett. Nicolas schaut gut aus, Nicolas ist da wenn man ihn braucht, und Nicolas scheint auch kein halbverrückter Psychopath zu sein. Umso schlimmer, dass Nicolas auf der persönlichen Abschussliste des völlig durchgeknallten Ex-Lovers Ludovic steht, denn Catherine gehört ja ihm ihm ihm, und sonst niemandem …
Man merkt schon, LE COUTEAU SOUS LA GORGE ist rein menschlich gesehen allerunterste Schiene. Das Ganze ist im Winter angesiedelt, der sein bitterkaltes Lied passend zur Stimmung singt, und der damit die sowieso schon frostige Atmosphäre gleich nochmal um ein paar Grade herunterkühlt. Claude Mulots letzter Film ist weit weg von aller Fleischeslust und von aller (vermeintlichen) Wärme die er sonst so oft inszeniert hat. Hier regieren Zynismus und Hass, sind Gier und Gewalt die vorherrschenden Merkmale. Als ob er seinen nahen Tod spürte (Mulot ist noch im gleichen Jahr ertrunken), oder als ob er nach den menschelnden 70ern, in denen die Masse seiner Regiearbeiten stattfand, in den kühlen und durchgestylten 80ern seinen persönlichen Kommentar dazu abgeben wollte, dass ein so talentierter Regisseur fast sein gesamtes berufliches Leben mit dem Dreh von Hardcore-Filmen fristen musste.
Aber das ist natürlich Spekulation. Fakt ist, dass LE COUTEAU SOUS LA GORGE kein überwältigender Film ist, denn dafür geht ihm tatsächlich die Leidenschaft ab. Es fehlen die Doppelbödigkeit und der Rausch, der die italienischen Gialli so unwiderstehlich gemacht hat, und ihm fehlt auch die Bosheit der Handlung der Gialli aus den 80er-Jahren, die er lieber durch Gemeinheiten der Charakter untereinander ersetzt. Ein paar Mal die nackte Florence Guérin, Brigitte Lahaie bis auf eine kurze Szene in der Badewanne durchgehend angezogen, und die Geschichte zwar etwas sprunghaft erzählt, aber im Wesentlichen immer straight forward – Wieso ist da trotzdem das Gefühl, dass der Film so ausgesprochen sleazig ist? Dass man sich bei aller gezeigten klinischen Reinheit hinterher waschen möchte, den Schmutz runterrubbeln mag? Kommt dieser Schmutz aus den gezeigten Abgründen der dargestellten „Menschen“?
Nein, ein Meisterwerk ist LE COUTEAU SOUS LA GORGE sicher nicht, aber als böser und kalter Thriller, der geistig flache Menschen in eine graue Umgebung setzt und untersucht, wieviel Bosheit dabei entstehen kann, als ein solcher Film taugt er sehr wohl. Aber man muss sich als Zuschauer halt klar darüber sein, dass die warme italienische Sonne dem kalten Pariser Winter Platz gemacht hat, der mit seiner Eiseskälte alles und jeden durchdringt, und dass menschliche Gefühle nicht nur Liebe und Leidenschaft sein können, sondern auch Hass, Ignoranz, und die Sehnsucht nach dem Tod. Anderer Menschen …