Review

Wie leicht es doch ist, einen Film wie "Zodiac" nicht zu mögen.
Hier muß der Zuschauer nur die Sinnfrage stellen, dem Grund für die Produktion nachspüren, alles auf Liebhaberei und Eitelkeiten schieben.
Denn gehst du zum Serienkiller, dann näherst du dich aus der Sicherheit der eigenen vier Wände, dem gemütlichen Winkel, den Abgründen der menschlichen Seele, der Psychologie, der Sexualität, den eigenen dunklen Seiten, du willst ihn jagen, fangen, töten, besser sein als er, sicher sein, dir bewußt sein, daß du lebendiger, gesünder, reiner bist, dich selbst im Griff hast.
Und dann kommt David Fincher und bläst dieses ganze Konstrukt in die Luft: zweieinhalb Stunden Film über die Jagd auf einen Serienmörder, der nie gefangen wurde, den man nie eindeutig identifizieren konnte, dessen Motive und Neigungen im Dunkel blieben, ein spekulatives Konstrukt, das in der Zeit und in der noch nicht weit genug entwickelten Kriminaltechnik verloren ging.

"Zodiac" ist sicherlich ein Liebhaberstück David Finchers, aber es ist kein Serienkillerfilm, wie wir ihn kennen und wenn es einer ist, dann ist er sein negatives Spiegelbild. Zwar beinhaltet er alle Elemente, die dem Publikum bekannt und beliebt sind: ein Mörder, Brutalität, Polizisten, Journalisten, Ermittlungsarbeit, Recherchen, Verdächtige, aber daraus entsteht kein Thriller, sondern das was die Amerikaner gern ein "period piece" nennen, ein Film, der eine gewisse Episode, eine Periode in der Geschichte abbildet, weit genug weg, um Historie zu werden, aber nah genug, um sich selbst ggf. noch daran zu erinnern.
Sein Film umspannt über 20 Jahre, der Kern immerhin noch knapp 15, von 1968, den (anscheinend) ersten Taten bis zum mehrmaligen Aufnehmen und Wiedereinstellen der Ermittlungen. Fincher sieht seinen Figuren aus der Geschichte nicht in den Kopf, er versucht sie abzubilden, wie sie in der Realität gewirkt hätten und er bewegt sich an bekannten Rollenmustern gekonnt vorbei.

Nirgends ist hier die übliche Verhaftung zu sehen, keine überraschende triumphale Decouvrierung, keine sensationelle Entschlüsselung der komplizierten Codebilder, die der Mörder schickt - "Zodiac" ist bar jeder Überspitzung, er folgt einer Gruppe von Leuten durch ein Jahrzehnt, beiläufig, aber dennoch aufmerksam und stenographiert mit, was darüber bekannt ist oder war. Die Variablen hält er relativ kurz, kleinere Freiheiten bei den Ermittlern, aber Verzicht auf die Ereignisse eines Mordes, bei dem es keine Zeugen gab, die davon hätten berichten können.

So entsteht in den Figuren und im Zuschauer das gleiche Verwirrspiel, das über die wahre Natur des Mörders (oder sind es mehrere?) nie vollkommen Aufschluß gibt. Nie aus der Nähe, meist aus der Halbdistanz, wirkt der Täter mal groß, mal normal gewachsen, mal dick und massig, mal psychisch angeknackt, mal kaltblütig brutal. Kein Mord paßt zum anderen und die Vorgehensweise, die immer wieder differieren, machen alles nur noch rätselhafter, so daß sich die Lösungsansätze und die möglichen Täter wiederkehrend abwechseln.

Ähnlich geht Fincher mit den historischen Figuren auf der Spur des Täters um: beinahe dokumentiert er nur Ereignisse, entwirft kurze Vignetten, aus denen (plus die zeitlichen Einblendungen) man sich die Entwicklungen der vergangenen Jahre zusammenreimen muß.
Die Polizisten Toschi und Armstrong sind dabei niemals Übermenschen, sondern ganz gewöhnliche ermittelnde Beamte mit furchtbar normalen Fähigkeiten, die an der Masse und der Komplexität des Falls scheitern, der sich auf mehrere Zuständigkeitsbereiche verteilt. Armstrong steigt irgendwann aus, Toschi wird zum Gezeichneten, der selbst in Verdacht gerät, den Fall mit einer Brieffälschung wieder aufgewärmt zu haben. Mark Ruffalo und Anthony Edwards sind dafür die richtigen Darsteller, relativ normale Gesichter mit gewöhnlichen Leben, die an Kleinigkeiten in der großen Summe scheitern müssen. Robert Downey jr.muß mit dem Kriminalreporter Paul Avery noch typischste Figur spielen, der zynische Journalist, der erst vom leisen Rum besoffen wird und später nur noch besoffen ist, weil er die Jagd an sich ablehnt. Dagegen ist Jake Gyllenhaals Robert Graysmith, der Karikaturist, der sich später mehr und mehr mit dem Fall auseinandersetzen wird, bis es seine zweite Ehe auch noch zerstört, ein geradezu sauber gewienertes Enigma, der mit der Bezeichnung "Pfadfinder" im Film treffend beschrieben wird. Ohne Notwendigkeit steigert er sich über die Jahre mehr und mehr in den Fall, bis er zum einzigen Jäger des Mörders wird, um später an den gleichen Klippen zu zerschellen, wie die Beamten.

Derweil nutzt Fincher das Potential der potentiellen Täter mehr als geschickt: er präsentiert den Mörder scheinbar mehrfach auf dem Silbertablett, aber nie kann jemand den Sack zumachen. Alles deutet auf Arthur Leigh Allen, der in einer der intensivsten Szenen des Films ein Verhör gegen drei Beamte bestreitet und praktisch jede Spur selbst aufzählt, aber nicht festzunageln ist. Der Zuschauer wird sich an dieser Figur festbeißen, obwohl er sie im weiteren Film nur noch einmal kurz für ein paar Sekunden zu sehen bekommt, ähnlich wie die Beamten selbst. Stattdessen gerät Graysmith am Ende, als eine echte Spur zu haben scheint, plötzlich in eine Situation, die alles über den Haufen zu werfen scheint und ihn selbst in Todesgefahr bringt - aber auch hier gibt es nichts Schlüssiges, nichts Endgültiges - am Ende gerät der Zodiac-Fall zu einem Mysterium wie dem vielbeschriebenen von Jack the Ripper.

So fährt Fincher gegen den Strich, gegen die Erwartungen, gegen die Erfahrungen und destilliert doch eine unbewußte Spannung aus dem Film heraus, denn so unsicherer der Fall wird, desto mehr setzt sich im Zuschauer das Verlangen nach Auflösung, Aufklärung, nach Erlösung fest, um so eher ist man bereit, Graysmiths Fanatismus bis in den rumpelnden Keller zu folgen, der der Hort seiner Alpträume werden könnte, nur durch einen einzigen gesprochenen Satz. Hier gibt es keinen Blick mehr von außen, aus dem sicheren Winkel, hier nähert man sich den Figuren nicht nur an, man zieht gleich, weil man nicht so sonderlich anders, nicht so bewußt skizziert ist, sondern einfach der vom Rätsel faszinierte Mensch - kein Storykonstukt, das einen narrt, sondern ein reales Rätsel, für das es keine Lösung (mehr) gibt. Und in diesem Moment wird die Frustration, der Wahnsinn und die Hilflosigkeit intensiver spürbar, als in jedem anderen Storykonstrukt, das eine Auf- und Erlösung bietet.

Und den finalen Pinselstrich gibt Fincher mit seinem Team dem Film mit, indem er ihn wie einen Film aus den 70ern wirken läßt. Die Zeiten sind vorbei, es gelten optische Effekte, schnelle Schnitte, Hektik, Rasanz, Lautstärke - doch hier kommt ein Film, der so kühl und präzise geschnitten und inszeniert ist, wie es nur geht, um eine Epoche nachzustellen. Leichte Summer-of-Love-Motive werden ebenso spürbar, wie die weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen am Rande mitlaufen - in einer pikant-komischen, aber sehr intensiven Szene finden sich Graysmith und Toschi zufällig beide im gleichen Kinosaal wieder, während "Dirty Harry" läuft, ein Film, der dem Zodiac-Fall praktisch nachempfunden wurde, zumindest was die Figur des Killers angeht.
Für Filmfans älterer Werke ist "Zodiac" ein gefundenes Fressen, so detailverliebt stellt Fincher die Zeit und die Aufnahmetechniken, die Bilder, Farben und Kameraschärfen nach. Wenn in einer Szene (bei dem Mord an dem Taxifahrer) die Beamten das Auto untersuchen und der Nachthimmel eine leuchtende Tönung annimmt, bei dem nicht klar ist, ob es die Reflektionen der nächtlichen Stadt sind oder ein beginnendes Morgenrot, schwitzen die 70er aus allen Poren, das konnte sich so momentan nur noch Fincher leisten, keine Konzessionen an den Zeitgeschmack.

Und so mußte der Film scheitern: nicht wegen zu hohen oder zu niedrigen Anspruchs, sondern weil das Kino inzwischen sehr funktionell geworden ist, vorgeformt und meistens unflexibel. Aus "Zodiac", der praktisch eine Spieldokumentation sein könnte, muß jeder seine eigene Wahrheit herausfiltern, eine Theorie entwickeln, aber das erfährt man nur, indem man die ganze Reise mitmacht, die intensiver und spannender ist, weil sie eben nicht vordergründig ist, sondern so unspektakulär, daß man das für einen Affront gegen das Publikum halten könnte. Doch so setzt man sich mit den Figuren auf eine Linie, man sieht ihnen nicht zu, man wächst mit ihnen. Und der Rausch ist nie oberflächlich, sondern subkutan treibend. Die Grenzen verwischen, Realität wird als Spiel dargestellt oder Spiel als realistischer Report, schlußendlich ist das egal. Und wer sich nicht öffnet, kann nicht anders als mit den Schultern zu zucken.
Wer Glück hat, hat sich davon im Laufe des Films gelöst. Und fühlt!
Fühlt sich großartig an. (8/10)

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