Endlich die Gelegenheit, einen Fincher auch auf der großen Leinwand zu bewundern! Tja, dabei macht gerade Zodiac gar nicht so viel Gebrauch der audiovisuellen Spielereien, die Finchers bisherige Filme kennzeichneten.
Fincher scheint sich von seinem Musicclip-Erbe lösen zu wollen. Oder aber er hat einen aufwendigen und abgefahrenen Stil dem dokumentarischen Charakter seines neuesten Werkes nicht antun mögen. Wie dem auch sei, der Zuschauer bekommt hier einen visuell wie auch auditiv eher bodenständigen, aber äußerst stimmigen und runden Film, der dafür inhaltlich umso mehr zu knabbern gibt. Denn Fincher nimmt sich der Geschichte des Zodiac-Killers, der ab den frühen 70ern sein Unwesen in San Francisco trieb, nicht etwa in Form eines harten Copfilms à la Dirty Harry (der in diesem Film einen Gastauftritt hat und merklich auf den dargestellten Geschehnissen basiert) noch eines nervenzerfetzenden Psychospiels à la Sieben an, sondern geht das Material mit aller gebotenen Vorsicht an. Das heißt: möglichst wenig Faktenveränderung (nicht etwa den Film in ein mainstreamtaugliches Muster pressen), aber dabei die größtmögliche Unterhaltung.
Das Konzept macht sich zugleich an der Überlänge des Films bemerkbar, die allerdings keineswegs in Langeweile ausartet. Dazu versteht Fincher sein Handwerk zu gut: Die Bilder sind natürlich, aber mit künstlerischem Geschick gewählt, das 70er-Setting, in dem der Film zum größten Teil spielt, glaubwürdig und interessant (sodass die Optik insgesamt wirkt wie die damalige Zeit mit heutigen Möglichkeiten gedreht, dabei aber homogen bleibt), die Songauswahl wieder einmal sehr gelungen und die Dialoge, die einen Großteil der Laufzeit ausmachen, treffsicher und pointiert. Generell bemüht sich der Regisseur, bekannte Szenenabläufe und Redewendungen zu modifizieren oder ganz zu umschiffen, sodass man selbst in Szenen, von denen man meint, so schon x-mal gesehen zu haben (so z.B. die Auftritte des Killers) zumindest frischen Wind verspürt, wenn nicht gar erschreckt bei einem Schock, den man eigentlich hätte kommen sehen müssen, aber so doch nicht erwartet hat.
Zu den Schauspielern gibt es ähnlich Gutes zu sagen. Obwohl die Charaktere wegen des große Zeitrahmens der Geschichte und der daraus resultierenden Sprünge kommen und gehen, vermag es jeder Darsteller, seiner Person ein markantes Auftreten zu geben, dass dabei aber nie so überzogen markig wirkt wie etwa Clint Eastwood als Calahan, sondern stets realistisch, das heißt immer wieder zurückhaltend, fehlerbehaftet und doch sympathisch. Besonders Robert Downey Jr. als alkoholabhängiger Redakteur, der wegen seiner Nachforschungen zur Zielscheibe des Zodiac-Terrors wird oder Mark Ruffalo als Detective, der auf der Spur des Killers immer wieder in einer Sackgasse landet, sind hervorzuheben. Die einzige Konstante in diesem Film ist der Karikaturist Robert Graysmith, der als eigentlich Außenstehender (er zählt in seiner Redaktion als der schüchterne Sonderling) auf die verschlüsselten Codebotschaften des Killers anspringt, die dieser an die Zeitungen San Franciscos verschickt, und sie zu lösen versucht. Das Interesse wird zur Obsession, und auch wenn die Polizei aufgibt, bleibt er am Ball und verfolgt den Killer. Jake Gyllenhaal (Donnie Darko, Jarhead) passt in seiner ruhig, verträumt, aber auch strebsam wirkenden Art gut in die genauso gestrickte Rolle Graysmiths und überzeugt durchweg. Sein geordnetes, ja fast mustergültiges Leben gerät im Laufe seiner Untersuchungen immer mehr aus den Fugen; das vormals so aufgeräumte Haus verkommt zu einem überfüllten Archiv verschiedenster Akten über Zodiac, seine Familie bricht fast auseinander und des Nachts erreichen ihn seltsame Anrufe einer schwer atmenden Stimme.
Das größte Chaos jedoch - und hier kommen wir zum Clou des Films - scheint in seinem Kopf zu herrschen. Denn da der gewitzte Killer immer wieder die Raster bricht, in die man ihn vorher eingeordnet hatte und nahezu keine Spuren hinterlässt, müssen die Verfolger auf Indizien zurückgreifen. Doch diese bilden einen wahren Dschungel aus Anhaltspunkten und einander widersprechenden Thesen, die jedes Mal trotz großer Erfolgsaussicht in einem enttäuschenden Nichts versinken. Graysmith dringt noch tiefer als jeder andere in dieses unüberschaubare, labyrinthartige Dickicht vor und entwickelt Schlüsse und Zusammenhänge, die auch den Zuschauer durchaus logisch und wahrscheinlich erscheinen, jedoch im Gespräch mit anderen Charakteren oder in der genaueren Nachforschung wieder auseinanderfallen. Jeder im Film hat eine andere Meinung und Einschätzung des Zodiacfalls, immer wieder müssen sich Graysmith und der Zuschauer sich neu orientieren und Fuß fassen.
Keine leichte Aufgabe für einen Regisseur, diesen Wust verschiedenster Informationen, die ständig nur Enttäuschung hervorrufen, so zu präsentieren, dass der Zuschauer nicht völlig überfordert wird und - besonders wichtig - trotz steter Rückschläge immer in Spannung gehalten wird; doch Fincher vollbringt sie. Denn man kann sich - dank Gyllenhaals schauspielerischer Leistung - gut mit Graysmith identifizieren und folgt ihm so gespannt von Spur zu Spur. Außerdem lässt Fincher es sich nicht nehmen, sein Talent für den Aufbau höchster Spannung spielen zu lassen und dem Zuschauer vor allem in den eher spärlich gestreuten Mordszenen Schrecken einzujagen. Im Gedächtnis aber bleibt besonders eine Szene, in der Graysmith in der Nacht allein zu einem möglichen Freund des Killers fährt und sich herausstellt, dass nach den derzeitigen Indizien dieser Freund selbst der Killer sein muss. Daraufhin bittet ihn dieser Mensch, mit ihm hinab in den Keller zu steigen - wer den Film gesehen hat, kann bestätigen, wie meisterhaft Fincher den Zuschauer hier narrt und hinter jeder Nichtigkeit den Schrecken erahnen lässt.
Trotz seiner überlangen Laufzeit (der angekündigte DC könnte diese sogar noch einmal erhöhen) unterhält Zodiac großartig, ohne dabei auf die Erwartungen des Mainstream-Publikums einzugehen. Stattdessen enttäuscht er Erwartungen, lässt ins Leere laufen und bietet auch am Ende keine versöhnliche Aufklärung. Das schwierige, weil ausfasernde und schwer zu packende Thema ehrt Fincher, bereitet dem Film aber auch ein Problem, das sich nicht an einzelnen Punkten festmachen lässt, sondern das ganze Werk durchdringt: Immer wieder hat man das Gefühl, mehr einer Dokumentation als einem Spielfilm beizuwohnen, was (trotz Stichpunkt "Realitätsnähe") leider nicht immer positiv zu werten ist. Deshalb ist Zodiac für mich trotz großartiger Zutaten "nur" ein rundum guter Film.