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Wie selbstbewusst muss ein Regisseur sein, um die Mechanismen eines Genres zu demontieren? Man könnte auch von Größenwahn sprechen, aber hinter dem Namen David Fincher verbirgt sich auch „Se7en“ – die filmische Blutauffrischung des Thrillers im Serienkiller-Kontext. Wir erinnern uns an den neurotischen Kevin Spacey, der unter atmosphärischen Dauerregen brutal, aber höchst moralisch der Menschheit die sieben Todsünden vor Augen führte, um Morgan Freeman und Brad Pitt an bedrohliche, spannungsgeladene Örtlichkeiten, die durch die Morde noch düsterer wirkten, zu führen. Der Supergau, die Pointe am Ende ist das Produkt des Konstrukts, das darauf hinarbeitet, schlussendlich den Teufel tanzen zu lassen. Der finale Knall ertönte immer noch in den filmischen Ruhmeshallen.

„Sieben“ war 1995, im Jahre 2007 heißt der Thrill „Zodiac“. Seinerzeit, in den 90er Jahren, kreierte David Fincher ein fiktives Moloch, das sich als optimaler Nährboden für den düsteren Thriller entpuppte. Zwölf Jahre später leitet er ein realistisches Revival der Vergangenheit ein und setzt dabei auf genrebezogen unkonventionelle Spannungsherde, die quasi das Klischee zerstören. „Zodiac“ ist Realismus pur und im Sinne der Effekthascherei mitunter staubtrocken. Dennoch bewahrt Fincher seine Handschrift. Dabei zählt eine charakteristische Atmosphäre, die akribisch geschaffen wird. Es beginnt alles im Jahre 1969, als ein unbekannter Mörder seine ersten Spuren in der Bay Area rund um San Francisco legt. Spektakulär wird der Fall eigentlich nur durch den Killer selbst. Er schickt Briefe mit codierten Nachrichten an die hiesigen Zeitungen - unter anderem dem San Francisco Chronicle, wo Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) als Karikaturist arbeitet.

Mit Zodiac, so wie sich der Täter selbst nennt, beginnt eine Epoche der Angst im Raum San Francisco. Trotzdem sehen wird die Stadt von all ihren schönen Seiten. Postkartenmotive der Metropole und herrliche in der Dunkelheit gelb reflektierende Lichter bei Nacht – alle mit der Kamera gefilmten, optischen Finessen leiten letztendlich das Grauen ein. In einer ästhetischen Vogelperspektive begleiten wir sogar ein Taxi, das Schauplatz eines Tötungsdelikts wird. Der Regisseur wuchs selbst in der Region auf und fühlte unmittelbar die Präsenz des Fremdkörpers, der die naturalistische Pracht zerstörte. Finchers Sicht ist die eines Zeitzeugen, was seine Bilder untermauern. Jede Kleinigkeit, von signifikanter Kleidung über zeitgenössischer Musik bis hin zu charakteristischen Merkmalen, wie den Anfängen simpler Computerspiele oder seinerzeit moderner Ansteck-Buttons, ist erfasst.

Das harmonische Gesamtbild stimmt im Jahre 1969, die Epoche lebt. Die Leute haben aber trotzdem Angst und fühlen sich bedroht. Der Serienkiller-Kontrast zu den Bildern dieser schönen Stadt zieht atmosphärisch in den Bann. Man muss sich den Zugang erarbeiten, aber der Regisseur öffnet genug Zeitportale, um sich selbst aktiv am Geschehen beteiligen zu können. Persönlich fällt mir die Empathie nicht schwer, weil ich diese Metropole und deren Football-Team liebe. Wie auch immer, irgendetwas stimmt nicht in der Bay Area.

Die personifizierte Bedrohung heißt Zodiac. Man sieht die Morde und schon bald ist man mitten im Geschehen. Allerdings nicht durch den Thrill, der sich mit Hilfe von anstehenden Tötungen anbahnt. Der Fall kommt ins Rollen, als der Chronicle den Brief inklusive Code, der veröffentlicht werden soll und wird, erhält. Über zwei Stunden lang folgt Fincher der Ermittlungsarbeit, die überwiegend auf existierenden Akten beruht. Der Karikaturist Graysmith klinkt sich in den Fall ein und wird zum Besessenen. Mit dem Journalisten Avery (Robert Downey Jr.) und ermittelnden Inspektoren Toschi (Mark Ruffalo) teilt er einen Zwang, der alle verfolgen wird.

Es wird nachgebohrt, verdächtigt, hinterfragt und dechiffriert. Zodiac wird zum Mysterium, das die Protagonisten an einem Punkt treibt, der sie vor Entscheidungen stellt. Die Jahre vergehen, Fincher integriert an einer Stelle einen beeindruckenden, bildhaften Fluss – den Bau eines Hochhauses im Zeitraffer. Der Killer läuft immer noch frei herum und verliert an öffentlicher Bedeutung, weil ihm schon lange keine Taten mehr zugeordnet werden können. Zuvor erlebt man die Zeit, in der alle drei Hauptfiguren auf ihre eigene Art investigativ tätig werden.

Nun folgt die zweite Ebene. Avrey gibt sich vollends der Alkohol- und Drogensucht hin, Toschi geht gezwungen seinem Job nach und Graysmith wird zum Protagonisten, als er mit den Nachforschungen zu seinem Buch, auf das sich der Regisseur auch gestützt hat, beginnt und seine Familie vernachlässigt. Der Betrachter ist mittendrin. Fincher beweist in Hinblick auf den Erzählstil Fingerspitzengefühl und instruiert seine Protagonisten mit Bravour. Obwohl die Dramaturgie nach Overacting schreit, verfällt keiner seiner Darsteller der Versuchung.

Jake Gyllenhaal setzt Akzente und verdeutlicht am besten die Intention des Films. Es geht um die Sucht, das Unbekannte lösen zu wollen. Man sieht aus seiner Sicht projizierte Schriftzeichen des Killers an der Wand der Chronicle-Räumlichkeiten. Der Fall steigt ihm zu Kopf. Er entwickelt den starr engstirnigen Blick, es geht nicht mehr um Gerechtigkeit, sondern um den Drang, das Mysteriöse zu entmystifizieren. Der Mensch steht vor einem Rätsel, das ihn nicht mehr loslässt und über Jahrzehnte beschäftigt. Graysmith wird besessen und beginnt die Aufklärung zu forcieren.

Das Ergebnis ist unbefriedigend für alle Beteiligten. Die Jahre sind vergeudete Zeit, bis heute weiß man nicht, wer sich hinter dem Namen Zodiac versteckt. Es gibt Hinweise, Indizien und Hauptverdächtige, aber anders als im fiktiven „Se7en“ hält uns Fincher an der langen Leine und konstruiert nicht den Supergau. Unsere Welt braucht Mysterien und mit „Zodiac“ wird ein neues bedient. Die Subversion des klassischen Serienkiller-Thrillers wurde ohne die Opfergabe eines aufgesetzten Konventionsbruchs gemeistert. Es wird ohne Ziel stilvoll geforscht und spannungsgeladen erzählt. Das mag einige ernüchtern, aber frischer kann man die ungelöste Vergangenheit eigentlich nicht reflektieren. (9/10)

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